Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Weniger Aufträge von der Bundeswehr – weitreichende Folgen für die Rüstungsindustrie?

Ein Beitrag von Nicolai Kwasniewski aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien"

Andreas Flocken (Moderation):
Die Bundeswehr wird nicht zuletzt wegen der Sparzwänge drastisch verkleinert und ganz neu ausgerichtet. Wie die neue Bundeswehr genau aussehen wird, das ist zwar noch offen. Klar ist aber schon jetzt, dass es künftig weniger Auf-träge für die Rüstungsindustrie geben wird. Zu den Auswirkungen der Bundes-wehrreform auf die Rüstungsbetriebe – Nicolai Kwasniewski:

Manuskript Nicolai Kwasniewski

Seit ein paar Wochen kursiert eine Streichliste – dort schlägt der Führungsstab der Streitkräfte Kürzungen in allen Teilen der Bundeswehr vor. Von der Stück-zahlreduzierung bis zum kompletten Verzicht auf geplante Beschaffungsprojek-te. Neun Milliarden Euro könnten so in den kommenden Jahren eingespart werden, heißt es in dem Papier, - vor allem auf Kosten der deutschen Rüs-tungsindustrie, befürchten Lobbyisten. Deren zum Jahresbeginn neu gegründe-ter „Bundesverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie“, kurz BDSV, residiert in der Friedrichstraße, mitten in Berlin. Geschäftsführer Heinz Marzi, früher stellvertretender Inspekteur der Luftwaffe, sieht dringenden Handlungsbedarf:

O-Ton Marzi
„Die Industrie muss langfristig planen, langfristige Planung kann mit vielen Risi-ken und auch mit vielen Veränderungen umgehen. Womit man sich schwer tut ist, wenn man kurzfristig reagieren muss. Und deswegen beginnen die Überle-gungen jetzt oder bereits gestern und nicht erst übermorgen.“

Auch wenn die Einzelheiten noch nicht feststehen: die Sparpläne werden er-hebliche Folgen für die Industrie haben, sagt der Rüstungsexperte Sascha Lange:

O-Ton Lange
„Wenn Sie wirklich insgesamt große Finanzbeträge sparen wollen in der Rüs-tungsbeschaffung, dann müssen Sie da auch an die größten Brocken einfach ran. Es nützt nichts, wenn Sie da verschiedene kleine Programme mit ein paar Millionen hier, ein paar Millionen da kürzen. Da müssen Sie schon an die Milli-ardenprojekte ran, und das sind vorzugsweise Luftfahrtprogramme, Eurofighter dritte Tranche - der zweite Teil, ist aus meiner Sicht nicht mehr beschaffungs-fähig.“

So ähnlich steht das auch in der sogenannten „Priorisierungsliste Material-investionen“ der Bundeswehr. Die Stückzahlen beim Transporthubschrauber NH90 sollen von 122 auf 80 gesenkt und beim Kampfhubschrauber Tiger von 80 auf 40 halbiert werden. Außerdem sollen „schnellstmöglich“ die derzeit 185 Tornado-Kampfjets auf 85 reduziert werden, um Betriebskosten zu senken. Auf die Tranche 3b des Eurofighters, also 37 Flugzeuge, soll sogar komplett verzichtet werden. Während die Lobbyisten Alarm schlagen und zu Guttenberg als „Totengräber“ der militärischen Luftfahrt bezeichnen, hält der Kieler SPD-Verteidigungsexperte Hans-Peter Bartels die Vorschläge für sinnvoll:

O-Ton Bartels
„Es gibt Verträge, die zu viel Stückzahl Eurofighter vorsehen und wo die Stück-zahl der Kampfhubschrauber Tiger zu hoch ist. Da kann man ran, da müsste man reduzieren. Denn das sind Bestellmengen aus dem Kalten Krieg.“

Hubschrauber, Kampfjets, Transportflugzeuge – vor allem große Herstellerfir-men wie EADS sind davon betroffen. Mehr als die Hälfte des Beschaffungs-etats der Bundeswehr landet in den Büchern der Airbus-Mutter. Für EADS dürfte insbesondere der vorgeschlagene Verzicht auf das Drei-Milliarden-Euro Projekt der Drohne Talarion sehr schmerzlich sein. Allerdings hängen auch an den Großkonzernen eine Reihe von Zulieferfirmen, und die leiden laut BDSV-Verbandschef Marzi schon jetzt:

O-Ton Marzi
„Es gibt einen Bereich nach meiner bisherigen Kenntnis, der bereits ganz kon-kret betroffen ist. Das betrifft direkt die kleinen und mittelständischen Unter-nehmen der luftfahrzeugtechnischen Branche, der Ausrüsterfirmen und der Firmen, die im Rahmen von Instandhaltung, Instandsetzung, Ersatzteile repa-rieren oder herstellen. Die haben bereits auf Grund des dort nach meinem Kenntnisstand verfügten Auftragsstopps signalisiert, dass sie in etwa drei, vier Wochen an einem Punkt angelangt sind, wo sich die Frage nach der Existenz dieser kleinen Elemente entweder Unternehmen selbst oder Teilbereiche von Unternehmen, stellen.“

Auch die Zahl der Panzer soll drastisch reduziert werden und besonders hart dürfte es die schwimmenden Verbände treffen. In dem Papier „Marine 2025 Plus“ geht die Bundeswehr davon aus, dass die Marine in den kommenden Jahren deutlich weniger Schiffe bestellen wird. Der SPD-Verteidigungsexperte Bartels sieht die Marine deshalb schon am Rande der Einsatzfähigkeit:

O-Ton Bartels
„Ich glaube schon: Die Zahl der Plattformen ist nicht banal. Man hat ein Schiff oder man hat es nicht zur Verfügung. Es nützt nichts, Statistiken über Verfüg-barkeiten aufzuschreiben. Sie brauchen das Schiff dann, wenn tatsächlich in-ternationale Manöver oder Missionen beginnen. Und da nützt es Ihnen nichts, wenn es in der Werft liegt."

Weil die Werftkapazitäten aber schon jetzt nicht ausgelastet sind, fürchtet der deutsche Marineschiffbau um seine Existenz. In Bartels Heimatstadt und Wahl-kreis liegt die große Werft HDW, eine Tochter der ThyssenKrupp Marine Sys-tems. Wenn sich die dort hergestellten U-Boote vom Typ 212A nicht verkaufen lassen, werde es schwierig, den Standort zu erhalten, sagt er.

O-Ton Bartels
„Da gibt es schon auch ein nationales industriepolitisches Interesse zu sagen, lasst das nicht kaputtgehen, damit am Ende für die Marine nur noch in Frank-reich Schiffe gebaut werden.“

Dabei steht die deutsche Rüstungsindustrie zurzeit eigentlich recht gut da. Die Wirtschaftskrise hat die Unternehmen kaum getroffen, auch wenn es hierfür bundesweit keine harten Zahlen gibt. Der Kieler SPD-Abgeordnete Bartels kann jedenfalls für sein Bundesland sagen:

O-Ton Bartels
„Für Schleswig-Holstein gibt es Zahlen, weil hier ein Verband existiert, der sehr rührig, beinahe rührend, von Jahr zu Jahr die Zahlen zusammenträgt: Beschäf-tigte in der Industrie, Umsätze, Ertrag der Industrie. Da haben wir übrigens festgestellt in Schleswig-Holstein, dass seit 1990 die wirtschaftliche Lage der Unternehmen relativ stabil geblieben ist.“

Wenn sich die Rüstungsfirmen jetzt allein wegen der Bundeswehr-Sparpläne Sorgen machen, dann nur, weil sie nicht so innovativ sind wie die zivilen Ma-schinenbauer, sagt der Rüstungsexperte Sascha Lange:

O-Ton Lange
„Das ist bei militärischen Systemen, bei der Beschaffung ganz anders. Da ha-ben Sie viel stärker segmentierte Märkte. Sie haben immer noch, wenn man so möchte, Erbhöfe, wo unterschiedliche Unternehmen in unterschiedlichen Märk-ten sich in der Vergangenheit immer sicher wähnen konnten, dass sie be-stimmte Beschaffungsanteile für sich sicher abstecken konnten.“

Eine Situation, aus der sich die Industrie weitgehend alleine befreien könnte:

O-Ton Lange
„Das Heil liegt da in der Kundenorientierung, wie überall in der Industrie. Man muss einfach gucken, was wird benötigt. Das ist aus meiner Sicht in den ver-gangenen Jahren nicht im ausreichenden Umfang vorgenommen worden.“

Und jetzt könnte es dafür zu spät sein. Denn die Streich-Vorschläge, die in der „Priorisierungsliste Materialinvestitionen“ auftauchen sind, so schreiben es die Rüstungsplaner, nur ein „erster Schritt“. Aus den Sparvorgaben und der ge-planten Truppenreduzierung könne sich „die Notwendigkeit weiterer Reduzie-rungen bzw./eines Verzichts in einzelnen Fähigkeitsbereichen ergeben“, heißt es weiter.

Für die Rüstungsindustrie kommt das einer Kriegserklärung gleich. Der Bun-desverband der deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie BDSV warnt deshalb in einem gemeinsam mit der IG Metall verfassten Branchenreport:

Zitat
„Wird die Bundeswehr in der Zukunft nicht mehr auf eine nationale wehrtechni-sche industrielle Basis zurückgreifen können, werden zukünftige Beschaf-fungsvorhaben auf Dauer nicht nur teurer, sondern zwangsläufig immer die technisch zweit- oder drittbeste Lösung darstellen. Und es kann in bestimmten Situationen die Liefersicherheit für unsere Bundeswehr beeinträchtigen.“

Gemeinsam mit den Lobbyisten warnt die IG Metall vor dem Verlust von Ar-beitsplätzen. Wie viele Menschen die Rüstungsunternehmen tatsächlich be-schäftigen, bleibt allerdings unklar. Der BDSV spricht von 80.000 Arbeitsplät-zen. Belege darüber hat er aber nicht. In der Branche ist die Rede von gerade einmal 35.000 Stellen. In dem Report von IG Metall und dem Rüstungsindust-rieverband BDSV heißt es trotzdem:

Zitat
„Die Sicherung einer wehrtechnischen industriellen Basis ist also nur über nati-onale Aufträge oder eben einer Verbesserung der Rüstungsexportmöglichkei-ten zu erreichen.“

Denn europaweit gebe es einfach zu viele Rüstungsunternehmen, sagt Kai Burmeister, im Vorstand der IG Metall zuständig für die Wehrtechnik:

O-Ton Burmeister
„Wir haben, das gehört zu einer Lageeinschätzung dazu, in Europa unteraus-gelastete Kapazitäten in der wehrtechnischen Industrie. Und es ist nicht klar, wie die ausgelastet werden sollen.“

Damit die deutschen Unternehmen überleben, sehen IG Metall und BDSV das Heil im Export. Auch für den internationalen Erfolg ist aber die Bundeswehr als Erstkunde gefragt, sagt Burmeister:

O-Ton Burmeister
„Es gibt natürlich einen engen Zusammenhang zwischen Einführung bei der Bundeswehr und Exporterfolg im Ausland. Was bei der Bundeswehr nicht ein-geführt ist, kann im Ausland auch nicht verkauft werden.“

Das Dilemma: Die großen Beschaffungsentscheidungen der europäischen Staaten sind längst gefallen. Zudem haben auch Großbritannien oder Frank-reich ihre Verteidigungsetats zusammengestrichen. Deshalb schauen die BDSV-Mitgliedsunternehmen jetzt vor allem nach Indien, Brasilien, Nordafrika und den arabischen Golf. Und dafür fordert Verbandschef Marzi Unterstützung aus Berlin:

O-Ton Marzi
„Die generelle Linie sollte aus unserer Sicht lauten - von der Einstellung derje-nigen her, die in diesen Prozess einbezogen sind - von der Exportkontrolle zur Exportförderung im Sinne von Exportunterstützung [zu kommen]. Und dann im weiteren Sinne auch im Sinne von Industriepolitik. “

Zwar könne man sich über das Vorgehen schon jetzt nicht beklagen, allerdings dauerten die Prozesse viel zu lang:

O-Ton Marzi
„Das heißt, dass man möglichst zeitnah zu Entscheidungen kommt. Denn nichts ist schlimmer, nichts ist gefährlicher und der Intentionen abträglicher als ein Prozess, der sich über 10, 12 Monate hinzieht von der Anfrage bis zur Ge-nehmigung. Dem Aspekt Zeit kommt also da eine wirklich überragende Bedeu-tung zu.“

Die Einsparungen im Verteidigungshaushalt könnten der Rüstungsindustrie über Umwege also sogar helfen: Weniger Aufträge im Inland, dafür soll die Bundesregierung den Unternehmen Märkte öffnen im Ausland. Gerade EADS hofft darauf, den Eurofighter nicht nur nach Saudi-Arabien, sondern demnächst auch nach Indien verkaufen zu können.

* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 11. September 2010; www.ndrinfo.de


Zurück zur Bundeswehr-Seite

Zur Seite "Rüstung, Rüstungsexport, Abrüstung, Beschaffung"

Zur Konversions-Seite

Zurück zur Homepage