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Mehr Geld für Scharping?

Die politische Klasse diskutiert nur noch über Art und Höhe der Erhöhung

Von Peter Strutynski

"Hoffnung für Scharping" titelte die Süddeutsche Zeitung am 7. April 2001 und erläuterte der Leserschaft die Konfliktlinien innerhalb der Bundesregierung und des Parlaments im Streit um den "Wehretat". Als Hauptwidersacher werden dabei der unersättliche Verteidigungsminister Scharping und der sparsame Finanzminister Hans Eichel ausgemacht. Während der eine mehr Geld für seine "Bundeswehrreform" haben möchte, muss der andere darauf bedacht sein, den Staatshaushalt einigermaßen ausgeglichen zu gestalten, was nicht eben einfach ist, nachdem die jüngsten Steuerschätzungen für das laufende Jahr 2001 leicht nach unten korrigiert wurden und die Konjunkturdaten für die nächsten Monate ebenfalls eine kleine Delle erhalten haben.

Bundeswehr nach "Kannibalen"-Art

Seit Monaten erhält Scharping lautstarke Unterstützung für seine Forderungen nach mehr Geld durch den Bundeswehrverband und durch die Inspekteure der Teilstreitkräfte. Im Grunde genommen wird ein Spiel fortgesetzt, das auch schon zu Rühes Zeiten sehr beliebt war: Die Interessenvertreter des Militärs listen die schrecklichsten Mängel bei Bewaffnung und Ausrüstung der Bundeswehr auf und sprechen der Armee die "Bündnisfähigkeit" ab. Der zuständige Minister nimmt den Ball gern auf und stellt seine Forderungen an das Kabinett. Vor kurzem machte der Ende März 2001 ausgeschiedene Inspekteur des Heeres Helmut Willmann seine Rechnung auf: Die Bundeswehr, so seine Diagnose, befände sich in einem "Teufelskreis" zwischen Bundeswehrreform, der dafür notwendigen Ausrüstung und den zugesagten Beiträgen für die Eingreiftruppe der EU und den "stand by forces" für die Vereinten Nationen (vgl. Hessische Allgemeine, 12.04.200). Notwendig sei es, alle drei Aufgaben gleichzeitig zu lösen, dafür aber fehle hinten und vorne das Geld. Beispielsweise könne die verstärkte mechanisierte Brigade, welche die Bundeswehr für internationale Einsätze schon für 2003 zugesagt habe, nur "mit Einschränkungen" aufgestellt werden. Die Einschränkungen beträfen die "Führungssysteme" und die "Logistik". Teure Spitzentechnologie sei auch nötig für die Division Spezial Operation (DSO), die gleichzeitig aufgestellt werden müsste und wegen Geldknappheit nicht könnte. Hinzu kommt nach Aussagen von Willmann, dass der Rest des Heeres auf seinen alten Waffensystemen sitzen bleibe, die längst ausgemustert gehörten. Dazu zählt er den Schützenpanzer Marder, den Spähpanzer Luchs und den Hubschrauber Bell UH-1D. Um überhaupt noch ein paar dieser maroden Systeme benutzen zu können, sei man zum "Kannibalensystem" übergegangen: Mehrere dieser Waffen werden "ausgeschlachtet", um mit den dabei gewonnen funktionierenden Teilen ein betriebsfähiges Exemplar zusammen zu bauen.

Solche Geschichten sind mittlerweile Legion. Parlamentarier fallen aber reihenweise darauf herein und stimmen in den Chor derjenigen ein, die der Bundeswehr zu mehr Geld verhelfen wollen. Dabei bleiben zwei Überlegungen geflissentlich außer Betracht: Einmal die Tatsache, dass das Verteidigungsministerium mit dem Einzelplan 14 in den letzten Jahren regelmäßig über 47 bis 48 Milliarden DM verfügte (Höchststand in den 80er Jahren: 53 Mrd. DM), womit eine Armee, die nur noch 330.000 Soldaten befehligt (statt 490.000 in den 80er Jahren) eigentlich ganz gut leben müsste. Kamen nämlich in den 80er Jahren, also noch in der Hochzeit der militärischen Blockkonfrontation, rechnerisch 110.000 DM Verteidigungsausgaben auf einen Soldaten, so sind es heute, ohne dass ein gegnerisches Militärbündnis existiert oder in Sicht wäre, 140.000 DM. Soll man da nicht erwarten können, dass mit einem derart gestiegenen "Pro-Kopf-Verbrauch" ein gewisser Ausrüstungsstandard zu halten ist? Zum Zweiten hat es die Bundeswehr bzw. der für Material und Ausrüstung zuständige Generalinspekteur Harald Kujat bisher nicht fertig gebracht, handfeste und nachprüfbare Daten für die angeblichen Mängel und Desiderata vorzulegen: Stückzahlen, Kosten, Beschaffungstermine u.v.a.m. Wer aber seinen Bedarf nicht genau beziffert, kann kaum auf Verständnis für seine Nöte rechnen.

Schwindende Motivation oder fehlende Legitimation?

Entweder ist die Hardthöhe unfähig genaue Bedarfszahlen zu liefern, oder sie kann die behaupteten Defizite nicht belegen, will aber trotzdem mehr Geld haben: Beides reichte aus, um dem leitenden Ressortchef, Scharping, den Rücktritt nahe zu legen. Scharping wäre aber nicht Scharping, wenn er sich dadurch in irgend einer Weise beeindrucken ließe. Sicherheitshalber macht er, um Mitleid zu erheischen, eine dritte Front auf: Die Bundeswehr, so seine Botschaft, lebe in so armseligen Verhältnisse, dass ihr reihenweise die Leute davon liefen. Ein erschreckender Verlust an Motivation, Einsatz- und Kampffähigkeit habe eingesetzt. Um das zu belegen, existieren plötzlich genaue Zahlen. Sie finden sich in der Antwort des Verteidigungsministeriums auf eine Anfrage des FDP-Abgeordneten Günther Nolting: Danach sind seit Anfang vergangenen Jahres 31 Berufsoffiziere auf eigenen Wunsch aus der Bundeswehr ausgeschieden. 74 Berufssoldaten haben sich im gleichen Zeitraum zu Zeitsoldaten herabstufen lassen. Eine dramatische Zahl, wenn sie in Beziehung gesetzt wird zu den Durchschnittszahlen der Jahre 1993 bis 1999: Damals betrug die Drop-out-Zahl pro Jahr im Schnitt gerade einmal 14 Offiziere. Des Weiteren wurde mitgeteilt, dass derzeit 1.412 Offiziersstellen und 4.138 Unteroffiziersstellen unbesetzt seien. Es fehle insgesamt an jungen Nachwuchskräften. Nur: Mit fehlendem Geld kann dies wohl nicht mehr begründet werden. Die Stellen sind ja vorhanden, und ein Offizier der Bundeswehr muss nicht gerade am Hungertuch nagen. Vielleicht ist ja der Soldatenberuf insgesamt nicht mehr so gefragt. Möglicherweise hat das auch zu tun mit der Umorientierung der Bundeswehr von einer Verteidigungsarmee zu einer Interventionsstreitkraft. Die Werbekampagne um die Frauen sollte wohl auch dazu dienen, die Personallücken zu stopfen. Bisher allerdings haben nur sehr wenige Frauen Verständnis für die Nöte der Bundeswehr gezeigt.

Nun sind ja auch die Zahlen der Kriegsdienstverweigerer in den letzten Jahren weiter angestiegen. Läge es da nicht nahe, statt auf das fehlende Geld zu verweisen, eine mangelnde Legitimation der Bundeswehr zu diagnostizieren? Eine veränderte Weltlage (keine äußere Gefahr für die Bundesrepublik), ein veränderter Auftrag (Intervention statt Territorialverteidigung) und veränderte Lebensgewohnheiten und Lebensentwürfe (Selbstbestimmung statt Befehl und Gehorsam) haben die gesellschaftspolitischen Rahmenbedingungen für die Bundeswehr weit mehr beeinflusst, als den traditionellen Militärs und ihrem sozialdemokratischen Umfeld bisher aufgefallen ist. Die Akzeptanz für das Militärische nimmt gesamtgesellschaftlich weiter ab (übrigens auch als Folge des jahrelangen Wirkens der Friedensbewegung) und steigt lediglich bei einer Minderheit der Gesellschaft, wozu in letzter Zeit in auffälliger Weise Randgruppen rechtsradikaler und besonders gewaltbereiter Jugendlicher gestoßen sind.

220 Milliarden DM und die Tricks der Haushälter

Trotz dieses allgemeinen Legitimations- und Akzeptanzverlustes verfügen die Militär- und Interventionsbefürworter über satte Positionen innerhalb der politischen Klasse. Die "Bundeswehrreform", dies zeigte die amputierte Diskussion um das Weizsäcker-Papier, und alle mit der Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsramee zusammen hängenden Fragen der Umrüstung gehören zum politischen "Konsens der Demokraten" in Berlin, der schon längst auch die Grünen einschließt. Der Spiegel vom 2. April 2001 listete den mittelfristigen Finanzbedarf dafür auf und ermittelte einen Gesamtrahmen von 220 Milliarden DM. Diese Zahl entspricht ziemlich genau den schon seit Jahren von der Friedensbewegung und ihr nahe stehender Institute veröffentlichten Berechnungen (z.B. IMI, BITS, Friedensratschlag). Nichts Neues also, und doch hat die Spiegel-Veröffentlichung wieder zu hektischem Treiben in Berlin Anlass gegeben. Ein "diskretes Treffen" zwischen Schröder, Scharping und Eichel Anfang April hat statt gefunden und eine Reihe von Koalitionsabgeordneten hat Vorschläge gemacht, wie dem notleidenden Scharping zu Hilfe zu kommen sei. Dabei zeichnet sich für den Haushalt 2002 und für die mittelfristige Finanzplanung bis 2005 ein "Kompromiss" ab, der nach Informationen der Süddeutschen Zeitung folgendermaßen aussehen könnte: "Wie aus SPD-Fraktionskreisen zu hören ist, wird es keine grundsätzliche Aufstockung des Wehretats gegenüber der bisherigen Kalkulation geben. Auch die Idee, einzelne Projekte wie die geplante Satellitenaufklärung oder das neue Transportflugzeug gesondert zu finanzieren, scheint vom Tisch zu sein. Dafür soll Scharping dabei unterstützt werden, mit Erlösen aus Liegenschaften – also dem anstehenden Verkauf von Kasernen, Verwaltungsgebäuden oder Grund – gesichert rechnen zu können. Die Idee geht dahin, die zu veräußernden Objekte in einem Fonds zusammenzufassen und zu verwalten; eine Arbeit, die eine Tochtergesellschaft der Gesellschaft für Beschaffung und Betrieb (GEBB) übernehmen soll. Die Verkäufe werden für Scharping etwa über die Kreditanstalt für Wiederaufbau vorfinanziert. Das heißt, Scharping kann fest mit dem Geld rechnen, obwohl die Objekte faktisch noch nicht verkauft sind." (SZ, 07.04.2001)

Schon früher war vereinbart worden, dass Scharping 80 Prozent der Erlöse aus den Liegenschaftsverkäufen behalten dürfe, und zwar bis zu einer Jahreshöchstgrenze (für das Jahr 2002) von 1,2 Milliarden DM. Bis zum Jahr 2005 will das Verteidungsministerium auf vier Milliarden DM kommen. Auch wenn dies, wie die Süddeutsche Zeitung schreibt, ein "frommer Wunsch" bleibt, zeigt er doch die Richtung an: Die Rüstungsausgaben bleiben haushaltstechnisch auf dem Niveau von rund 47 Mrd. DM "eingefroren", die realen Ausgaben für die Bundeswehr (ohne die üblicherweise verstecken Gelder in anderen Etats) steigen aber weiter an. Das freut das Militär, das freut die Rüstungsindustrie, das freut die Militaristen aller Fraktionen im Bundestag und das besänftigt schließlich auch den obersten Finanzbeamten Hans Eichel.

Ob die Rechnung dieser breiten Aufrüstungs-Koalition aufgeht, wird wohl hauptsächlich vom Wirken der Friedensbewegung abhängen, die zwar nur noch über wenige Verbündete im Bundestag, aber nach wie vor über sehr viele Anhänger im außerparlamentarischen Raum verfügt. Diese zu mobilisieren, z.B. über den Appell "Kriege verhindern - Einsatzkräfte auflösen", bleibt die wichtigste Aufgabe der nächsten Zeit.

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