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Von Krieg ist nicht die Rede

Die Bundeswehr findet sich toll und umwirbt vor allem Mädchen

Von Nissrine Messaoudi *

Die Bundeswehr braucht Nachwuchs. Auch weiblichen. Kürzlich wurden rund 100 Mädchen in die Julius-Leber-Kaserne in Berlin eingeladen, um von den »Kameraden und Kameradinnen« einen Einblick ins Militärische zu erhalten. Als angeblich 20-jährige Studentin, die gerne im Dienste des Vaterlandes stünde, mischte ich mich unter die Interessentinnen.

Es ist kurz vor acht Uhr, es regnet, es ist kalt. Am Südtor stehen zwei Männer in Soldatenmontur mit Gewehren. Unbehagen überkommt mich bei diesem Anblick, aber ich frage die Männer trotzdem, besser gesagt die zwei Jungs, denn sie scheinen noch jünger zu sein als ich: »Wo geht's denn hier zur Besucher-Anmeldung?« Nach Vorzeigen des Personalausweises werde ich von Soldatinnen, ebenfalls in olivgrüner Uniform und Militärstiefeln, empfangen. Neben mir begrüßt man die Mädchen, einige sind noch Kinder von 11 Jahren, andere »schon« 16.

Nach ordentlichem Durchzählen und Gruppenbildungen bekommen wir alle ein Erkennungsbändchen um den Hals und werden in Zehnergruppen durchs Gelände geführt. In Zweierreihen und im Laufschritt, unser Oberfeldwebel - eine große stämmige Blondine - vorneweg. Es gibt Sportplätze, ein Hallenbad, eine Kantine, alles wirkt wie eine kleine Stadt, in der man gerne unter sich bleibt.

Zum Frühstück gibt es Marschmusik, aber keine Servietten. Klar, hier muss man sich die Hände schmutzig machen. Dann geht der Vortrag los. Ein Lobgesang auf die Bundeswehr. Es spricht ein Oberleutnant, der ist der oberste Polizist in der Bundeswehr Berlin. Wir erfahren, dass seit 2001 Frauen in der Bundeswehr willkommen sind, sie Karriere machen können, es keinen abwechslungsreicheren Beruf gibt. Weil aber »leider« noch wenige Frauen - derzeit um die 16 000 Soldatinnen - den Weg zur Bundeswehr beschreiten, werden sie bei gleicher Eignung bevorzugt, heißt es weiter.

Um das Wohlwollen der Mädels zu festigen, wird erklärt, dass die Bundeswehr auch das Studium finanziert. »Obwohl ihr zur Uni geht, bekommt ihr ein Gehalt von 1300 Euro monatlich, da müsst ihr nicht kellnern, um studieren zu können.« Das klingt verlockend, das muss ich »Studentin« zugeben. Doch es gibt auch Kleingedrucktes. Man muss sich nach dem Studium für bis zu 20 Jahre verpflichten.

Aber man verdient sehr gut, auch ohne Schulabschluss. 1300 Euro netto Einstiegsgehalt, Hauptschulabschluss ist wünschenswert, aber nicht zwingend. Trotzdem sei eine steile Karriere möglich, keine Krankenversicherung nötig, da ärztliche Versorgung für die Soldatinnen und Soldaten kostenlos in der Kaserne erfolgt. Und überhaupt: »Einser-Abiturienten wollen wir hier gar nicht haben«, sagt der Oberleutnant. Und die Mädchen freuen sich auch über diese Aussage. Begründung: Einser-Kandidaten seien viel zu egoistisch, die Bundeswehr lege aber Wert auf Teamgeist.

Nach dem Vortrag geht es aufs Gelände. Erste Station Grundausbildung: Drei Soldaten, die grün und schwarz bemalte Gesichter haben, erklären, warum man beim Zeltbau einen kleinen Graben schaufelt: »Das ist wichtig, damit das Regenwasser nicht ins Zelt läuft.« Dann erklärt uns einer die verschiedenen Lagerfeuerarten - je kleiner, desto besser, schließlich will man ja nicht vom Feind entdeckt werden. Apropos »Feind«: Ein Stück weiter im Rasen liegen weitere Soldaten auf dem Bauch, das Gewehr an der Brust. Sie sollen den »Feind« beobachten. Bei der Nachfrage, wer denn dieser »Feind« ist, erfahren wir, dass es keinen gibt, aber dennoch gehört es zur Ausbildung eines Soldaten - falls Deutschland angegriffen würde, ist man vorbereitet. Bis dahin sei es wie Camping.

Nächste Station: Personeneskorte - schnelle Motorräder, Blaulicht. Ein schwarzer Wagen mit getönten Scheiben fährt vor, ein bewaffneter Zivilist springt aus dem Gebüsch - und wird von den Feldjägern »unschädlich« gemacht. Es folgen weitere Demonstrationen, Hunde beißen in gepolsterte Arme, erschnüffeln Sprengstoff. Dann dürfen alle Besucherinnen einen LKW lenken, denn auch für LKW und Motorradführerscheine zahlt der Bund. »Total cool«, finden die Mädchen.

Letzter Halt: das Sanitätszelt. Dort wiederholt der Mediziner, was wir schon den ganzen Tag hören. Er habe »keinen Tag bei der Bundeswehr bereut«. Mit 53 kann er in Rente gehen, ist doch besser als mit 67. Da hat er Recht. Außerdem sei er dank der Bundeswehr schon in der Welt herumgekommen.

Während der ganzen Werbenummer fällt nicht einmal das Wort Krieg. Nichts hört man von Toten, Traumata - was ist das? Dabei ist ständig von Auslandseinsätzen die Rede. Klar, dass jedes Unternehmen sich von der besten Seite zeigen möchte. Doch andere Unternehmen ziehen nicht in Kriege, töten keine Menschen.

Die Vorführungen enden in der Kantine. Diesmal gibt es Gutbürgerliches. Beim Abschied liegen Prospekte zum Mitnehmen bereit. Daraus erfährt man die jeweiligen Bewerbungsadressen. Zu meiner Verwunderung gehen die bunten Faltblätter weg wie heiße Semmeln. Für die Mädchen war es ein spaßiger Tag, für die Bundeswehr ein voller Erfolg.

* Aus: Neues Deutschland, 7. Mai 2009


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