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Merkel: "Eine Armee im Einsatz braucht eine solche Auszeichnung" / Jung: "Wir sind in Afghanistan, weil wir die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands schützen"

Die Rede der Bundeskanzlerin zur erstmaligen Verleihung des "Ehrenkreuzes" / Ansprache des Verteidigungsministers anlässlich der Beerdigung dreier in Afghanistan gefallener Soldaten


Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel anlässlich der ersten Aushändigung des Ehrenkreuzes der Bundeswehr für Tapferkeit *

Mo, 06.07.2009
in Berlin


Sehr geehrter Herr Bundesminister, lieber Franz Josef Jung,
sehr geehrter Herr Wehrbeauftragter,
sehr geehrter Herr Generalinspekteur,
liebe Kolleginnen und Kollegen aus dem Deutschen Bundestag,
liebe Soldaten und Angehörige,
liebe Gäste,

ich begrüße Sie heute ganz herzlich zu dieser Feierstunde – eine Feierstunde, wie wir sie hier im Bundeskanzleramt noch nicht hatten, eine wichtige Neuerung und zum ersten Mal in dieser Zusammensetzung. Wir zeichnen heute zum ersten Mal vier Soldaten unserer Bundeswehr mit dem Ehrenkreuz für Tapferkeit aus.

Meine Damen und Herren, eine Armee im Einsatz braucht eine solche Auszeichnung. Dies ist die Überzeugung des Bundesverteidigungsministers, dies ist meine Überzeugung und die Überzeugung der Bundesregierung. Die Bundeswehr ist eine Armee im Einsatz. Mehr als 260.000 Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr waren bereits im Einsatz – Seite an Seite mit unseren Partnern innerhalb der NATO, der Europäischen Union und den Vereinten Nationen. An vielen Orten der Welt leisten unsere Soldaten ihren Dienst für Stabilität und Frieden, für Sicherheit und Wiederaufbau: auf dem Balkan, in Afghanistan, am Horn von Afrika, vor der Küste des Libanon und als Militärbeobachter im Sudan und in Georgien.

Diese Einsätze, obgleich weit entfernt von zu Hause, dienen unseren nationalen Sicherheitsinteressen. Dies, den nationalen Sicherheitsinteressen weit entfernt von der Heimat zu dienen, ist eine Aufgabe, die wir heute haben, die neu ist, die es viele Jahrzehnte lang so nicht gab und die uns noch viele Jahre durch das 21. Jahrhundert begleiten wird. Sie dienen unseren nationalen Sicherheitsinteressen, aber wir können auch mit Freude und ein wenig Stolz sagen: Sie als Soldatinnen und Soldaten sind Botschafter unseres Landes und zeichnen von unserem Land, der Bundesrepublik Deutschland, bei Ihrem Einsatz ein außerordentlich positives Bild.

Für mich gibt es keinen Zweifel: Das Wohlergehen von uns allen und das politische und wirtschaftliche Gewicht unseres Landes hängen wesentlich von Frieden, Stabilität und Freiheit ab, und dies in einer zusammenwachsenden Welt mehr denn je. Dies verändert eben auch die Aufgaben der Bundeswehr. Deutschland stellt sich den größer gewordenen internationalen Verpflichtungen. Deutschland nimmt seine Verantwortung wahr. Wer sich einmal den Weg vor Augen führt, den wir in den letzten knapp 20 Jahren seit der Wiedervereinigung gegangen sind, seit der Zeit, als wir als Land mit gleichen Rechten und Pflichten ausgestattet worden sind, der weiß, was die Bundeswehr in den letzten Jahren geleistet hat.

Die politisch Verantwortlichen in Parlament und Regierung wissen: Wenn wir unsere Soldatinnen und Soldaten in Krisengebiete entsenden, dann sind das schwierige Aufträge, die meist auch mit sehr hohen Risiken verbunden sind. Wir machen uns solche Entscheidungen deshalb auch niemals leicht. Die Bundesregierung ist sich in jedem Fall der besonderen Verantwortung bewusst, die mit der Entsendung deutscher Soldatinnen und Soldaten in Auslandseinsätze verbunden ist. Deshalb streben wir auch bei jedem Mandat – ich möchte mich ganz herzlich beim Deutschen Bundestag dafür bedanken – eine parteiübergreifende Mehrheit in unserem Parlament an. Denn je größer und breiter die Unterstützung für unsere Soldatinnen und Soldaten ist, umso wichtiger ist das für ihren Einsatz.

Der bewaffnete Einsatz im Ausland ist für die Bundeswehr mittlerweile zum Alltag geworden. Bei meinen Besuchen in Afghanistan sind mir die hohen Anforderungen an unsere Soldatinnen und Soldaten besonders deutlich geworden. Auch in Gesprächen mit Angehörigen habe ich mir immer wieder ein Bild von der Situation der betroffenen Familien gemacht. Ich weiß: Auslandseinsätze verlangen dem Einzelnen, aber eben auch der jeweiligen Familie viel ab. Wir reden darüber in Deutschland immer noch zu wenig. Deshalb wollen und müssen wir die Leistungen, Belastungen und Gefährdungen unserer Soldatinnen und Soldaten im Einsatz mehr in das Blickfeld der Öffentlichkeit rücken. Unsere Soldatinnen und Soldaten müssen für ihren Einsatz mehr Anerkennung erhalten.

Unsere Soldatinnen und Soldaten leisten einen Eid auf unser Grundgesetz, das gerade 60 Jahre alt geworden ist. Sie schwören oder geloben, Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Anders als der zivile Bürger ist der Soldat als Staatsbürger in Uniform damit zur Tapferkeit verpflichtet. Die Tapferkeit, die wir heute meinen, zielt auf die Wahrung und Verteidigung von Recht und Freiheit. Sie ist an freiheitlich-demokratische Grundwerte gebunden. Tapferkeit findet damit ihre Grundlage in der Werteordnung unserer Verfassung. Auf das, was unsere Soldatinnen und Soldaten in den Einsätzen leisten, können nicht nur sie selbst stolz sein, sondern auch unser ganzes Land.

Mut und Tapferkeit werden Soldatinnen und Soldaten natürlich besonders dort abverlangt, wo ihr Einsatz gefährlich ist. Für Afghanistan gilt das in besonderem Maße. Deshalb möchte ich heute allen Soldatinnen und Soldaten für ihren schwierigen Dienst, den sie gerade dort, aber auch anderswo für Deutschland leisten, ganz herzlich danken. Ihr Einsatz verdient unser aller Dank und Anerkennung, und zwar der Einsatz jedes Soldaten.

Neben der täglich erbrachten Leistung gibt es immer wieder auch Beispiele herausragender Tapferkeit, die über das Erwartbare noch deutlich hinausgeht. Deshalb bin ich dem Bundesminister der Verteidigung sehr dankbar. Er hat die Initiative ergriffen und das Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit durchgesetzt. Ich freue mich, heute gemeinsam mit ihm zum ersten Mal diese Auszeichnung vornehmen zu dürfen.

Sehr geehrter Herr Berges, Herr Dietzen, Herr Geist und Herr Lukacs, nach einem Selbstmordanschlag in Afghanistan haben Sie unter Einsatz Ihres Lebens alles getan, um Kameraden und afghanische Kinder zu retten. Die Lage war unklar, es bestand für Sie akute Lebensgefahr. Und trotzdem haben Sie mutig und couragiert versucht, anderen zu helfen und Leben zu retten. Sie waren damit am Ort des Geschehens Vorbild für weitere Helfer. Und Sie sind mit Ihrem selbstlosen Einsatz letztlich auch zum Vorbild für alle geworden. Wir alle, die wir glücklicherweise noch nicht in einer solchen Situation waren, können uns das gar nicht richtig vorstellen. Umso mehr möchte ich Ihnen heute auch ganz persönlich meine Hochachtung aussprechen.

Sie werden heute für das, was Sie geleistet haben, mit dem Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit ausgezeichnet. Ich weiß, dass Sie damit auch stellvertretend für viele Ihrer Kameraden stehen, die in außergewöhnlichen Situationen Außergewöhnliches leisten. Ihr Engagement und Ihr Mut sind Ansporn nicht nur für Ihre Kameraden, sondern auch für uns alle. Zwar werden wir glücklicherweise nicht jeden Tag vor fundamentale Entscheidungen für unser Leben und das Leben anderer gestellt, aber wir sollten niemals vergessen, dass man schnell in eine solche Situation geraten kann.

Als Bundeskanzlerin der Bundesrepublik Deutschland ist es mir eine große Ehre, Ihnen diese hohe Auszeichnung heute gemeinsam mit dem Bundesminister der Verteidigung überreichen zu können. Deshalb möchte ich jetzt den Herrn Minister zu mir bitten, um die Ehrung der vier Soldaten mit mir vorzunehmen.

* Quelle: Website der Bundesregierung, 6. Juli 2009; www.bundesregierung.de


Das Ehrenkreuz der Bundeswehr für Tapferkeit ist eine neue Stufe der bisherigen Ehrenzeichen der Bundeswehr: der Ehrenmedaille und dem Ehrenkreuz in Bronze, Silber und Gold. Die Auszeichnung ist für Taten vorgesehen, die weit über das erwartete Maß an Tapferkeit im Rahmen der Pflichterfüllung hinausgehen.

Diese Auszeichnung ist nicht auf den Einsatz beschränkt, Tapferkeit kann auch im Übungs- und Ausbildungsdienst zum Tragen kommen. Erheblich gesteigerte Tapferkeit ist insbesondere anzunehmen, wenn folgende Merkmale erfüllt sind:
  • angstüberwindendes, mutiges Verhalten bei außergewöhnlicher Gefährdung für Leib und Leben mit Standfestigkeit und Geduld, um den militärischen Auftrag zu erfüllen
  • herausragendes Führungsverhalten in der konkreten Gefährdungssituation sowie
  • selbständiges, entschlossenes und erfolgreiches Handeln in einer ungewissen Situation.
* Quelle: Website der Bundesregierung; www.bundesregierung.de




Rede des Bundesministers der Verteidigung anlässlich der Trauerfeier in der Evangelischen Stadtkirche Bad Salzungen

Bad Salzungen, 02.07.2009 **

(...)
Die drei Soldaten, um deren Verlust wir heute trauern, gehörten alle der Schutzkompanie in Afghanistan an, die das regionale Wiederaufbauteam in Kunduz unterstützt. Am 23. Juni erhielt die Schutzkompanie den Auftrag, westlich des Flusses Kunduz aufzuklären.

Die Soldaten sollten dabei eine verkehrswichtige Straße auf versteckte Sprengfallen überprüfen, damit die Menschen in der Region diese Straße wieder sicher befahren können. Dabei gerieten unsere Soldaten unter Beschuss. Die Patrouille erwiderte das Feuer. Im Verlauf des Gefechts geriet ihr Transportpanzer von der Straße ab. Er rutschte in einen Wassergraben, stürzte um und blieb auf dem Dach liegen.

Vier Soldaten der siebenköpfigen Besatzung konnten sich aus dem Fahrzeug retten. Für die drei gefallenen Soldaten kam jede Hilfe zu spät. Die Hauptgefreiten Martin Brunn, Alexander Schleiernick und Oleg Meiling starben bei einem Auftrag, der das Leben anderer schützen sollte.

Sie wurden mitten aus dem Leben gerissen: in der Folge eines hinterhältigen und verbrecherischen Anschlages! Ihr Tod reißt eine Lücke in unser Leben. Niemand kann Eltern und unmittelbare Angehörige über diesen Verlust hinwegtrösten. Und auch die Freunde und Soldaten, ganz besonders in Bad Salzungen und Zweibrücken, vermissen die Kameraden an ihrer Seite.

Der gewaltsame Tod dieser drei jungen Menschen konfrontiert uns alle mit der Frage nach dem Sinn dieses Einsatzes in Afghanistan. Wir, die Mitglieder der Bundesregierung und die Mitglieder des Bundestages, haben die Soldaten nach Afghanistan geschickt.

Wir tragen die Verantwortung, und wir sind Ihnen heute eine Antwort schuldig. Meine Antwort ist klar und eindeutig: Wir sind in Afghanistan, weil wir die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger Deutschlands schützen. Das ist unsere Pflicht und unser verfassungsmäßiger Auftrag.

In den Worten der Präambel unseres Grundgesetzes: „Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen, von dem Willen beseelt, als gleichberechtigtes Glied in einem vereinten Europa dem Frieden der Welt zu dienen“. In Afghanistan dienen wir dem Frieden der Welt, indem wir das Übel des Terrorismus an seiner Quelle bekämpfen.

Wir haben es dabei mit einem zynischen und rücksichtslosen Gegner zu tun, für den Menschenleben nicht zählen. Sie missbrauchen die Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde und schießen selbst auf Sanitäter.

Und sie zielen darauf, die öffentliche Meinung in Deutschland zu beeinflussen, damit wir uns zurückziehen und sie ihr verbrecherisches Ziel erreichen. Das wird ihnen nicht gelingen. Leider verkennen einige auch bei uns diese Gefahr für unsere Sicherheit.

In der Trauer um den Verlust, dürfen wir uns nicht den Blick auf das in Afghanistan erreichte verstellen lassen. Afghanistan war das Ausbildungscamp und Domizil für den internationalen Terrorismus. Wir haben Afghanistan von dem terroristischen Regime der Taliban befreit. Wir helfen den Afghanen dabei, Stabilität zu erreichen und ihre Sicherheit wieder selbst in die Hand zu nehmen.

Das Ziel unseres Stabilisierungseinsatzes ist klar: ein stabiles und sicheres afghanisches Staatswesen.

Wir setzen uns für ein Afghanistan ein, das sich seiner inneren und äußeren Feinde sowie des Terrorismus und der organisierten Kriminalität erwehren kann. Diejenigen, die jetzt an Rückzug denken, würden Afghanistan wieder in die Hände der Taliban geben. Genau das ist es, was die Taliban erreichen wollen.

Und das dürfen wir auch im Interesse unserer Sicherheit nicht zulassen. Wir werden daher in unserem Engagement nicht nachlassen und uns weiterhin Hand in Hand mit der internationalen Gemeinschaft und der afghanischen Armee und der afghanischen Polizei den Handlangern des Terrorismus entschieden in den Weg stellen.

Das sind wir Martin Brunn, Alexander Schleiernick und Oleg Meiling schuldig!

Staat und Soldaten sind durch gegenseitige Treue miteinander verbunden. Dies verpflichtet uns alle. Unsere Soldatinnen und Soldaten schwören in ihrem Eid, der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des Deutschen Volkes tapfer zu verteidigen. Die Soldaten der Bundeswehr stehen zu diesem Eid.

Sie erfüllen ihren gefährlichen Auftrag in der festen Überzeugung, damit dem Schutz und der Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger unseres Landes zu dienen. Auch die Hauptgefreiten Martin Brunn, Alexander Schleiernick und Oleg Meiling waren nach Afghanistan gekommen, um diese Verpflichtung einzulösen.

Sie waren gute Soldaten und echte Patrioten!
(...)

** Wir haben die Rede von Verteidigungsminister Jung anlässlich der Trauerfeier für die in Afghanistan gefallenen Soldaten Martin Brunn, Alexander Schleiernick und Oleg Meiling um den Teil gekürzt, der sich mit den Beileidsbekundungen für die Hinterbliebenen befasste.

Quelle: Website des Verteidigungsministeriums, 2. Juli 2009; www.bmvg.de



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