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"Eine über weite Strecken beängstigende Lektüre"

Rezension eines kritischen Geschichtsbuches über 50 Jahre Bundeswehr

Detlef Bald: Die Bundeswehr. Eine kritische Geschichte 1955 – 2005.
Verlag C. H. Beck , München 2005, 232 S., € 12.90.


Der Zeithistoriker Detlef Bald verfolgt in diesem im Format eines Taschenbuchs pünktlich zum 50. Geburtstag der Bundeswehr erschienenen Band zwei Wege: Zum einen zeichnet er auf knappem Raum die Entwicklung der Bundeswehr von ihren Anfängen bis zur Gegenwart nach, zum anderen verfolgt er ein politisches Anliegen: Die Eingliederung dieser Armee in den bürgerlich-demokratischen Rechtsstaat, was für ihn nichts Anderes heißen kann als die Orientierung dieser Armee an den Maßstäben der von General von Baudissin konzipierten Inneren Führung – einfacher ausgedrückt: Die Verankerung eines demokratischen Selbstverständnisses in der Bundeswehr selbst. Somit folgt die Untersuchung dem zeitgeschichtlichen Ablauf seit 1955. Die Streitkräfte selbst werden an den Normen gemessen, die für sie als bewaffneter Arm eines demokratischen Rechtsstaats Gültigkeit haben sollten. Diese Normen implizieren nach Auffassung des Verfassers den endgültigen Abschied der bundesdeutschen Streitkräfte von den militaristischen Traditionen des Preußentums, der Weimarer Republik und vor allem der Nazi-Wehrmacht. Damit gerät dieser Band zugleich zu einer Streitschrift gegen unselige Traditionspflege und rückwärtsgewandtes Selbstverständnis der Bundeswehr. Dabei stützt sich Bald auf eine ungeheure Fülle zeitgeschichtlichen Materials, das bisher nicht systematisch aufgearbeitet wurde. Die Bilanz eines halben Jahrhunderts Bundeswehr gerät so zu einer spannenden und zugleich über weite Strecken beängstigenden Lektüre. Hilfreich und nützlich sind eine knappe Chronologie und ein Personenregister.

Schon die Symbolik der gleich zu Beginn eindrücklich beschriebenen Gründungsfeier der Bundeswehr mutet düster an und gerät gewissermaßen zum Menetekel: Unter einem fast fünf Meter großen eisernen Kreuz haben sich unter dem ersten Verteidigungsminister Theodor Blank fast einhundert Träger dieser preußisch-deutschen Kriegsauszeichnung versammelt – hohe Soldaten der ehemaligen Nazi-Wehrmacht. Mit kurzen Rückverweisen auf die Stein-Hardenbergschen Reformen, auf Scharnhorsts Versuche zur Übertragung bürgerlicher Rechte in das Militär zeigt Bald, dass eine anderes Traditionsverständnis von Militär möglich wäre. An diese Traditionslinie knüpfte General Baudissin mit seinem Konzept vom Staatsbürger in Uniform an – ein Konzept, das sich allerdings in der Bundeswehr nie durchsetzen sollte, denn Wiederaufrüstung und Kalter Krieg verzahnten sich mit der Vorstellungswelt der ehemaligen Wehrmachtsgeneräle: „Ein einzigartiges Panorama tauchte wieder auf. Die operativen Maximen des Generalstabs der vierziger Jahre standen erneut im Zentrum einer europaweiten ‚Gesamtverteidigung von den Dardanellen bis nach Skandinavien’.“ (S. 29). Gegen die Traditionalisten in der Bundeswehr gab es jedoch zu Anfang der 70er Jahre unter Kanzler Brandt und Verteidigungsminister Schmidt Reformversuche, die vor allem auf die Eingliederung des Militärs in die Gesellschaft zielten. Im Scheitern dieser Reformen sieht Bald eine Art Weichenstellung für die dann folgende Entwicklung der Bundeswehr. Offen bleibt, ob der roll back der Traditionalisten gelingen konnte, weil Schmidt deren politische Kraft unterschätzte oder ob er schrittweise vor politischem Druck kapitulierte.

Bei allen Zögerlichkeiten und Unsicherheiten, die den Umgang sozialdemokratischer Verteidigungsminister mit der Bundeswehrführung und insbesondere mit dem dornigen Thema der Traditionspflege charakterisieren, ist doch die politische Großwetterlage in der Republik von entscheidender Bedeutung für die Entwicklung von Geist und Identität der Bundeswehr gewesen: Mit dem Amtsantritt des CDU-Ministers Wörner nach den Wahlen von 1982 gab es für das Wirken des restaurativen Geistes in der Bundeswehr keine Grenzen mehr: Das „Soldatische“ im traditionellen Sinne wurde – anstelle des den meisten Militärs verhassten Konzepts der Inneren Führung – zum Selbstverständnis und Ausbildungsziel zugleich. Möglich wurde dies durch personelle Kontinuitäten, die bereits den Aufbau der Bundeswehr bestimmten und durch eine Traditionspflege, die die Taten der Wehrmacht bis hin zu denen der Waffen-SS glorifizierte. Die menschenverachtende Schinderei, die in den jüngsten Folterungen als Teil einer „kriegsnahen“ Ausbildung ihren vorläufigen Höhepunkt fand, erscheint so nicht als „Ausrutscher“ und Normüberschreitung Einzelner, sondern als Teil eines Systems, das noch immer – oder schon wieder – den „archaischen Kämpfer“ als Ausbildungsziel vor Augen hat.

Die Bilanz dieser fundierten und auf eine Vielzahl von Quellen gestützten Untersuchung muss nicht nur diejenigen schaudern lassen, die aus pazifistischer Grundhaltung Militär grundsätzlich ablehnen, sondern auch all jene, die zwar das Militär als Instrument der Politik bejahen, die es aber als Teil einer demokratischen, sich zu Rechtsstaatlichkeit und Pluralismus bekennenden Gesellschaft verstanden wissen wollen.

Werner Ruf*

* Werner Ruf, AG Friedensforschung an der Uni Kassel, bis 2003 Professor für Internationale Beziehungen an der Universität Kassel.

Die Rezension erscheint in Heft 3/2005 der Zeitschrift "Wissenschaft & Frieden" (W&F)



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