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"Ja zur Vernichtung der Chemiewaffen. Nein zum Marineeinsatz der Bundeswehr!"

Bundestag beschließt weiteren Auslandseinsatz - Erstmals auch vereinzelte Ja-Stimmen aus der Linksfraktion

Mit überwältigender Mehrheit hat der Bundestag am Mittwoch, 9. April 2014, einen neuen Militäreinsatz der Bundeswehr beschlossen, erstmals auch mit einigen Stimmen der Linken. Demnach wird sich die deutsche Fregatte "Augsburg" mit bis zu 300 Soldaten an der Vernichtung syrischer Chemiewaffen beteiligen. Zusammen mit mindestens drei Kriegsschiffen anderer Länder und einem U-Boot soll das deutsche Kontingent das US-Spezialschiff "Cape Ray" sichern helfen, auf dem Giftstoffe unschädlich gemacht werden sollen. Der Einsatz soll noch in diesem Monat beginnen. Einsatzgebiet ist "das Mittelmeer, der Nordatlantik und angrenzende Seegebiete".


Hier geht es zum beschlossenen Mandat:
Drucksache 18/984



Die Abstimmung im Bundestag war wie so oft reine Formsache. Neben der Koalition hatten auch die Grünen ihr Ja angekündigt. Und so votierten von 589 Abgeordneten satte 535 für den Einsatz. Die Linke präsentierte sich uneinheitlich. 35 der 64 Linke-Abgeordneten stimmten gegen den Auslandseinsatz der Bundeswehr. Fünf beteiligten sich nicht an der Abstimmung, 18 weitere Linke enthielten sich (z.B. Jan van Aken, Gregor Gysi), ebenso eine Abgeordnete der SPD. Novum für die Antikriegspartei: Fünf Abgeordnete – Frak­tionsvize Dietmar Bartsch, Roland Claus, Katrin Kunert, Michael Leutert und Stefan Liebich – stimmten mit Ja.

Fraktionschef Gregor Gysi, der auf Enthaltung gedrängt hatte, verteidigte das Abrücken von den Grundsätzen der Partei. Unstrittig handle es sich um keinen Inlandseinsatz der Bundeswehr, aber ein Auslandseinsatz sei es eben auch nicht, so Gysi.

Im Folgenden dokumentieren wir zwei Persönliche Erklärungen aus den Reihen der LINKEN, in denen ihr NEIN noch einmal ausdrücklich begründet wird.


Nein zum deutschen Marineeinsatz im Mittelmeer

Persönliche Erklärung nach §31 der Geschäftsordnung zur Namentlichen Abstimmung im Deutschen Bundestag am 09. April 2014 über den Antrag der Bundesregierung zur „Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord der CAPE RAY im Rahmen der gemeinsamen VN/OVCW-Mission zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen" von Sevim Dagdelen, Sahra Wagenknecht, Alexander Neu, Heike Hänsel, Inge Höger, Annette Groth, Alexander Ulrich, Andrej Hunko, Ulla Jelpke, Karin Binder, Pia Zimmermann, Niema Movassat, Azize Tank, Katrin Werner.

Wir haben heute aus prinzipieller Sicht, aber gerade auch angesichts der konkreten Sachlage, gegen den Antrag der Bundesregierung zur Beteiligung bewaffneter deutscher Streitkräfte am maritimen Begleitschutz bei der Hydrolyse syrischer Chemiewaffen an Bord der CAPE RAY gestimmt. Wir teilen die Einschätzung aus der Friedensbewegung, von Friedensaktivisten und Friedensforschern, dass „kein plausibler Grund erkennbar (ist), den zwischen Syrien und den Vereinten Nationen bzw. der OPCW ausgehandelten Abzug des gesamten syrischen Chemiewaffenarsenals und dessen Vernichtung mit einer militärischen Komponente von Seiten der Bundesrepublik Deutschland zu begleiten.“ (Stellungnahme Bundesausschuss Friedensratschlag 08.04.2013). Unsere Antwort muss zivil bleiben. Wir möchten, dass der zivile Beitrag Deutschlands zur Vernichtung der syrischen Chemiewaffen ausgeweitet wird. Deutschland darf in Zukunft nicht weiter Chemikalien oder Anlagen, die zur Herstellung von Chemiewaffen dienen, in Länder exportieren, die die Chemiewaffenkonvention nicht ratifiziert haben.

Wir haben gegen den Antrag der Bundesregierung gestimmt, weil wir überzeugt sind, dass unsere Antwort eben nicht militärisch sein darf. Auslandseinsätze der Bundeswehr lösen kein einziges Problem. Im Gegenteil schaffen sie ständig neue Probleme. Deutschland ist an der Vernichtung der Chemiewaffen aus Syrien beteiligt, ohne dass sie an einem Auslandseinsatz teilnehmen muss: Die sichergestellten Chemiewaffen werden u.a. nach Munster in Niedersachsen gebracht, wo sie vernichtet werden. Deutschland erbringt damit einen maßgeblichen Beitrag zur Vernichtung der Chemiewaffen. Das ist konkrete Abrüstungspolitik.

Wir haben heute gegen den Einsatz gestimmt, weil sich zudem eine ganze Reihe von neuen Risiken, die mit dem Einsatz eines deutschen Kriegsschiffs verbunden sind, ergeben. Gerade auch vor dem Hintergrund der Beendigung der militärischen NATO-Russland-Kooperation, einer neuen Eskalation der USA, Saudi-Arabiens und der Türkei mit False-Flag-Operations und der möglichen Vorbereitung eines Angriffskriegs gegen Syrien, ist äußerste Vorsicht geboten. Auf Nachfragen konnte die Bundesregierung keine schlüssige Erklärung liefern, warum das Mandat nicht nur das Mittelmeer, sondern auch den Nordatlantik und dessen angrenzende Seegebiete umfasst. Unklar ist weiterhin wie viele Kriegsschiffe insgesamt überhaupt eingesetzt werden sollen. Auch was die Aufgaben angeht, ist das Mandat einfach unklar.

Diese Situation gebietet es, der Bundesregierung nicht eine unwidersprochene carte blanche für ihren Militäreinsatz zu erteilen. Die Anfrage für die Entsendung des deutschen Kriegsschiffs kommt direkt von den USA. Die Frage, ob neben einer symbolischen Funktion, hier eine deutsche Entlastung der Kriegsmarine der USA für andere Aufgaben, nach dem Vorbild der Abstellung deutscher Wachmannschaften zur Bewachung von US-Kasernen im Vorfeld des Irak-Krieges übernommen werden soll, bleibt ungeklärt. Sie stellt sich allerdings aktuell verschärft, da ein weiteres US-amerikanisches Kriegsschiff ins Schwarze Meer entsandt wurde und die Bundeswehr hier somit Entlastungsfunktion für die US-Streitkräfte im Mittelmeer übernimmt. Die 12 Millionen Euro für diesen neuen Militäreinsatz wären für die Aufstockung des Etats des World Food Programmes für die syrischen Flüchtlinge besser aufgehoben. So stimmten wir auch deshalb gegen den Einsatz, weil er neben einer symbolischen Funktion dazu beiträgt, Kriegsschiffe für eine Eskalationspolitik der USA gegen Russland freizusetzen.

Wir sagen aber nicht zuletzt auch heute Nein zum Einsatz deutscher Kriegsschiffe im Mittelmeer, weil es der Kontext einer verstärkt militarisierten deutschen Außenpolitik ist, der eine Ablehnung des Einsatzes nahelegt. Seit der Münchener Sicherheitskonferenz und den Erklärungen von Außenminister Steinmeier und Verteidigungsministerin von der Leyen, mehr deutsche Weltgeltung mit einer Ausweitung deutscher Auslandseinsätze erreichen zu wollen, wird im Bundestag nahezu in jeder Sitzungswoche über einen neuen Auslandseinsatz abgestimmt. Wie die große Mehrheit der Bevölkerung lehnen wir Auslandseinsätze der Bundeswehr ab. Deutschland sollte sich nicht militärisch engagieren, sondern zivil.


Ja zur Vernichtung der Chemiewaffen. Nein zum Marineeinsatz der Bundeswehr!

Wir haben heute gegen den Antrag der Bundesregierung zur Entsendung eines bewaffneten Kriegsschiffes der Bundeswehr mit 300 Soldatinnen und Soldaten ins Mittelmeer, den Nordatlantik und angrenzende Seegebiete gestimmt.

Wir sind für die Vernichtung des syrischen Giftgases und auch dafür, dass die Reststoffe in der bundeswehreigenen Firma GEKA in Munster vernichtet werden. Den Begleitschutz durch die Fregatte Augsburg lehnen wir ab. Denn er findet nicht im luftleeren Raum statt. Er ist Teil der Neuausrichtung der Bundeswehr, die in immer mehr internationale Einsätze geschickt werden soll.

Die Bundesregierung will die Öffentlichkeit weiter an Auslandseinsätze der Bundeswehr gewöhnen. Vor nicht mal einer Woche wurde ein neuer Bundeswehreinsatz in Somalia beschlossen, morgen stimmen wir über einen weiteren neuen Einsatz in der zentralafrikanischen Republik hab. Wir lehnen diese Neuausrichtung ab. Die Bundesregierung nutzt die Vernichtung der Chemiewaffen auch, um das schlechte Bild von Auslandseinsätzen zu korrigieren.

Die Bundesregierung hat in den Fachausschüssen des Bundestags falsch informiert. Sie hat ein Mandat vorgelegt, das ein weit über den geplanten Einsatz herausgehendes Einsatzgebiet vorsieht. Dieses Vorgehen zeigt zum wiederholten Mal, dass die Regierung zum Teil keine korrekten Informationen über die Planung von Bundeswehreinsätzen und die Einsätze selbst gibt.

Deutsche Unternehmen haben jahrelang Material für Giftgasfabriken und Giftgasbestandteile, so genannte Dual-Use-Güter nach Syrien geliefert. Es wäre wichtig, sofort die Lieferung von Dual-Use-Chemikalien an Länder, die nicht Mitglied der Chemiewaffenkonvention sind, einzustellen.

Dies wäre, neben der Beteiligung an der Vernichtung des Chemiewaffenprogramms Syriens in Munster, der wichtigste Beitrag, den zukünftigen Einsatz von Chemiewaffen zu verhindern, nicht die Entsendung der Bundeswehr ins Mittelmeer. Deshalb haben wir heute gegen die Entsendung der Marine gestimmt.

Christine Buchholz, Hubertus Zdebel, Berlin, 9.4.2014


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