Nun dürfen Frauen mitschießen - Ein Sieg für die Gleichberechtigung?
Verfassungsänderung fast nebenbei
51 Jahre alt ist das deutsche Grundgesetz. 50-mal wurde es seither geändert. Die beiden letzten Änderungen fanden am 27. Oktober 2000 fast unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt, haben aber eine große Bedeutung für die weitere außen- und sicherheitspolitische Positionierung der Bundesrepublik. Im Guten wie im Schlechten.
"Deutsche" können ausgeliefert werden
Um mit dem Guten zu beginnen: Geändert wurde Artikel 16 GG, wonach - bisher - kein deutscher Staatsbürger an ein andere Land ausgeliefert werden konnte. Artikel 16, Abs. 2 lautete:
"Kein Deutscher darf an das Ausland ausgeliefert werden. Politisch Verfolgte genießen Asylrecht."
Nach der Verfassungsänderung kann ein Deutscher - "soweit rechtsstaatliche Grundsätze gewahrt sind" - ausgeliefert werden, allerdings nur an ein anderes EU-Land oder an den Internationalen Strafgerichtshof. Hintergrund der Grundgesetzänderung ist die Errichtung eines Internationalen Strafgerichtshofes, der vor zwei Jahren von rund 120 Staaten beschlossen worden war, dessen Einrichtung aber erst von 22 Staaten ratifiziert wurde (nötig sind 60 Ratifizierungsstaaten). Die Abstimmung zu dieser Grundgesetzänderung verlief beinahe einstimmig (1 Gegenstimme, 2 Enthaltungen). - Nebenbei: Erleichtert kann man auch darüber sein, dass der zweite Satz von Artikel 16 Absatz 2 nicht gleich mit geändert oder gar gestrichen wurde. Bei dem herrschenden Klima im Land weiß man ja nie!
Frauen ans Gewehr
Nur geringfügig spannender verliefen die Debatte und die Abstimmung über den Artikel 12a GG, wonach bislang nur "Männer" zum Dienst in den Streitkräften "verpflichtet werden können" (Absatz 1) und Frauen gemäß Absatz 4 "auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten" dürfen. Bereits im Vorfeld hatten sich die Koalitionsparteien mit der CDU/CSU-Opposition und der FDP darauf verständigt, auch Frauen den Zugang zum Waffendienst zu ermöglichen. Zu Hilfe kam den "Kämpfern" für die Frauengleichberechtigung ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes vom Januar 2000, wonach die "Diskriminierung" der Frauen in den deutschen Streitkräften mit europäischem Recht angeblich nicht vereinbar sei. Scharping, der Bundeswehrverband (der seinerzeit die Klage einer deutschen Staatsbürgerin beim EGH unterstützt hatte), und alle Parteien (außer der PDS) und die selbstgewählten Frauenrechtlerinnen vom Schlage einer Alice Schwarzer begrüßten das Urteil und forderten dessen schleunigste Umsetzung in deutsches Recht. Scharping war wohl sogar der Meinung, dies ginge ohne Grundgesetzänderung. Dem widersprach der "Rechtsexperte" der Union, Rupert Scholz, und drang deshalb auf eine Verfassungsänderung. Die Regierungskoalition konterte mit der Bedingung, die Abstimmung über Art. 12a,4 mit der Abstimmung über Artikel 16,1 (Auslieferungsverbot) zu koppeln. Daraus entstand nach dem Muster vieler parlamentarischer Entscheidungsvorbereitungen ein Verfassungs-Deal: "Wir akzeptieren hier Eure Formulierung, Ihr akzeptiert dafür dort unsere Formulierung!"
Die Formulierung der Grundgesetzänderung in Sachen Frauen und Bundeswehr fiel besonders trickreich aus. Der Satz "Sie (die Frauen, Pst) dürfen auf keinen Fall Dienst mit der Waffe leisten" wurde nicht etwa gestrichen oder, was unmissverständlich gewesen wäre, positiv gewendet etwa derart: "Sie dürfen auch Dienst mit der Waffe leisten." Nein, die Absicht, über den sich alle Parteien (außer der PDS) einig waren, nämlich den Frauen den vollen Zugang zu allen militärischen Diensten zu ermöglichen, wurde plötzlich verknüpft mit der Ablehnung einer Wehrpflicht für Frauen. Die nun gültige Fassung des Satzes (Art. 12a, Abs. 4, Satz 2) lautet:
"Sie dürfen auf keinen Fall zum Dienst mit der Waffe verpflichtet werden."
Genau diese Formulierung, das heißt die Ablehnung einer Pflicht zum Waffendienst und damit eine Bestätigung auch der Ablehnung einer allgemeinen Wehrpflicht für Frauen, war es, was selbst einige PDS-Abgeordnete (nämlich elf) bewog, dieser Verfassungsänderung zuzustimmen (während sich die Mehrheit der PDS-Fraktion der Stimme enthielt). Die Schlussabstimmung im Bundestag fiel eindeutig aus: 512 J-Stimmen, fünf Nein-Stimmen (zwei SPD, zwei CDU/CSU, 1 Grüne) und 26 Enthaltungen (davon allein 14 von der PDS).
Dennoch gab es Kritik im Vorfeld dieser klaren Entscheidung. Die Kritik kam sogar von einer ansonsten eher moderaten Abgeordneten der Grünen, der Bundestagsvizepräsidentin Antje Vollmar. Sie gab eine persönliche Erklärung ab, wonach sie in der Distanz der Frauen zu militärischen Waffenübungen keinen "Nachteil", sondern einen "Vorteil" sehe. Für "gefährlich" halte sie auch den "modischen Flair von Fitness und Uniformen". Außerdem gebe es viele Bereiche, in denen die Gesellschaft anfangen könne, Verstöße gegen die Gleichberechtigung von Frauen zu bekämpfen. Warum Frau Vollmer trotzdem der Grundgesetzänderung zustimmte, bleibt ihr Geheimnis.
Politische Folgen
"Nicht der Beschluss selbst sorgt für Debatten, sondern seine Folgewirkungen", mutmaßt die Frankfurter Rundschau in einem Artikel über den "Verfassungsdeal" (FR, 28.10.2000). Das könnte stimmen. Denn eines ist klar: Die völlige Gleichstellung der Frauen in der Bundeswehr wirft die nicht nur juristische Frage nach der Gleichstellung von Männern und Frauen in der Wehrpflichtfrage auf. Die Grünen, die sich für die Aufhebung der Männerwehrpflicht stark machen, haben nun ein vermeintlich starkes Argument in der Hand. Volker Beck packte es in der Bundestagsdebatte aus: Mit dem Ausschluss einer Frauen-Wehrpflicht stelle sich die Frage nach der Berechtigung bzw. Sinnhaftigkeit des Fortbestehens der Männer-Wehrpflicht, zumal immer mehr NATO-Staaten auf die allgemeine Wehrpflicht verzichteten. (Gerade erst vor einigen Tagen hat das italienische Parlament die Abschaffung der Wehrpflicht bis zum Jahr 2008 beschlossen.)
Doch auch die Befürworter der allgemeinen Wehrpflicht könnten auf den Gedanken kommen, die Wehrpflicht künftig zu einer allgemeinen Dienstpflicht zu erweitern. Diskussionen gibt es hier bereits, unter anderem um die zu erwartenden oder auch nur herbei geredeten Probleme bei der Abdeckung bestimmter sozialer Dienste zu lösen. Denn allgemein wird über kurz oder lang doch damit gerechnet, dass die Männer-Wehrpflicht sich in der Praxis nicht mehr halten lässt, weil die Bundeswehr selbst immer weniger Grundwehrdienstleistende braucht (vgl. die
Grobausplanung des Verteidigungsministers vom 11. Oktober 2000). Damit sei aber die "Wehrgerechtigkeit" nicht mehr gewährleistet. Und spätestens in dieser Situation könnten die Juristen auf den Plan treten und die Politik vor die Wahl stellen: Entweder die Wehrpflich ganz abschaffen (dann entfällt das Problem der "Wehrgerechtigkeit" bzw. "-ungerechtigkeit") oder eine allgemeine Dienstpflicht einzuführen - die aber müsse dann auch für Frauen gelten!
Auch für die Friedensbewegung, die mit der Entscheidung des Bundestags eine weitere Niederlage erlitten hat, dürfte somit die Debatte nicht beendet sein. Die Argumente, die gegen eine Einbeziehung von Frauen in den Waffendienst und damit einer Erweiterung ihrer Qualifikation um den handwerklichen Aspekt des Tötens vorgebracht wurden, behalten auch nach der Grundgesetzänderung ihre Gültigkeit (vgl. z.B. die
Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag oder die
Ostermarschrede von Anne Rieger). Die Überzeugungskraft pazifistischer Argumente in der Öffentlichkeit wird sich auch darin zeigen müssen, ob nun tatsächlich ein Run der Frauen an die Waffen beginnt oder ob die Frauen den Verlockungen der Bundeswehr (technisch hochwertige Arbeitsplätze usw.) misstrauen. Daneben gilt es, die politische Zielbestimmung der Bundeswehr insgesamt (einschließlich der Rolle, die hierbei auch die Wehrpflicht spielt) ins Visier zu nehmen. Nicht die Erweiterung der Bundeswehr um Frauen kann unser Interesse sein, sondern die drastische Verkleinerung der Bundeswehr und die Rücknahme all jener Elemente, die ihr eine strukturelle Interventions- und Angriffsfähigkeit verleihen.
Pst
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