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Friedensbewegung: Afghanistan-Einsatz beenden - Bundeswehr abziehen - Hilfe statt Soldaten!

Appell und Offener Brief an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Pressemitteilungen nebst Erklärung (Appell bzw. Offener Brief an Bundestagsabgeordnete) aus der Friedensbewegung zur bevorstehenden Verlängerung des Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr.



PRESSEMITTEILUNG
des Bundesausschusses Friedensratschlag
  • Appell: Afghanistan-Einsatz beenden - Bundeswehr abziehen
  • Friedensinitiativen wenden sich an Wahlkreis-Abgeordnete
  • Protestaktion am Mittwoch vor dem Reichstag
  • "Tabu" Verteidigungshaushalt brechen
Kassel, 26. September - Am kommenden Mittwoch entscheidet der (alte) Bundestag über die Verlängerung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan. In einem dringenden Appell an die Abgeordneten (siehe Anhang) fordert der Bundesausschuss Friedensratschlag, den Antrag der noch amtierenden Bundesregierung abzulehnen und die Soldaten aus Afghanistan abzuziehen. Der Bundesregierung wird vorgeworfen, den Bundestag und die Öffentlichkeit über den wirklichen Auftrag der Bundeswehr in Afghanistan im Unklaren zu lassen. Durch die verdeckten Operationen der KSK-Truppen (als Teil des US-Krieges "Enduring Freedom) sei Deutschland Kriegspartei und als solche nicht geeignet, "zugleich eine wirksame zivile Aufbauhilfe im Kriegsgebiet zu leisten". "Der Bundestag muss wissen", erklärte ergänzend der Sprecher des "Bundesausschusses Friedensratschlags", "dass er damit der Verlängerung eines unsinnigen und nicht ungefährlichen Militäreinsatzes zustimmt".

Der "Appell an die Abgeordneten" wurde auf einem Strategieseminar der Friedensbewegung am Wochenende in Oberhof (Thüringen) beschlossen. Der Appell wird heute an alle Bundestagsabgeordneten geschickt. Friedensinitiativen im ganzen Land werden versuchen, den jeweiligen Wahlkreis-Abgeordneten den Appell persönlich auszuhändigen. Am Mittwoch wird der "Friedensratschlag" zusammen mit Gruppen der Berliner Friedensbewegung vor und während der Bundestagssitzung vor dem Reichstag protestieren.

Großen Raum nahm auf dem Strategieseminar das Thema "Abrüstung statt Sozialabbau" ein. Der "Friedensratschlag" will in einer breiten gesellschaftlichen Debatte, die vor dem Bundestag nicht Halt machen darf, das Tabu brechen, wonach über die Höhe der Verteidigungsausgaben in der Öffentlichkeit nicht gesprochen wird.

F. d. Bundesausschuss Friedensratschlag:
Peter Strutynski (Sprecher)

Anhang:

Appell an die Abgeordneten des Deutschen Bundestags

Afghanistan-Einsatz beenden - Bundeswehr abziehen

Der Bundesausschuss Friedensratschlag ruft die Abgeordneten des Bundestags auf, dem Antrag der Bundesregierung auf Verlängerung und Erweiterung des Bundeswehreinsatzes in Afghanistan nicht zuzustimmen.

In Afghanistan sind deutsche Truppen nicht nur zur Wiederaufbauhilfe, sondern auch als kämpfende Einheiten eingesetzt. Wo, wie und wozu die Truppen des Kommandos Spezialkräfte (KSK) im Einzelnen an der Seite der US-Kampftruppen verwendet werden, wird von der Bundesregierung beharrlich verschwiegen. Presseberichte, z.B. im STERN und im SPIEGEL lassen aber Schlimmes vermuten.

Die am Mittwoch im Bundestag anstehende Mandatsverlängerung des Bundeswehreinsatzes betrifft zwar nicht unmittelbar diese KSK-Einheiten. Ihr Einsatz führt aber dazu, dass Deutschland eine Krieg führende Partei in Afghanistan ist. Als solche ist sie nicht geeignet, zugleich eine wirksame zivile Aufbauhilfe im Kriegsgebiet zu leisten.

Zudem wird der Auftrag der auf 3.000 Soldaten aufgestockten Truppen sowohl räumlich als auch sachlich erweitert. Einsatzgebiet ist nicht mehr nur Kabul und die Region Nord (mit Kunduz), sondern auch in der ISAF-Region West. Eine Klausel lässt sogar den Einsatz an jedem beliebigen Ort in Afghanistan zu. In Abschnitt 7 heißt es nämlich: „Darüber hinaus können sie ... in anderen Regionen für zeitlich und im Umfang begrenzte Unterstützungsmaßnahmen eingesetzt werden ...“). Die sachliche Erweiterung ergibt sich aus der Bedeutung, die die Bundesregierung dem Kampf gegen den Drogenanbau in Afghanistan beimisst. Obwohl in der Beschlussvorlage ausdrücklich gesagt wird, dass die Drogenbekämpfung „nicht Auftrag des Bundeswehreinsatzes“ ist (Abschnitt 3), sollen sich deutsche Soldaten dennoch mindestens indirekt daran beteiligen. Etwa durch „logistische Hilfe“ für die „nationalen“ (d.h. afghanischen) und „internationalen Drogenbekämpfungseinrichtungen“ oder durch die Zusicherung der engen Zusammenarbeit mit den britischen Truppen, deren Hauptaufgabe in Afghanistan die Führung des militärischen Antidrogenkampfes ist. (Vgl. den Bericht der Bundesregierung vom 22. April 2005: Deutscher Beitrag zur Drogenbekämpfung in Afghanistan“, der dem Antrag der Bundesregierung als Anlage beigefügt ist.)

Wir fordern daher den vollständigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan. Dadurch würden die 318,8 Mio. EUR, die für den 12-monatigen Einsatz vorgesehen sind, frei werden. Dieses Geld ist besser angelegt für zivile Hilfsprogramme, um den Aufbau einer zivilen und demokratischen Gesellschaft in Afghanistan zu fördern, in der die Menschenrechte geachtet und die Gleichheit der Frauen real durchgesetzt werden.

Zugleich erklären wir, dass eine solche Entscheidung über den Einsatz von bis zu 3.000 Soldatinnen und Soldaten in Afghanistan nicht von dem alten Bundestag getroffen werden dürfte. Vielmehr wäre dies Aufgabe des soeben gewählten und vom Souverän, dem Volk, legitimierten Parlament.

Schluss mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr. Der Sozialstaat Deutschland wird nicht am Hindukusch verteidigt, sondern hier bei uns. Wer bei der Umstrukturierung der Bundeswehr zu einer schlagkräftigen Interventionsarmee und bei Militäreinsätzen in aller Welt mit der Genehmigung von Millionen und Milliarden Euro nicht zimperlich ist, hat kein Recht, gleichzeitig mit der Agenda 2010 und Hartz IV die sozialen Leistungen des Staates immer weiter zu reduzieren.

Bundesausschuss Friedensratschlag
Oberhof (Thüringen), 25. September 2005



Offener Brief an die MdBs zum Afghanistan-Mandat der Bundeswehr

An die Presse, Sonntag, 25.09.2005

Friedensorganisationen fordern Abzugsplan statt Mandats-Erweiterung der Bundeswehr und mehr zivile Hilfe für Afghanistan

In einem Offenen Brief appellieren die in der "Kooperation für den Frieden" zusammengeschlossenen Organisationen an die Mitglieder des (alten) Bundestages, der vom Bundeskabinett beschlossenen Verlängerung und Erweiterung des Afghanistan- Mandates der Bundeswehr (ISAF) in der kommenden Woche nicht zuzustimmen.
Die Friedensgruppen warnen vor der zunehmenden Vermischung des von der UNO mandatierten ISAF-Auftrages mit dem US-geführten "Anti-Terror"-Krieg (Enduring Freedom). Die NATO plant die engere Verzahnung der bisher getrennten Einsätze z.B. durch einen gemeinsamen (us-amerikanischen) Oberkommandierenden.

Dem ISAF-Einsatz bescheinigt die Kooperation für den Frieden weitgehende Erfolglosigkeit bei der Herstellung von Sicherheit für die afghanische Bevölkerung und der Eindämmung des Attentats-Terrorismus. Die Warlords, Korruption und organisierte (Drogen-)Kriminalität bestimmten den afghanischen Alltag unter dem Schutz von ISAF. Demokratisierung und ein selbstbestimmter Prozess des Wiederaufbaus werde durch die Einflussnahme von außen - insbesondere die militärische - eher behindert.

f.d.R.: Manfred Stenner

Der Offene Brief im Wortlaut:

Offener Brief der Kooperation für den Frieden an die Abgeordneten des Deutschen Bundestages

Konkreter Abzugsplan statt Mandatsverlängerung
Nicht Soldaten, sondern Hilfe benötigt Afghanistan


Sehr geehrte Damen und Herren Abgeordnete!

Das Bundeskabinett hat am 21.09.2005 beschlossen, den Afghanistan- Einsatz der Bundeswehr zu verlängern und auszuweiten und zwar über das Ende des sogenannten Petersberg-Prozesses hinaus, der mit den Parlamentswahlen in Afghanistan zu Ende ging. Außerdem wird der Einsatzbereich deutlich erweitert, was einer von den USA und Grossbritannien gewünschten Verzahnung mit der Operation Enduring Freedom den Weg bereitet und die Ausrichtung des Einsatzes immer mehr verändert. Sie als Mitglied des Deutschen Bundestages sollen der Kabinettsvorlage in der kommenden Woche zustimmen. Wir bitten Sie dies nicht zu tun.

Der unter NATO-Kommando stehende ISAF-Einsatz war kein Erfolg, was die Sicherheit der afghanischen Bevölkerung und die nachhaltige Bekämpfung von Attentats-Terrorismus angeht. Attentate sind in Afghanistan nach wie vor Alltag. Ein höchst fragwürdiger Erfolg war lediglich die Enttabuisierung von militärischen Interventionen Deutschlands und die Unterstreichung des deutschen Anspruchs auf eine stärkere militärische Rolle in internationalen Beziehungen.

Minister Struck spricht davon, die Bundeswehr verhindere, dass Afghanistan zu einer "Brutstätte des Terrorismus" werde. Der ISAF- Einsatz aber war ungeeignet die Lebensbedingungen so zu verändern, dass keine Attentäter mehr "ausgebrütet" werden. Der stellvertretende Gouverneur von Mazar-e-Sharif sagte zu einer deutschen Delegation: Kein Afghane werde sich von seiner Waffe trennen, solange nicht Stabilität erreicht ist und Arbeit und Einkommen gesichert sind. Er trifft damit den Nagel auf den Kopf. Gegenwärtig wurden vorwiegend schrottreife Waffen abgeliefert. Die organisierte Kriminalität gedeiht ebenso kräftig wie der Mohnanbau zur Opiumerzeugung. Die Warlords sind die eigentlichen Machthaber und die Korruption blüht. Die meisten Menschen leben in tiefsten Elend und die Hilfe für sie ist gänzlich unzureichend.

Ein aus der afghanischen Gesellschaft heraus gestalteter Prozess des Wiederaufbaus wird durch die Einflussnahme von außen, insbesondere durch militärische behindert. Demokratisierung erfordert mühsame Kleinarbeit durch zivile Konfliktbearbeitung und zivile Wiederaufbauarbeit an der Basis. Kooperation mit Warlords zum Zwecke der "Terroristenjagd" ist dagegen entwicklungs- und demokratiefeindlich.

Mit den 300 Millionen €, die der Bundeswehr-Einsatz im letzten Jahr gekostet hat, hätten viele entwicklungspolitische Aktivitäten der Bildung, der Gesundheitsfürsorge, der Unterstützung für Frauen und Kinder, der Einkommensbeschaffung als Ersatz für Kriegsdienst und Mohnanbau, des Wohnungsbaus usw. gefördert werden können. Das wäre wirklich eine humanitäre Intervention gewesen.

Gegenwärtig versuchen die deutschen Behörden, die nach Deutschland geflohenen Afghanen gnadenlos abzuschieben, obwohl alle Instanzen in Afghanistan bitten, dies nicht zu tun, da es keine angemessenen Voraussetzungen für die Aufnahme dieser Menschen gibt. Statt dieser inhumanen deutschen Intervention gilt es, nicht weitere Soldaten zu entsenden, sondern Afghanistan dabei zu unterstützen, solche Voraussetzungen erst zu schaffen und den so genannten "ausreisepflichtigen Afghanen" hier weiteren Aufenthalt zu gewähren.

Wir bitten Sie daher, der Verlängerung und Ausweitung des ISAF- Mandates für die Bundeswehr nicht zu zustimmen, insbesondere weil dieses sich durch die geplanten gemeinsamen Kommandostrukturen und die Verzahnung mit dem US-amerikanischen "Kampf gegen den Terror Enduring Freedom" in einem fundamentalen Wandel befindet. Engagieren Sie sich stattdessen im Sinne einer entschiedenen zivilen Politik zu Gunsten der afghanischen Bevölkerung!

Mit freundlichen Grüßen
Die SprecherInnen der Kooperation für den Frieden
Matthias Jochheim, Susanne Grabenhorst, Renate Wanie
Kooperation für den Frieden
c/o Netzwerk Friedenskooperative


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