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"Die Linke steht nicht auf der Seite der Freiheit für das syrische Volk"

Der Bundestag hält in einer Aktuellen Stunde Gericht über die Linksfraktion - wegen eines Antikriegs-Aufrufs. Die Debatte im Wortlaut


Am 19. Januar 2012 fand im Deutschen Bundestag eine weitere "denkwürdige" Diskussion statt, die wir im Folgenden dokumentieren wollen. Anlass war die Tatsache, dass sechs Bundestagsabgeordnete der LINKEN einen Aufruf unterzeichnet hatten, der sich gegen jegliche Intervention in Syrien und Iran ausspricht. (Der Aufruf ist hier dokumentiert: "Kriegsvorbereitungen stoppen! Embargos beenden! Solidarität mit den Völkern Irans und Syriens!".
Was sich der Ältestenrat, der für die Rednerliste verantwortlich ist, dabei gedacht hat, 10 Gegner der Linken und nur einen Redner der angegriffenen Linken zu Wort kommen zu lassen, ist sein Geheimnis. Nur weil zwei Abgeordnete der Linken von der Möglichkeit Gebrauch gemacht haben, persönliche Erklärungen abzugeben, konnte das Missverhältnis etwas gemildert werden. Eine faire Diskussion sieht aber anders aus.

Im Lauf der Aktuellen Stunde kamen - in dieser Reihenfolge - die folgenden Redner/innen zu Wort:

Deutscher Bundestag – 17. Wahlperiode – 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012

Zusatzpunkt zur Tagesordnung:
ZP 1 Aktuelle Stunde
auf Verlangen der Fraktionen der CDU/CSU und FDP
Solidarität von LINKEN-Abgeordneten mit dem syrischen Präsidenten Assad

Vizepräsident Eduard Oswald

Erster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Andreas Schockenhoff. Bitte schön, Kollege Dr. Andreas Schockenhoff.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Andreas Schockenhoff (CDU/CSU):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir beobachten weiter mit großer Sorge die Entwicklungen in Syrien. Präsident Assad führt einen brutalen Unterdrückungskrieg gegen das syrische Volk. Nach Angaben der Vereinten Nationen sind bisher mindestens 5 000 Menschen von den Schergen Assads getötet worden. Zehntausende wurden in Gefängnisse geworfen und gefoltert. Die CDU/CSU steht an der Seite des unterdrückten syrischen Volkes.

Das Assad-Regime ist in der arabischen Welt bereits isoliert. Die Mitgliedschaft in der Arabischen Liga wurde suspendiert, Sanktionen wurden verhängt. Nun muss endlich die Weltgemeinschaft handeln. Im UN-Sicherheitsrat setzt sich Deutschland seit Beginn des Aufstands in Syrien mit Nachdruck dafür ein, das Töten des Assad-Regimes zu stoppen. Leider ist man bislang am Veto Chinas und Russlands gescheitert. Wir appellieren an Moskau und Peking, endlich eine entsprechende Resolution zu unterstützen.

(Beifall bei der CDU/CSU, der SPD, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich sage aber auch in aller Klarheit: Es ist in diesem Zusammenhang nicht hinnehmbar, dass Russland weiter Waffen an das syrische Regime liefert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das syrische Volk zeigt uns nun seit fast einem Jahr mit übermenschlichem Mut, dass es keine Unterdrückung mehr will. Die Linke aber steht nicht auf der Seite der Freiheit für das syrische Volk.

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: So ein Unfug!)

Stattdessen beten Sie

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Heuchler! Wer hat denn jahrelang hofiert?)

nur die Propaganda Assads nach, die von einer Verschwörung ausländischer Kräfte redet.

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Heuchler!)

Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass das syrische Volk sehr wohl seine politische und gesellschaftliche Ordnung selbst bestimmen will, und die hat nichts mehr mit dem Diktator Assad, sondern mit Freiheit und Demokratie zu tun. Ihre Solidarität mit dem Mörder-Regime

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo denn?)

ist Ihnen offensichtlich wichtiger, und das ist menschenverachtend.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo ist die denn? Wo finden Sie die denn? Das ist doch Unfug!)

Sie nehmen nicht zur Kenntnis, dass es keineswegs der Westen ist, der ein militärisches Eingreifen fordert; der NATO-Generalsekretär hat dies bereits vor Monaten ausgeschlossen. Vielmehr sind es führende Stimmen aus der syrischen Opposition, die dies fordern, ebenso wie zuletzt hochrangige Vertreter der Arabischen Liga. Sie nehmen auch nicht zur Kenntnis, dass die UN-Hochkommissarin für Menschenrechte in ihrem Bericht von Ende November eindeutig Verbrechen gegen die Menschlichkeit in Syrien festgestellt hat. Sonst schwadroniert die Linke gerne darüber, dass mit militärischen Interventionen angeblich Rohstoffinteressen gesichert werden sollen.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das ist ja auch so!)

Die Sanktionspolitik sowohl gegen Syrien als auch gegen den Iran will doch die Ölausfuhren unterbinden, um die Regime zum Einlenken zu bewegen.

(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: So ist es!)

Dies geschieht, auch wenn es für einige Länder in der EU schmerzhaft ist. Einen besseren Beweis dafür, dass es uns um die Freiheit der Menschen geht, gibt es nicht. Die Tatsachen blenden Sie aber lieber aus, weil sie nicht in Ihre abstrusen Verschwörungstheorien passen.

Es ist noch schlimmer: Erneut beweist die Linke, dass sie nichts aus unserer Geschichte gelernt hat. Sie machen sich wieder einmal gemein mit Diktatoren, die den Weltfrieden gefährden.

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Wo nehmen Sie das her?)

Über die brutale Unterdrückung der darunter leidenden Völker sehen Sie hinweg. Ja, ich kann Ihnen das nicht ersparen: Sie billigen einen Schießbefehl auf Zivilisten –

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist ein solcher Unfug!)

wie Sie es aus Ihrer eigenen Geschichte gut kennen –, den laut Berichten von Human Rights Watch syrische Sicherheitskräfte auf explizite Anweisung des Regimes erhalten haben. Das ist die Wahrheit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Dafür gibt es keinen Beleg! Das ist falsch! Das ist eine Lüge!)

Sie leugnen, dass der Iran mit seinem Atomprogramm Nuklearwaffen produzieren will. Herr van Aken – ich darf nicht darüber reden, was Sie im Auswärtigen Ausschuss gesagt haben; aber Sie haben das auch außerhalb dieses Ausschusses immer wieder gesagt –, Sie leugnen die Berichte der IAEO über das Nuklearprogramm des Iran. Sie leugnen, dass der Iran der Auslöschung Israels das Wort redet. Herr Gehrcke, Sie haben das wiederholt getan. Dies ist vor dem Hintergrund der antisemitischen Geisteshaltung mancher in Ihrer Fraktion für uns nicht weiter verwunderlich. Es ist – das bleibt leider festzuhalten – erschreckend, dass die Linke nichts, aber rein gar nichts aus unserer Geschichte gelernt hat.
Vielen Dank.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Günter Gloser. Bitte schön, Kollege Günter Gloser.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Der bis zuletzt zu Mubarak gehalten hat!)

Günter Gloser (SPD):

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Natürlich ist Syrien ein wichtiges Thema; deshalb steht es in diesem Parlament morgen auf der Tagesordnung.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich habe nicht geglaubt, dass wir eine Aktuelle Stunde zu einem solchen Thema brauchen. Ich muss sagen: Welch ein Zynismus, welch eine Geschichtsklitterung! Als ich durch Presseberichte von dem Aufruf erfuhr, über den wir hier heute diskutieren, war ich erschüttert, und ich bin es immer noch. Was besagt dieser Text, der von sechs Mitgliedern der Bundestagsfraktion der Linken unterzeichnet worden ist? Der Aufstand der Menschen in Libyen gegen die blutige Gewalt des jahrzehntelang herrschenden Tyrannen Muammar al- Gaddafi wird darin als bloßer Angriffskrieg der USA und der NATO dargestellt.

Ist es an Ihnen vorbeigegangen, dass es für den Einsatz in Libyen ein UN-Mandat unter Billigung von China und Russland gab, außerdem die Zustimmung der Arabischen Liga, um die menschenverachtenden Angriffe des libyschen Regimes auf die eigene Bevölkerung zu stoppen? Die Embargomaßnahmen gegen Syrien und den Iran werden in einen Topf geworfen und nach demselben Schema als bloße Angriffsvorbereitung durch die USA, die NATO und Israel gewertet. Sarkastisch merke ich an: natürlich auch durch Israel. Kann es denn in den Augen solcher Autoren eine Weltverschwörung ohne Israel geben? Natürlich nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist eine Sauerei so was!)

Noch schlimmer wiegt: In den letzten Wochen und Monaten gab es in Syrien mehr als 5 000 Tote, noch mehr Verletzte und Zehntausende Verhaftete. Was ist die Reaktion der sechs Abgeordneten der Linken darauf? Sie unterschreiben diesen makabren Aufruf und verschweigen im Fall Syrien – wie im Fall Libyen – den Volksaufstand, der vor den Augen der Welt der blutigen Gewalt des syrischen Staates trotzt.

Wer hat denn einen Angriff gestartet? Die NATO, die USA, die EU? Es war Präsident Assad, der einen Angriff auf seine eigene Bevölkerung begonnen hat.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Haben Sie jemals gelesen, was die Sicherheitskräfte Kindern und Jugendlichen in der Stadt Daraa im Süden des Landes angetan haben? Ist Ihnen bewusst, dass die Rebellion der Syrerinnen und Syrer trotz aller Gewalt schon zehn Monate andauert? Das sind die Tatsachen, die Sie ignorieren. Nichts, aber auch gar nichts ist zu sehen von den durch Sie ins Spiel gebrachten kriegslüsternen Imperialisten. Wo sind denn Ihre Verschwörer?

Noch ein Wort zum Iran. Es steht für mich außer Frage, dass wir alle friedlichen Mittel einsetzen müssen, um den Iran daran zu hindern, eine Atombombe zu bauen. Darin sind sich übrigens Deutschland, die EU und die USA mit Russland und China völlig einig. Nur Abgeordnete der Linken scheinen Despoten wie Herrn Ahmadinedschad und Herrn Assad eher zu unterstützen

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das ist doch eine Lüge, eine Unterstellung!)

als Menschen, die sich gegen diese Despoten erheben. Ich merke an: Ich habe linke Politik eigentlich immer etwas anders verstanden.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Ich weiß – ich sage das ganz offen –, dass es in Ihrer Fraktion auch viele andere Stimmen gibt; ich will jetzt nicht einzelne nennen. Ich finde – das haben auch Sie zu Beginn der arabischen Rebellion angesprochen –, dass es zu Recht um die Würde der Menschen geht.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ben Ali! – Gegenruf des Abg. Volker Kauder [CDU/ CSU]: Seien Sie mal ruhig!)

Das sage ich ganz bewusst und auch selbstkritisch. Ich frage mich, was Sie in diesem Bereich gemacht haben. Wo ist eigentlich die Fraktionsführung, wo ist eigentlich die Parteiführung, die einem solchen Unsinn widerspricht, meine sehr verehrten Damen und Herren?

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Es bleibt dabei: Das ist ein Zeugnis des blanken Zynismus gegenüber den Opfern, gegenüber einem großen Teil der syrischen Bevölkerung

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Rot-Grün hat Assad doch hofiert! Rot-Grün!)

und gegenüber der Weltgemeinschaft, die sich unter großen Schwierigkeiten bemüht, im Hinblick auf zwei sehr komplexe, aber auch sehr drängende Krisenherde eine Lösung zu finden, eine Lösung, die die Gewalt beendet, ohne neue Gewalt zu provozieren, die den Menschen zu Hilfe kommt, ohne neues Leid zu erzeugen, und die auch eine Einigung mit Mächten wie Russland und China sucht, um Fehler, die in der Vergangenheit gemacht worden sind, nicht zu wiederholen.

Dieser Politik bleiben wir Sozialdemokraten verpflichtet. Wir werden uns auch weiterhin laut und deutlich von denen abgrenzen, die den Menschen in Not durch irrwitzige Verschwörungstheorien Hohn sprechen und den Blick auf die notwendigen Lösungen im Rahmen der internationalen Organisationen und des internationalen Rechts versperren.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD, der CDU/CSU, der FDP und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Nächste Rednerin in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der FDP unsere Kollegin Birgit Homburger. Bitte schön, Kollegin Birgit Homburger.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Birgit Homburger (FDP):

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die Lage in Syrien gibt Anlass zur Besorgnis. Seit Syrien am 19. Dezember des letzten Jahres das Protokoll der Beobachtermission der Arabischen Liga unterschrieben hat, geht die Gewalt weiter. Die Militäroperationen gehen weiter, und Verhaftungen und Hausdurchsuchungen finden unvermindert statt. Seit dem Eintreffen der Beobachtermission der Arabischen Liga sind über 400 Zivilisten getötet worden. Trotz der Beobachtermission finden weiterhin militärische Operationen und landesweite Verhaftungen statt. Trotz dieser Repressionen trauen sich die Menschen auf die Straße und demonstrieren. Allein in der Zeit vom 5. bis 7. Januar 2012 hat es landesweit 339 Demonstrationen gegeben, und seither hat dies unvermindert angehalten. Die Menschen in Syrien sind offenbar fest entschlossen, Menschenrechte und Demokratie einzufordern und sich nicht weiter vom Regime unterdrücken zu lassen. Dabei haben sie unsere Unterstützung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Dr. Rolf Mützenich [SPD] und Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Seit dem letzten September gibt es den Syrischen Nationalrat, der eine politische Plattform für die Inlandsund die Auslandsopposition bietet. Bundesaußenminister Westerwelle hat im November letzten Jahres in Brüssel dessen Vorsitzenden empfangen und damit ein klares Signal des Beistands an die syrische Opposition gesendet. Ich bin dankbar für diese klare Haltung des Bundesaußenministers, der Bundesregierung und der Europäischen Union. Ich finde, die Haltung der Linken ist beschämend.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie der Abg. Günter Gloser [SPD] und Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ende November 2011 hat die Arabische Liga erstmals Sanktionen gegen eines ihrer Mitgliedsländer verhängt. Am 1. Dezember 2011 wurden vom EU-Außenministerrat weitere Sanktionen verhängt und bestehende damit verschärft. Am 19. Dezember 2011 hat die Generalversammlung der Vereinten Nationen eine Resolution verabschiedet, die die fortgesetzten schweren und systematischen Menschenrechtsverletzungen in Syrien verurteilt. Wir wünschen uns, dass es eine glasklare Stellungnahme der Vereinten Nationen gibt. Diese gibt es bisher nicht. Aber ich finde, dass die Weltgemeinschaft die Lage in Syrien so eindeutig wie selten beurteilt. So wurde die entsprechende UN-Resolution mit 133 Stimmen bei nur 11 Gegenstimmen und weiteren Enthaltungen – leider haben sich auch China und Russland enthalten – angenommen. Vor diesem Hintergrund tauchte der Aufruf, den Sie von den Linken unterzeichnet haben, auf. Die Solidarisierung mit einem Regime,

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Das stimmt doch so nicht!)

das ohne Einsicht mit Brutalität gegen das eigene Volk vorgeht, ist ein Schlag ins Gesicht der Menschen in Syrien, die für Menschenrechte und gegen Unterdrückung auf die Straße gehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Sie wissen, dass Sie das erfinden? – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das steht in diesem Aufruf nicht drin!)

Sie werfen in Ihrem Aufruf den USA und der NATO vor, Krieg gegen Libyen geführt zu haben, um das Land zu kolonialisieren und seinen Reichtum auszuplündern.

Aus dem gleichen Grunde werde jetzt, so der Aufruf, von der westlichen Welt inklusive Deutschland ein Krieg gegen Syrien und den Iran vorbereitet. Das ist an Realitätsverweigerung nicht mehr zu überbieten. Selten haben so viele Länder der Welt gemeinsam die Lage in einem Land so eindeutig kritisiert und gleichzeitig mit Klarheit und Augenmaß reagiert.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ach!)

Es geht eben nicht um militärische Intervention, sondern um die Unterstützung eines demokratischen Transformationsprozesses.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Ach!)

Wir stehen an der Seite des syrischen Volkes. Diejenigen, die ihr Leben aufs Spiel setzen, um Menschenrechte einzufordern, haben unsere Solidarität und Unterstützung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Dr. Frithjof Schmidt [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN])

Meine sehr verehrten Kolleginnen und Kollegen von den Linken, ich will Ihnen sagen: Sie können Ihr Programm getrost bereinigen und alle Stellen streichen, an denen Sie je über Menschenrechte gesprochen haben. Wer sich so dreist an die Seite eines solchen Regimes stellt, hat jegliche Berechtigung, sich über Menschenrechte zu äußern, verloren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Panzer nach Saudi-Arabien!)

Und kommen Sie mir bitte nicht mit dem Argument, es sei kein Beschluss. Vier Ihrer führenden Kollegen, die für Sie die internationale Politik verantworten, haben daran mitgewirkt. Alle sind nach wie vor in ihren Ämtern. Das heißt, die Linke unterstützt diesen Aufruf komplett. Ich muss Ihnen sagen: Die Verschwörungstheorien, die Sie hier verbreiten, sind nicht nachvollziehbar. Es sind syrische Panzer, die im ganzen Land rollen. Sie von den Linken agieren deshalb nicht nur politisch blind, ideologisch und ignorant, sondern Sie machen sich mit Ihrem Verhalten auch zu Mittätern.

(Zurufe von der LINKEN: Oh!)

Wer den von Ihnen unterzeichneten Aufruf liest, der sieht, dass das eine ideologisch begründete Verdrehung der Realitäten ist. Sie ignorieren den Tod von mehr als 5 000 Zivilisten in einem Jahr. Sie behaupten in Ihrem Aufruf, dass es dem syrischen Volk unter diesem Regime möglich ist, die politische und gesellschaftliche Ordnung des Landes allein und souverän zu gestalten. Aber wer verhindert denn die politische Partizipation des syrischen Volkes? Es sind genau diejenigen, mit denen Sie sich solidarisieren.

Bei einem Regime, das schon heute ankündigt, den Bericht der Beobachtermission der Arabischen Liga, der übrigens heute vorgelegt und abgegeben werden soll, nicht anzuerkennen, ist eine klare Haltung der internationalen Gemeinschaft notwendig. Wir werden gemeinsam mit der internationalen Gemeinschaft und vor allem in enger Zusammenarbeit mit der Arabischen Liga weiter an der Seite des syrischen Volkes stehen. Wir fordern Russland und China auf, ihre Haltung zu überdenken und den Weg für eine gemeinsame Resolution im Sicherheitsrat der Vereinten Nationen freizumachen.

Wir wollen, dass das Blutvergießen ein Ende hat, und wir fordern den syrischen Präsidenten Assad dazu auf, Reformen zuzulassen und sein Land nicht in einen Bürgerkrieg zu manövrieren.
Vielen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU sowie des Abg. Günter Gloser [SPD])

Vizepräsident Eduard Oswald:

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion Die Linke unser Kollege Ulrich Maurer. Bitte schön, Kollege Ulrich Maurer.

(Beifall bei der LINKEN)

Ulrich Maurer (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Ich habe gelernt, dass es im Parlament erlaubt ist, zu lügen. Das haben Sie ausgiebig getan.

(Beifall bei der LINKEN)

Was ich hier gehört habe, waren viele Lügen und viele Verleumdungen.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU und der FDP)

– Ich werde Ihnen das jetzt belegen. – Wenn jemand seit Jahren an der Seite des syrischen Widerstands gegen Assad steht, dann sind es die Linken in Deutschland. Sie nicht!

(Zuruf von der CDU/CSU: Lächerlich!)

Sie haben eine lange Tradition der Kollaboration mit dem Regime Assad.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Was war denn zu DDR-Zeiten?)

Es war nicht gut, dass in diesem Aufruf, den sechs von uns unterzeichnet haben, die Brutalität des Regimes nicht angesprochen wurde. Ich zitiere hier aus einer Erklärung der ärztlichen Friedensorganisation IPPNW:

Keiner der Unterzeichner des Aufrufs verteidigt die brutale Gewalt des syrischen Präsidenten gegen sein eigenes Volk. Ziel des Aufrufs ist allein, vor der drohenden Kriegsgefahr für die Bürger in Syrien und im Iran durch eine Eskalation der Konflikte aufgrund der Embargopolitik und permanenter Kriegsdrohungen zu warnen.

(Otto Fricke [FDP]: Das muss man wohl ablesen!)

– Ja, Sie lesen auch viel ab; aber ich lese wenigstens wahrheitsgemäß ab.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese internationale Ärzteorganisation hat den Vorwurf also zurückgewiesen.

Ich sage es noch einmal: Es war nicht gut, dass in dem Aufruf, den sechs von uns unterschrieben haben, nichts von der Brutalität des Regimes stand. Aber jetzt kommen wir zur Wahrheit und zum Kern des Problems.

Ich zitiere Frau Kollegin Steinbach aus Ihren Reihen, die in der Rheinischen Post sagte:

Wenn am Ende überall der islamische Fundamentalismus obsiege, werde man „vielleicht sagen müssen, dass für Christen die Regime von Mubarak & Co. das kleinere Übel waren ...“

(Zurufe von der LINKEN: Ah!)

Fangen Sie mit den Klärungsprozessen in diesem Punkt also einmal bei sich an. Fangen Sie damit an!

(Beifall bei der LINKEN)

Ich zitiere aus Parlamentsdokumenten, dass Sie auf Anfrage der Fraktion Die Linke eingeräumt haben, dass noch 2011 166 Menschen aus Deutschland nach Syrien abgeschoben werden sollten,

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Unerhört!)

darunter Deserteure, die sich gegen Assad gewandt haben. Wir verteidigen diese Menschen, und Sie sagen, ab nach Ungarn zu den Parteifreunden! Von ihnen weiß man ja, dass sie diese Deserteure direkt an die syrischen Folterer weitergeben. Das ist Ihre Praxis in Deutschland.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen ist das, was Sie hier betreiben, verlogen und heuchlerisch.

(Beifall bei der LINKEN)

Bei einem Treffen des syrischen Widerstands vor wenigen Wochen waren mein Kollege Gehrcke und ein Beobachter der SPD anwesend. Von Ihnen wurde niemand gesehen. An der Erklärung des syrischen Widerstands hat unser außenpolitischer Sprecher als Autor maßgeblich mitgearbeitet.

Und weiter zu Ihren Traditionen. Noch 2009 ist Ihr damaliger Wirtschaftsminister Guttenberg auf der Tagung „Gastland Syrien“ in Berlin zum Zweck der Exportförderung herumstolziert. Dabei ging es um Geschäfte.

In einer Panorama-Sendung aus dem Jahre 2011, die ich Ihnen empfehle, ist ein hochrangiger Entwicklungsexperte der GIZ mit den Worten zu hören: Natürlich habe ich mich nie mit der syrischen Opposition getroffen; das wäre für meine Mission schädlich gewesen. Im Deutschen Bundestag gab es einen Antrag der Linken mit dem Titel „Solidarität mit den Demokratiebewegungen in den arabischen Ländern – Beendigung der deutschen Unterstützung von Diktatoren“, in dem Syrien ausdrücklich genannt wird. Dieser Antrag wurde mit den Stimmen der CDU/CSU, der SPD, der FDP und von Bündnis 90/Die Grünen gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke abgelehnt. Das ist das, was hier in diesem Parlament real passiert.

(Beifall bei der LINKEN – Birgit Homburger [FDP]: Sagen Sie mal, was in diesem Antrag gestanden hat!)

Um es auf den äußersten Punkt zu bringen: Sie haben es sogar geschafft – ich zitiere aus dem entsprechenden Protokoll –, im Jahre 2011 einen Antrag der Linken mit folgendem Titel abzulehnen: „Exporte von Kriegswaffen und sonstigen Rüstungsgütern nach Syrien endgültig stoppen“. Dieser Antrag wurde in der Sitzung des Auswärtigen Ausschusses am 29. Juni 2011 beraten. In der Abstimmung im Bundestag ist dieser Antrag mit den Stimmen der Fraktionen der CDU/CSU und der FDP – auf deren Verlangen die heutige Debatte stattfindet – gegen die Stimmen der Fraktion Die Linke bei Stimmenthaltung der Fraktion der SPD und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen abgelehnt worden. Sie schaffen es, im Juni 2011 einen Antrag der Linken gegen Waffenlieferungen an Assad abzulehnen. Dann stellen Sie sich hierhin, blasen sich auf und verbreiten Lügen und Verleumdungen gegen unsere Partei.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Ihre Politik! – Harald Koch [DIE LINKE]: Eigentor!)

Ich zitiere aus einer Anfrage meiner Kollegin Inge Höger:

Ist die Bundesregierung angesichts der andauernden Gewalt in Syrien und des fatalen Signals an syrische Deserteure und Verweigerer, das durch die drohende Abschiebung von syrischen Deserteuren aus der bayrischen Abschiebehaft nach Ungarn und von dort nach Syrien gegeben wird, bereit, die bisherige Praxis der Rückführung in angeblich sichere Drittstaaten aufzugeben und zukünftig allen Menschen, die sich dem Militärdienst in Syrien und damit der gewaltsamen Unterdrückung von Aufständischen verweigern, in Deutschland Asyl zu bieten?

Wissen Sie, wie die Antwort der Bundesregierung war? Sie ist dazu nicht bereit. Das, was Sie hier offenbart haben, sind Abgründe von Verleumdung und vor allem von Heuchelei.

(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Nächster Redner in unserer Debatte ist für die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen unser Kollege Volker Beck. Bitte schön, Kollege Volker Beck.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Die Menschenrechtssituation in Syrien und im Iran ist dramatisch. In den letzten Tagen seit Beginn der Beobachtermission der Arabischen Liga in Syrien wurden allein 400 Menschen vom syrischen Regime umgebracht. Es gab 5 400 Tote seit Beginn der Demokratiebewegung. Die Opposition spricht sogar von über 6 000 Toten. 10 000 Menschen wurden seit Beginn der Proteste willkürlich festgenommen. Tausende sind aus Syrien in die Türkei, den Libanon und nach Jordanien geflüchtet. Letzten Freitag gab es Demonstrationen von fast 2 Millionen Menschen auf den syrischen Straßen. Es gäbe in diesem Zusammenhang viel, was es sich im Hohen Hause zu diskutieren lohnt. Ich finde den Titel und den Gegenstand der heutigen Debatte unangemessen angesichts der Probleme, die wir in diesem Zusammenhang haben, angesichts der Situation der Menschen in Syrien und der außenpolitischen Fragen, die sich uns stellen.

Wie können wir auf ein Ende der Gewalt durch das Assad-Regime drängen?

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN sowie des Abg. Ulrich Maurer [DIE LINKE])

Um Reformen geht es dort längst nicht mehr, Frau Homburger. Es geht um ein Ende des brutalen Terrorregimes. Wie erreichen wir, dass China und Russland den Weg zu einer eindeutigen Sicherheitsratsresolution freimachen? Und, Frau Steinbach: Wie sieht die Politik der Opposition gegenüber Kurden, Aleviten und Christen aus, wenn es zu einer Beteiligung oder Übernahme der Herrschaft in Syrien durch die Opposition kommen sollte?

Das sind Fragen, mit denen wir uns beschäftigen müssen. Dazu gehört auch, wie wir darauf konkret Einfluss nehmen können. Deshalb finde ich es unwürdig für das Hohe Haus, dass wir heute dieses politische Klein-Klein veranstalten, obwohl wir morgen, von unserer Fraktion beantragt, eine Debatte zu einem Antrag von Kerstin Müller führen werden, in dem es um genau diese Fragen geht.

(Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Richtig!)

Diese Fragen hätte man zuerst diskutieren können. Dann hätte man sich nebenbei mit dem albernen Aufruf von sechs Kolleginnen und Kollegen aus der Linksfraktion beschäftigen können; denn das ist nicht das eigentliche Problem, das wir zu lösen haben.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie des Abg. Christoph Strässer [SPD])

Wenn Sie von Solidarität mit dem Assad-Regime sprechen, dann will ich einen Punkt ansprechen, der die Kumpanei der Bundesregierung mit dem Assad-Regime betrifft. Im Jahre 2009 hat Deutschland nach jahrelangen Verhandlungen mit Syrien ein Abkommen zur Rückübernahme von Flüchtlingen abgeschlossen. Dieses Abkommen ist nicht ausgesetzt. Es gibt noch nicht einmal einen Runderlass, der einen Abschiebestopp nach Syrien verhängt. Es gibt lediglich ein Schreiben, dass es gegenwärtig nicht „ratsam“ sei, abzuschieben. Dennoch gibt es noch Abschiebefälle. Noch im November, als der Aufstand schon im Gange war, wurden Flüchtlinge von deutschen Ausländerämtern zur syrischen Botschaft geschickt. Letzte Woche hat die taz darüber berichtet, dass Flüchtlinge über Ungarn nach Syrien abgeschoben werden sollen.

Wenn es ehrlich gemeint ist, dass wir gegen das syrische Regime vorgehen und auf der Seite der Opposition und der Menschenrechte stehen, dann kündigen Sie das Abkommen! Verhängen Sie unverzüglich einen Abschiebestopp für syrische Flüchtlinge aus der Bundesrepublik Deutschland!

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich will aber das Thema der Debatte nicht verfehlen, auch wenn es mir nicht gefällt. Nun zu Ihnen und diesem komischen Aufruf. Ich meine, es geht nicht an, dass Herr Gysi und Sie, Herr Maurer, ihn als Fehler bezeichnen – die Kollegin Enkelmann hat sich ähnlich geäußert –, dass aber gleichzeitig die Unterzeichnerin und Sprecherin für internationale Politik sagt, das sei zu hundert Prozent Programm der Linken. Was ist denn dann hundert Prozent Programm der Linken?

Der Vorwurf der Solidarität ist Quatsch. Das haben die Kolleginnen und Kollegen auch zurückgewiesen. Was in dem Text steht, ist schlimm genug. Darin heißt es:

Das iranische und syrische Volk haben das Recht, über die Gestaltung ihrer politischen und gesellschaftlichen Ordnung allein und souverän zu entscheiden.

Der Satz ist richtig. Aber in diesem Zusammenhang klingt das so, als ob das aktuelle Regime im Iran und in Syrien Ausdruck dieses freien und souveränen Willens wäre.

(Widerspruch bei der LINKEN)

Als nächster Satz folgt:

Die Erhaltung des Friedens verlangt es, dass das Prinzip der Nichteinmischung in die inneren Angelegenheiten anderer Staaten konsequent eingehalten wird.

Sagen Sie mal, wo leben Sie denn? Als ich das gelesen habe, habe ich gedacht, dass ich auf einen Knopf gedrückt habe und mich auf einer Zeitreise in die 80er- Jahre zur Zeit der alten Sowjetdoktrin der Politik der Nichteinmischung befinde.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, bei der CDU/CSU, der SPD und der FDP)

Aber das haben wir im Rahmen des OSZE-Prozesses überwunden.

Wenn man sich für die Einhaltung der Erklärung der Menschenrechte, die völkerrechtlich verbindlich ist und auch von den betreffenden Staaten unterzeichnet wurde, einsetzt, dann handelt es sich nicht um eine Einmischung in innere Angelegenheiten. Die Staaten haben vielmehr die Pflicht, die Menschenrechte ihrer Bürgerinnen und Bürger zu achten und zu wahren. Offensichtlich ist die völkerrechtliche Diskussion über die Responsibility to Protect an Ihnen, meine Damen und Herren von der Linken, spurlos vorbeigegangen. Wenn ein Staat massenhaft Menschenrechtsverletzungen begeht und beispielsweise ethnische Säuberungen durchführt oder die Bevölkerung nicht entsprechend davor schützt, dann geht gemäß der Resolution, die die Vollversammlung der Vereinten Nationen 2005 einstimmig angenommen hat, die Pflicht zum Schutz der Bevölkerung – das ist eigentlich die Pflicht eines jeden Staates – an die Völkergemeinschaft über. Sie hat dann zu versuchen, mit angemessenen Mitteln die Rechte der Menschen durchzusetzen und zu schützen.

Vizepräsident Eduard Oswald:

Ich darf Sie bitten, zum Schluss zu kommen.

Volker Beck (Köln) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):

Dazu findet sich in Ihrem komischen Aufruf kein Wort.

Sie schweigen auch zu einer ganzen Reihe anderer Punkte. Sie erwähnen nicht, dass es sich bei diesem Konflikt in der Region auch um einen Konflikt zwischen sunnitischen und schiitischen Gläubigen, zwischen dem Iran und Saudi-Arabien über die Vormachtstellung am Golf handelt. In Ihrem Aufruf ist nur von israelischen und US-amerikanische Interessen an der Vorbereitung eines Krieges die Rede. Das ist antiamerikanisch und antiisraelisch und politisch reichlich unterkomplex. Herr Dehm, Sie als Kundschafter des Friedens stehen für diese Unterkomplexität in außenpolitischen Zusammenhängen. Vor diesem Hintergrund ist es kein Wunder, dass der ehemalige Botschafter der Deutschen Demokratischen Republik, der im Jahre 1989 seinen Dienst in der Volksrepublik China versah und im Jahre 2008 zu den Schüssen auf dem Platz des Himmlischen Friedens gesagt hat: „Es blieb dann nur diese Möglichkeit, es mit bewaffneten Kräften zu beenden“, einer der Mitunterzeichner Ihres Aufrufs ist.

(Zuruf der Abg. Christine Buchholz [DIE LINKE])

In diese Gesellschaft begibt man sich, wenn man solche unterkomplexen Aufrufe schreibt bzw. unterschreibt. Ich kann Ihnen nur sagen: Stellen Sie sich der internen Auseinandersetzung! Ansonsten sind Sie für niemanden politisch anschlussfähig, weil Sie in einem anderen Orbit leben.

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie sind nicht politisch anschlussfähig!)

Sie können nicht die Menschenrechte verteidigen, wenn Sie solche Positionen in Ihrer Partei dulden und es zulassen, dass einige Ihrer Leute in Anspruch nehmen, dies sei hundert Prozent Programm der Linken.

(Beifall beim BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN und bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist unser Kollege Jürgen Klimke für die Fraktion der CDU/CSU. Bitte schön, Kollege Jürgen Klimke.

(Beifall bei der CDU/CSU)

Jürgen Klimke (CDU/CSU):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Soll man sich wundern, oder soll man über diesen bizarren Aufruf der Linken gegen die vermeintliche Kriegstreiberei der USA und der NATO gegen den Iran und Syrien erschrocken sein, also gegen jene beiden Staaten, denen sich die Linken offenbar besonders verbunden fühlen?

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Lüge!)

Die Linke meint den Grund für die angeblich aggressive Politik der USA entdeckt zu haben. Er besteht neben den dort vorhandenen Rohstoffen darin, dass diese Staaten „eine eigenständige Politik verfolgen und sich ihrem Diktat“ – gemeint ist das Diktat der USA – „nicht unterordnen“. Eigenständige Politik betreibt man nach Auffassung der Linken offensichtlich dann, wenn man Oppositionelle niederknüppelt, die Menschenrechte mit Füßen tritt,

(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Das sind Ihre Freunde, über die Sie reden! – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Lüge!)

Christen verfolgt oder heimlich Atombomben baut. Man kann sich darüber wundern, aber man kann auch darüber erschrocken sein, auch darüber, dass Bundestagsabgeordnete der Linken diesen Aufruf mitunterzeichnet haben. Ein solcher Vorgang ist nicht neu. Ich darf an den Brief der Linken anlässlich des 85. Geburtstags Fidel Castros erinnern, in dem die Errungenschaften des sozialistischen Kuba mit seiner beispielgebenden Wirkung für so viele Völker der Welt gerühmt wurden. Ich erinnere an die Probleme, die die Linke mit dem Antisemitismus in den eigenen Reihen hat. Wenn die Parteiführung Resolutionen gegen den Antisemitismus beschließt, müssen Abgeordnete den Raum verlassen, damit Einstimmigkeit erzielt wird.

(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Beschämend!)

Das Existenzrecht Israels wird von den Politikern der Linken nicht anerkannt.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Was? – Dr. Dagmar Enkelmann [DIE LINKE]: Das ist eine Lüge! – Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Lüge!)

Das zeigt zum Beispiel die Teilnahme von führenden Linken an der sogenannten Gaza-Flottille oder das Sitzenbleiben der Linken-Abgeordneten am Holocaust- Gedenktag bei der Begrüßung des israelischen Präsidenten Shimon Peres.

Diese Liste ließe sich noch sehr lange weiterführen – bis hin zum Plakat an der Tür der Abgeordneten Ploetz, das unsere Bundeswehrsoldaten in Afghanistan als Schweine verhöhnt, oder der Abgeordneten Hänsel, die den Mördern und Entführern von der kolumbianischen FARC Unterstützung angedeihen lässt.

(Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Märchen!)

Meine Damen und Herren, soll man sich wundern, soll man darüber erschrocken sein? Ich wundere mich nicht mehr; ich erschrecke mich eigentlich sehr darüber. Leider bleibt es aus meiner Sicht bis auf Weiteres so, dass sich im Deutschen Bundestag drei Bereiche wiederfinden: die Regierungsfraktionen, die demokratische Opposition, bestehend aus SPD und Grünen, und eine Fraktion, bei der man Zweifel haben muss, ob sie wirklich auf dem Boden unserer freiheitlichen demokratischen Grundordnung steht.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Lupenreine Linksextremisten!)

Deswegen halten es viele auch für richtig, liebe Kolleginnen und Kollegen, dass die Partei Die Linke weiterhin vom Verfassungsschutz beobachtet wird.

(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Ja, klar! – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: Pfui Teufel!)

Dabei ist es aus meiner Sicht immerhin ein kleiner Trost, dass es auch vonseiten einiger Politiker der Linken andere Meinungen gibt: andere Meinungen zu Israel, andere Meinungen zu Kuba und andere Meinungen zu den USA.

Auch der Aufruf zu Syrien und zum Iran ist innerhalb Ihrer Partei nicht unwidersprochen hingenommen worden. Das macht ein bisschen Hoffnung. Man kann eigentlich nur diese Kräfte unterstützen, allerdings nur ein wenig, wenn man bedenkt, dass die innerparteilichen Kritiker des Aufrufs von den Hardlinern als Nestbeschmutzer bezeichnet wurden.

Die Aktion macht eines klar: Die Linke weiß nicht, wohin sie will. Die Linke weiß nicht, was sie will. Will sie eine parlamentarische Opposition sein?

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Was Sie wollen, ist, Diktatoren unterstützen und Waffen liefern!)

Will sie eine koalitionsfähige Alternative im linken Parteienspektrum werden? Ist sie eine ideologische Fundamentalopposition, die im Grunde die Abschaffung der demokratischen Grundordnung zum Ziel hat? Die Austragung dieses Konflikts wird aus meiner Sicht darüber entscheiden, ob die Linke in diesem Hause in Deutschland noch Zukunft hat.

Im Übrigen: Im Konflikt befindet sich offensichtlich auch die Kollegin Sevim Dağdelen, nach deren Meinung der Aufruf zu Syrien und zum Iran zu hundert Prozent das Parteiprogramm der Linken widerspiegelt.

(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: Hört! Hört!)

Das schließt nicht aus, dass man sich in antiamerikanischer Mission auch einmal direkt zum Erzfeind begibt und der Außenministerin persönlich Vorhaltungen macht, wie auf diesem Bild hier dokumentiert ist.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Höher halten!)

Liebe Kolleginnen und Kollegen, Sie sehen hier Sevim Dağdelen in ihrer heikelsten antiimperialistischen Mission – wie immer sehr kämpferisch und sehr entschlossen. Herzlichen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der Sozialdemokraten unser Kollege Johannes Pflug. Bitte schön, Kollege Johannes Pflug.

Johannes Pflug (SPD):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Ende letzten Jahres hatte sich der Deutsche Bundestag aus aktuellem Anlass wiederholt mit den Besonderheiten linker Außenpolitik befasst. Einmal ging es um den Antrag der Linken, jedes militärische Engagement in Afghanistan sofort zu beenden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

So weit, so gut.

Einige Wochen zuvor hatte es eine Aktuelle Stunde zum Thema Antisemitismus gegeben, allerdings nicht von Ihnen beantragt. Bereits bei der Debatte Ihres Afghanistan-Antrags hatte ich darauf hingewiesen, dass dieser Antrag und der geforderte Abzug Musterbeispiele sind für den Widerspruch zwischen dem proklamierten Internationalismus und der Verpflichtung zum Schutz der Menschen einerseits sowie der Nichteinmischung oder dem – ich sage das einmal so – Schaufenster-Antimilitarismus andererseits.

Heute gibt es erneut Grund, uns mit dem Verständnis der Linkspartei von internationaler Verantwortung zu befassen. So ist es bemerkenswert, dass es für die Kollegin Dağdelen oder den Kollegen Dehm offenbar ein Akt der Solidarität und der Völkerfreundschaft ist, sich an einem Aufruf zu beteiligen, der die Unterdrückung der Iraner und Syrer durch ihre diktatorischen Regime mit keinem Wort erwähnt, geschweige denn verurteilt. Stattdessen wird auch noch die Propaganda der Diktatoren übernommen, die ja Aufruhr stets als Ergebnis ausländischer Agenten und Sabotage brandmarkt. Christian Bommarius, Journalist unter anderem für die Frankfurter Rundschau, schrieb dazu erst kürzlich sehr treffend, für die Linke sei es stets „offenbar der Westen, der die in glücklicher Harmonie mit ihren Unterdrückern lebenden Völker in den Aufstand hetzt“. Dem ist eigentlich nichts hinzuzufügen.

Diejenigen Mitglieder der Linken-Bundestagsfraktion, die den Internetaufruf unterzeichnet haben, haben zunächst noch vollmundig erklärt, dieser decke sich zu 100 Prozent mit dem Programm der Partei. Mittlerweile haben sie den Aufruf aber schon wieder relativiert wegen der starken öffentlichen Kritik und Empörung, und ich füge hinzu: Gott sei Dank auch aus den Reihen der eigenen Partei, zum Beispiel des Kollegen Bartsch und der Kollegin Enkelmann.

Die Unterzeichner erklärten daraufhin wieder einmal, sie seien bewusst falsch interpretiert und missverstanden worden. Hierzu kann ich mit Blick auf die Vergangenheit nur sagen: Es muss auch an Ihnen liegen, dass Sie sich so häufig missverstanden oder falsch interpretiert fühlen. Ob es um die erklärte Solidarität einiger Parteimitglieder mit der Hamas ging, um das Gezerre um eine gemeinsame Erklärung gegen Antisemitismus hier im Hause oder um undifferenzierten Aktionismus gegen Israel, stets waren die Aussagen eigentlich eindeutig.

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Reden wir doch mal über die rot-grüne Politik gegenüber Assad!)

Teile der Linkspartei vertreten offen einen radikalen Anti-Israel-Kurs. Dies geht sogar so weit, dass sich Mitglieder Ihrer Fraktion weigern, sich bei einer Veranstaltung am Holocaust-Gedenktag für den israelischen Präsidenten Peres zu erheben.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Skandalös!)

Darüber hinaus scheinen Teile der Linkspartei einen gewissen Hang zu Exoten und Diktatoren zu besitzen.

(Dr. Wolfgang Götzer [CDU/CSU]: So ist es!)

Egal ob Fidel Castro oder Hugo Chávez – und neuerdings auch Assad und die Mullahs im Iran –, egal wie verbrecherisch das Regime: Solange es einen dumpfen Antiamerikanismus bedient, gibt es auch Freunde in Ihrer Partei.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dies nimmt dann so groteske Züge an wie in der jüngsten Vergangenheit, als sich die Kollegin Dağdelen und andere zu den letzten Verbündeten Assads und seines Terrors gemacht haben, offensichtlich weil das Bedürfnis nach Antiamerikanismus und Anti-Israel-Politik bedient wurde. Möglicherweise ist es genau das, was Ihr demnächst neuer Spitzenkandidat Lafontaine mit den Eigentorschützen in der eigenen Partei meinte. In solchen Fällen sagt man: Der Trainer sollte sie nicht wieder aufstellen. Aber die Frage ist: Wer ist bei Ihnen eigentlich der Trainer?
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, bevor ich den nächsten Redner aufrufe, muss ich Ihnen mitteilen, dass mir der Wunsch nach persönlichen Erklärungen vorliegt. Dies ist nach unserer Geschäftsordnung auch bei Aktuellen Stunden möglich. Ein Mitglied des Bundestages kann sich nach unserer Geschäftsordnung zu Wort melden. Der Präsident darf solche Wortmeldungen nicht zurückweisen, er kann aber nach Maßgabe der Geschäftsordnung den Zeitpunkt der Worterteilung nach seinem Ermessen bestimmen. Da sie unmittelbar angesprochen wurde, gebe ich zunächst Frau Kollegin Heike Hänsel das Wort und bitte Sie, den entsprechenden Zeitrahmen einzuhalten. – Bitte schön, Frau Kollegin Heike Hänsel.

Heike Hänsel (DIE LINKE):

Danke schön, Herr Präsident. – Ich möchte eine persönliche Erklärung abgeben. Der Kollege Jürgen Klimke hat mich konkret angesprochen, mich namentlich genannt und gesagt, dass ich der kolumbianischen Guerillaorganisation FARC Unterstützung angedeihen lassen würde. Ich möchte diesen Vorwurf zurückweisen und darauf aufmerksam machen, dass es eine breite Initiative von Abgeordneten gibt, die sich für eine politische Lösung des seit Jahrzehnten bestehenden bewaffneten Konflikts in Kolumbien einsetzen. Aus allen Fraktionen gibt es Unterschriften unter Appelle an den kolumbianischen Präsidenten für eine politische Lösung und einen Friedensprozess in Kolumbien. Es herrscht in diesem Land eine sehr ernste Situation, nachdem dort viele Menschen ihr Leben verloren haben. Es ist eine schlichte Verleumdung, daraus eine Unterstützung für die Guerillaorganisation zu machen.

Ich möchte darauf hinweisen, Herr Klimke, dass die Bundesregierung jahrzehntelang Präsidenten in Kolumbien unterstützt hat, die militärisch vorgegangen sind, die mit Paramilitärs verstrickt waren, wie zum Beispiel Präsident Uribe. All diese haben für ihre brutale Politik in Lateinamerika massive Unterstützung bekommen. Dass in diesem Hause von Teilen der Bundesregierung und vonseiten der FDP, insbesondere durch die Friedrich-Naumann-Stiftung, Putsche in Honduras mit unterstützt wurden, zeugt davon, dass Sie eine brutale Politik unterstützen.

Die Linke hat bisher in keiner Weise – das muss ich auch dazu sagen – Waffenlieferungen in irgendein Land unterstützt. Sie senden in alle Welt Waffen. Deutschland ist drittgrößter Waffenexporteur auf der Welt. Sie tragen zu Leid und Tod bei. Deshalb ist diese Debatte hier absurd.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Als Nächstem gebe ich zu einer persönlichen Erklärung, nachdem auch er direkt angesprochen wurde, dem Herrn Kollegen Dr. Diether Dehm das Wort.

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/ CSU – Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das müssen Sie jetzt aushalten!)

Dr. Diether Dehm (DIE LINKE):

Kollege Beck, Sie haben meinen angeblichen Hang zu unterkomplexen Aufrufen angesprochen. Sie haben zwar auch viel zur Differenzierung der Diskussion beigetragen, aber da ging der Gaul wieder mit Ihnen durch. Ich will Ihnen nur noch einmal ganz deutlich das sagen, was ich auch im Interview mit der taz gesagt habe: Keiner der Unterzeichner von uns hat irgendeinen Hauch von Sympathie mit den Staatsterroristen Assad und Ahmadinedschad.

(Beifall bei der LINKEN – Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Aha, das haben Sie im Aufruf nur vergessen zu sagen!)

Wir wissen nämlich, dass Linke, dass Kommunisten, dass Sozialisten von diesen Schlächtern verfolgt und gefoltert werden.

(Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Syrien ist sozialistische Republik!)

Linke sind es, unsere Freunde, die im Iran und in Syrien hingerichtet werden. Das will ich Ihnen zunächst sagen. Das haben wir auch schon mehrfach gesagt. Sie wissen das auch; Sie haben das auch in dem Teil Ihrer Ausführungen gesagt, in dem Sie Differenzierungen vorgenommen haben.

Darüber hinaus will ich sagen: Wir haben in dem Aufruf davor gewarnt, dass Kriegsvorbereitungen getroffen werden. Diese Kriegsvorbereitungen laufen – das ist unsere feste Überzeugung – gegen den Iran; sie laufen, möglicherweise gedämpfter, gegen Syrien. Im Hinblick auf den Iran wird es ein Atomkrieg werden.

(Zuruf des Abg. Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Hier besteht, Herr Kollege Beck – das will ich Ihnen ganz deutlich sagen –, die Differenz zwischen uns. Wir sind jetzt an jenem Punkt, wo damals gegen Außenminister Westerwelle eine unauffällig scheinende Flugverbotszone von der SPD und, wie ich glaube, auch von den Grünen entschieden gefordert wurde. Wie vor dem Jugoslawien-Krieg wurde hier ja von Rot-Grün immer gefordert, an der Durchsetzung einer unauffälligen Flugverbotszone gegen Libyen mitzuwirken. Doch dies hat zu einem Krieg mit über 40 000 Toten geführt, zu einem Bombardement der Städte dort. Dabei ist auch der modernste Sozialstaat Nordafrikas zerbombt worden.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Der modernste Sozialstaat?)

– Genau das ist Libyen gewesen – das ist unbestreitbar –, der modernste, entwickeltste Sozialstaat Nordafrikas, wo Ölprofite in sozialstaatliche Investitionen geleitet wurden.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Seit wann war der Staat Gaddafis ein Sozialstaat? Sie haben ja einen Sprung in der Platte!)

Angesichts dessen und der Tatsache, dass das Wirtschaftsembargo gegen den Irak, das Tausende von Kindern das Leben gekostet hat, zugleich ein unauffälliger Einstieg in das Bombardement Iraks war,

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Frau Enkelmann, Libyen ist ein Sozialstaat? Mannomann! So ein Unsinn!)

werden wir jetzt umso hellhöriger.

Ich muss Ihnen ehrlich gestehen: Wenn ich die Wahl habe, keine Warnung vor einem Atomkrieg gegen den Iran zu unterschreiben oder eine möglicherweise unvollkommene, kann es auch in Zukunft noch passieren, dass ich mich dafür entscheide, eine möglicherweise, wie Sie sagen, unterkomplexe Erklärung zu unterschreiben. Denn die Warnung vor Krieg ist für Linke das oberste Gebot.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Wir fahren fort in der Reihenfolge der Wortmeldungen zur Aktuellen Stunde. Für die Fraktion der FDP hat als Nächster das Wort Kollege Patrick Kurth.

(Volker Kauder [CDU/CSU]: Libyen, für die Linke ein modernster Sozialstaat! Das ist ja furchtbar! So stellen Sie sich einen modernen Sozialstaat vor, wie der Gaddafi ihn hatte? Sie sollten sich schämen! – Beifall bei der CDU/ CSU und der FDP)

Bitte schön, Kollege Patrick Kurth.

(Beifall bei der FDP sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Patrick Kurth (Kyffhäuser) (FDP):

Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Alle Wochen wieder: Die Linke glänzt durch gesellschaftspolitische oder in diesem Falle außenpolitische Peinlichkeiten. Außenpolitische Fragen, die schon bisher von Ihnen sehr peinlich behandelt wurden, betreffen Afghanistan, Kuba und den Nahen Osten. Worüber haben wir hier alles geredet? Über die Gaza-Flottille, über antisemitische Auswüchse, über Castro-Verehrung. Sie hatten damals in der Aktuellen Stunde zum deutsch-polnischen Verhältnis vor allem das Verhältnis zwischen der DDR und Polen unter der SED gelobt. Dabei haben Sie aber völlig unterschlagen, dass es die SED war, die erstmals nach dem Zweiten Weltkrieg deutsche Streitkräfte für den Einmarsch in Polen mobilisierte. Sie haben mit einer Staatspartei sympathisiert – sie ist ja auch Ihre Vorgängerpartei –, was für uns insgesamt in der außenpolitischen Darstellung nicht gut war. Sie können sich im Inland benehmen, wie Sie wollen. Da werden Sie auf jeden Fall auf unseren Widerstand stoßen. Das ist in erster Linie Ihr Problem. Wenn Sie sich aber außenpolitisch so benehmen, wie Sie das tun, dann wird es ein Problem für alle Deutschen. Das geht nicht. Sie haben auch im Ausland eine Verantwortung.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Seit fast einem Jahr – die dpa schrieb es gestern – geht das Regime in Syrien mit Gewalt gegen die Opposition vor. 5 500 Menschen starben. 5 500 Menschen! Dann kommt diese Solidarisierung, ein vorläufiger Höhepunkt der außenpolitischen Geisterfahrten. Ich muss Ihnen sagen: Gerade wir Deutsche haben in der jüngeren Geschichte eine ganz wunderbare Erfahrung gemacht und ein ganz großes Glück gehabt.

(Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie haben sich jahrelang mit Assad solidarisiert und paktiert! Heuchelei!)

Wir hatten in diesem Land eine friedliche Revolution. In diesem Land wurde niemand erschossen. Das war ein ganz großes Glück für unser Land. Dass dieses Glück keine Selbstverständlichkeit ist, das zeigt Syrien. Deshalb verbietet es sich, mit diesen Staatsterroristen in irgendeiner Weise zu sympathisieren.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Warum haben Sie das jahrelang gemacht?)

Meine Damen und Herren, unsere Erfahrungen, unsere Geschichte, unser Glück, aber eben auch die Gewalt dieser Diktatoren, der Kampf gegen Demonstranten müssen uns als Abgeordnete in diesem Hause Verantwortung, Auftrag und Mahnung zugleich sein. Gerade wir Deutsche haben deshalb eine gewisse Vorbildstellung. Wir haben eine immense Verantwortung. Für das Außenbild tragen wir alle, die wir Mitglieder dieses Hauses sind, Verantwortung. Herr Maurer, Sie haben hier wunderbar gesprochen.

(Beifall bei der LINKEN)

Im Sinne der leninistischen Propagandarede war das hervorragend.

(Beifall der Abg. Birgit Homburger [FDP])

Ich nehme den Spieß und drehe ihn um. Aber was denn nun? Butter bei die Fische! Dafür oder dagegen? Hopp oder top? Sie haben keine Antwort geliefert. Sind Sie nun dafür, oder sind Sie dagegen?

(Zurufe von der LINKEN)

Distanzieren Sie sich von diesem Pamphlet, oder sind Sie doch dafür? Gibt es irgendwelche Konsequenzen? Ist Ihre menschenrechtspolitische Sprecherin, die dieses Machwerk unterzeichnet hat, noch im Amt, oder ist sie nicht mehr im Amt? Was sind denn Ihre Konsequenzen? Sie verunklaren Ihr Bild. Sie bleiben völlig unklar, in der Hoffnung darauf, dass die einen ganz links in irgendeiner Weise befriedigt werden und die anderen, die ein bisschen mehr in der Mitte sind, relativ friedfertig bleiben. Ich kann Ihnen nur sagen: Das lassen wir Ihnen nicht durchgehen.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Nehmen Sie einmal Ihr Pamphlet, und ersetzen Sie den Begriff „Syrien“ oder auch „Iran“ durch „DDR“. Tauschen Sie das einmal aus. Da wird Ihnen übel.

Es kann einem auch übel werden, wenn man sich die Unterzeichnerliste anguckt. Ich weiß es nicht: Haben Sie das einmal gemacht? Wissen Sie, mit wem Sie in einem Boot sitzen? Haben Sie sich das einmal angeschaut? Wer unterzeichnet im Zusammenhang mit Abgeordneten des Deutschen Bundestages, mit Volksvertretern, diesen Aufruf? Es wimmelt nur so von Verschwörungsideologen, Esoterikern und – das ist besonders interessant – Rechtspopulisten. Ich habe mir die Namen aufgeschrieben, habe mich aber dazu entschieden, sie nicht zu nennen. Wir wollen niemanden auf dieser Liste adeln.

(Birgit Homburger [FDP]: Sind die Piraten auch drauf?)

Die einen versteigen sich zu Verschwörungstheorien bezüglich Iran. Sie verharmlosen die Hetzreden des iranischen Staatspräsidenten. Es gibt auf dieser Liste Leute – die befinden sich in Ihrer Gesellschaft –, die erklären, dass das Erdbeben in Japan künstlich erzeugt worden sei, um Japan zu schaden.

(Heiterkeit bei der FDP und der CDU/CSU – Zuruf von der CDU/CSU: Das ist ja Karneval!)

Dann gibt es andere, die sagen, dass die Terroranschläge vom 11. September von den USA selbst inszeniert wurden. Das sagen Ihre Mitunterzeichner. Die Judenverfolgung wird verharmlost. Das ist Ihre Gesellschaft! Einer sagt, Aids gebe es nicht, es sei eine Erfindung der – Achtung! – Pharmaindustrie. Dann kommt sogar ein Bündnis – das ist ganz interessant im Hinblick auf die Linke; ich wusste gar nicht, in welcher Gesellschaft Sie sich befinden –, welches erklärt, das deutsche Reich gebe es noch, die Bundesrepublik gebe es nicht, sie sei nicht rechtmäßig. In diese Liste reihen Sie sich ein. Uns fällt es wirklich schwer, zur Kenntnis zu nehmen, dass es sich um Abgeordnete handelt, die sich in diese Gesellschaft begeben.

Wenigstens die Führung der Linken – sie hat sich ja schon öfter verbogen – muss sich von diesem Aufruf distanzieren. Geschieht das nicht, hat sich diese Partei außenpolitisch erneut diskreditiert.
Herzlichen Dank.

(Beifall bei der FDP und der CDU/CSU)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Nächster Redner ist unser Kollege Christoph Strässer für die Fraktion der Sozialdemokraten. Bitte schön, Kollege Christoph Strässer.

Christoph Strässer (SPD):

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich will zwei Punkte aus dieser Aktuellen Stunde aufgreifen. Wenn ich die Quintessenz aus allen Redebeiträgen zusammenfasse, dann komme ich zu zwei Erkenntnissen.

Erste Erkenntnis. Wir müssen uns alle gemeinsam Gedanken darüber machen, wie die Geschichte der Beziehungen Deutschlands, Europas und der Vereinigten Staaten zu bestimmten Diktaturen in der Welt ist. Darüber müssen wir reden.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir müssen auch aus Fehlern lernen. Der Umstand, dass ein Land in einer Region für Stabilität sorgt, rechtfertigt niemals, dass in dieser Region Menschenrechte verletzt werden. Ohne die Gewährung von Menschenrechten aber ist in diesen Regionen keine Stabilität möglich.

Diese Erkenntnis sollten wir aus dieser Debatte mitnehmen.

(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Das gilt auch für Saudi-Arabien und Bahrain!)

– Ja.

Zweite Erkenntnis. Wenn das, was über den arabischen Frühling und über Syrien gesagt worden ist, ernst gemeint ist, dann erwarte ich Initiativen von Ihrer Partei, die im Moment versucht, sich wieder als Bürgerrechtspartei zu profilieren. Wir sollten in den nächsten Wochen im Deutschen Bundestag Klarheit darüber schaffen und entsprechende politische Willenserklärungen abgeben, dass Abschiebungen nach Syrien auch über den Umweg Ungarn ab sofort nicht mehr möglich sein dürfen.

(Beifall bei der SPD, der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Die Aktuelle Stunde zwingt uns natürlich dazu, zu dem Aufruf, der von einigen unterschrieben worden ist, Stellung zu nehmen. Man konnte die ganze Zeit – ich habe direkt daneben gesessen – Zurufe wie „Heuchler“ und „Lügner“ hören. Ich möchte jetzt etwas zitieren und hoffe, dass es dabei solche Zurufe nicht gibt. Unter der Überschrift „Gegen linke Solidarität mit den Schlächtern von Syrien und Iran!“ heißt es:

Die Souveränität Syriens und Irans liegt nicht bei den Regimen von Assad und den Ayatollahs, sondern bei den Menschen. Sie sind es, die ihre Rechte einfordern.
Entgegen der Einschätzung des Appells sind es nicht die NATO, die USA oder Israel, die einen Bürgerkrieg in Syrien anfachen, sondern das syrische und iranische Regime, die auf diese Weise mit aller Brutalität versuchen, einen Keil zwischen die Aufständischen zu treiben. Beide Regime gehen dabei mit unglaublicher Brutalität gegen die eigene Zivilbevölkerung vor, z. B. mit gezielten Tötungen durch Scharfschützen, die sogenannte „Abschussquoten“ zu erfüllen haben.

Ende des Zitates; der Aufruf geht aber noch weiter. Veröffentlicht worden ist dies von dem Bundesarbeitskreis Shalom der Linksjugend Solid, die sich aufs Schärfste von dem Syrien-Appell abgrenzt. Liebe Kolleginnen und Kollegen, rufen Sie bitte nicht „Heuchler“ und auch nicht „Lügner“, sondern solidarisieren Sie sich mit Ihrer Jugendorganisation und distanzieren Sie sich von dem Syrien-Aufruf, der unerträglich ist.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP)

Ich möchte auch aus einem anderen Blickwinkel – der Kollege Beck hat schon darauf hingewiesen – zu diesem Aufruf Stellung nehmen und insbesondere auf die Feststellung eingehen, dass das konsequente Einhalten des Nichteinmischungsgebots das Gebot der Stunde sein soll. Ich will mich gar nicht darauf kaprizieren, zu fragen, was das mit der Responsibility to Protect und mit dem Verhältnis Menschenrecht zu Völkerrecht zu tun hat. Ich will aber auf einen Zwischenruf reagieren und sagen: Ich bitte Sie, die Responsibility to Protect im Interesse der Menschenrechte ernsthaft zu verfolgen. Es ist nämlich nicht so, dass der Sanktionskatalog der RtoP mit einer militärischen Intervention beginnt.

(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Aber endet!)

Nehmen Sie bitte einfach zur Kenntnis, dass der erste Schritt die Prävention ist und dass wir an dieser Stelle gefordert sind, zu helfen und zu unterstützen, damit es gerade nicht zu einer militärischen Intervention kommt, die wir alle verhindern wollen. Diese Botschaft muss von dieser Auseinandersetzung ausgehen.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD – Heike Hänsel [DIE LINKE]: Finden Sie richtig, was passiert ist?)

Ich will noch eine weitere Bemerkung machen und darlegen, was mir ebenfalls gegen den Strich geht. Ich habe in meiner politischen Vergangenheit viele Aufrufe und Appelle unterschrieben. Ich war mir immer im Klaren darüber, wie Aufrufe interpretiert werden können. Ich würde mir wünschen, dass auch Sie sich dies bewusst machen. Denn Sie sind doch nicht so naiv, zu glauben, dass es in der Öffentlichkeit keine Rolle spielt, dass das, was Sie nicht wollen, im Aufruf nicht enthalten ist.

Aber ich will eines zum Prinzip der Nichteinmischung und zum Prinzip der linken Solidarität sagen – das meine ich wirklich ernst –: Sie verkaufen und verraten Ihre eigene Geschichte. Das will ich ganz deutlich sagen. Wir haben gemeinsam auf der Straße gestanden und gefordert, dass unsere Regierungen boykottieren, Embargos ausüben gegen Südafrika, waren gemeinsam gegen das faschistische Regime in Chile, gegen andere für uns unerträgliche politische Systeme.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Richtig!)

Wenn Sie sich hier hinstellen und sagen: „Nichteinmischung ist des Teufels“, dann verraten Sie Ihre eigenen linken solidarischen Ideale. Damit sollten Sie einfach aufhören. Das ist unsinnig.

(Beifall bei der SPD und dem BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Nächster Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Thomas Feist. Bitte schön, Kollege Dr. Thomas Feist. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der FDP)

Dr. Thomas Feist (CDU/CSU):

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine lieben Kolleginnen und Kollegen! Das zeitgeschichtliche Forum in meiner Heimatstadt Leipzig wirbt mit dem Motto: „Geschichte kann zu Einsichten führen und verursacht Bewusstsein“. Weder Einsicht noch Bewusstsein ist genau das, was den Geist dieses Aufrufes im Internet kennzeichnet, den sechs Abgeordnete der Linkspartei unterschrieben haben. Ich muss ganz ehrlich sagen, Herr Kollege Maurer, Ihre Rhetorik des Kalten Krieges, mit der Sie versucht haben, eine Pro-Assad-Unterzeichnung ins Gegenteil zu verkehren, ist entweder verquaste Dialektik oder schlicht und einfach verlogen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Historisch betrachtet ist das Mittel, dass man Initiatoren von Volksbewegungen, Freiheitsbewegungen der Verschwörung bezichtigt, immer ein gutes Mittel gewesen, um diese Bewegung zu diskreditieren. Das sieht man natürlich nicht nur an den Ländern des ehemaligen Ostblocks, sondern das sieht man ganz genau und deutlich auch an unserer eigenen deutschen Geschichte. Insofern, lieber Herr Kollege Beck, hätte ich mir gewünscht, dass Sie in Ihrer Ansprache darauf eingegangen wären, dass Sie heute immer noch nur „Die Grünen“ wären, wenn die Lügen, die die SED und ihre Parteiführung damals über Bündnisleute verbreitet haben, zugetroffen hätten. Wenn das durchgegangen wäre, wären Sie heute immer noch „Die Grünen“. Ich denke, Sie sind sehr froh, dass Sie heute „Bündnis 90/Die Grünen“ sind.

(Wolfgang Wieland [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Ja, natürlich sind wir das!)

– Das ist doch wunderbar.

(Volker Beck [Köln] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie hätten mir einfach 15 Minuten von Ihrem Redezeitkontingent abgeben müssen, dann wäre ich zu mehr gekommen!)

– Das muss der Präsident machen.

Zurück zu dem Aufruf. Manchmal fühlt man sich um Jahrzehnte zurückversetzt, wenn man liest, dass die Feinde diejenigen sind, die dies schon immer waren. Das sind die imperialistischen Aggressoren, hier namentlich USA und Israel.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Israel vor allen Dingen!)

In dieser Aufzählung fehlen eigentlich nur noch die Bonner Ultras. Dann würde man erkennen, was dieser Aufruf eigentlich ist: Er ist eine Blaupause aus der Abteilung Agitation und Propaganda beim ZK der SED.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Als Leipziger, der von Anfang an auch an den Friedensgebeten und Montagsdemonstrationen in Leipzig teilgenommen hat, kann ich Ihnen aus eigener Erfahrung sagen, wie schlimm und verheerend es ist, wenn ständig unterstellt wird, man sei ein Agent eines feindlichen Staates. Es ist unerträglich, dass man mit Sabotage in Verbindung gebracht wird. Man kann sich gegen diesen Vorwurf nicht wehren. Ich bin sehr froh, dass wir es gerade durch die westlichen Massenmedien geschafft haben, einen Rückhalt zu bekommen, um diesen abstrusen Verschwörungstheorien ein für allemal einen Riegel vorzuschieben.

(Beifall der Abg. Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP] und Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich habe heute in einen Artikel der jungen Welt vom September 1989 geschaut. Das war die Zeit der großen Ausreisewelle. Viele Menschen haben versucht, das repressive System der DDR zu verlassen. In dieser Zeitung gab es einen Leserbrief, der suggerieren wollte, dass diejenigen, die im Westen waren, mit K.-o.-Tropfen außer Gefecht gesetzt wurden. Das war die normale Propaganda, die erzählt worden ist. Die Einmischung von Außen war letztendlich für alles Übel verantwortlich.

Ich muss Ihnen eines sagen – das sage ich vor allen Dingen auch zur Führung der Linken –: Wenn man ein tyrannisches System unterstützt, das nicht nur für über 5 000 Tote verantwortlich ist, sondern auch für Folter und Repression, und sich als Parteiführung nicht gegen ein paar Spinner wehrt, die das unterzeichnen, dann ist das nicht nur fahrlässig, sondern zynisch und ein Skandal.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie der Abg. Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN] – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Was sagen Sie zu den Abschiebungen?)

Ich fand es sehr interessant, dass auch diesmal wieder die üblichen Verdächtigen diesen Aufruf unterschrieben haben; denn ich habe mich entsonnen, dass es genau diejenigen waren, die damals als Friedensaktivisten über das Mittelmeer gesegelt sind,

(Zuruf von der LINKEN: Das stimmt nicht!)

und zwar unter dem fröhlichen Abspielen von Liedern, in denen zu Massakrierungen an Juden aufgerufen worden ist.

(Beifall der Abg. Birgit Homburger [FDP] – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Schlecht recherchiert!)

Das muss man sich wieder ins Bewusstsein rufen. Es handelt sich um genau dieselben Edelkommunisten – ich kann es nicht anders sagen –, die mir damals auf ihrer Transitreise von Westdeutschland nach Westberlin mit ihrem Westgeld in der Tasche erzählt haben, wie toll der Kommunismus ist. Das hat mit Realität oder mit Realitätssinn nichts zu tun.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Patrick Kurth [Kyffhäuser] [FDP]: Kaschmirkommunisten!)

Abschließend will ich noch auf Folgendes hinweisen: Sie haben ja im Zusammenhang mit Syrien und Iran Nichteinmischung und den eigenen Weg der Staaten propagiert. Mir hat in dieser Auflistung eigentlich nur noch ein Staat gefehlt, der am konsequentesten seinen eigenen Weg geht – und das ist Nordkorea.

(Heiterkeit bei Abgeordneten der CDU/CSU)

Ich bitte Sie, mit der Kim-Il-Sungisierung der Linkspartei aufzuhören. Nehmen Sie sich einmal den Kommentar der heutigen SZ zu Herzen. Darin steht, dass die Linken in ihrem Fraktionssaal ein Schild anbringen sollten: „Parteien haften für ihre Spinner“.
Vielen Dank.

(Heiterkeit und Beifall bei der CDU/CSU und der FDP sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Letzter Redner in unserer Aktuellen Stunde ist für die Fraktion der CDU/CSU unser Kollege Dr. Wolfgang Götzer. Bitte schön, Kollege Dr. Wolfgang Götzer.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Dr. Wolfgang Götzer (CDU/CSU):

Herr Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Die jüngsten Solidaritätsbekundungen von Abgeordneten der Linken mit den menschenverachtenden Regimen in Syrien und im Iran zeigen einmal mehr, wes Geistes Kind sie sind.

(Beifall bei Abgeordneten der FDP – Zurufe von der LINKEN)

Unverhohlene Sympathien mit Diktaturen und das altbekannte Feindbild, nämlich Amerika und die NATO, prägen ihr Weltbild.

Die sechs Abgeordneten der Linken, die den strittigen Internetaufruf unterzeichnet haben, haben damit nicht nur ihre ganze Fraktion ins außenpolitische Abseits gestellt, sondern sie haben all die Menschen, die in ihren Ländern für Freiheit, Demokratie und Menschenrechte kämpfen, verhöhnt.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Sie verhöhnen die Leute, die nach Syrien abgeschoben werden!)

Dass zu den Unterzeichnern des am 3. Januar dieses Jahres veröffentlichten Textes auch die Sprecherin der Linken für internationale Beziehungen gehört, zeigt, wie tief dieses Denken in der Partei verhaftet ist, die sich heute Die Linke nennt, die aber die alte SED ist.

(Lachen bei Abgeordneten der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: So ein Unsinn! Dass Sie sich nicht schämen!)

In dem Punkt, Herr Kollege Kurth, muss ich Sie korrigieren: Hier sitzt nicht die Nachfolgepartei der SED, sondern das ist ein und dieselbe Partei geblieben, die sich nur mehrmals umbenannt hat. Das sollte wieder einmal angesprochen werden.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Das muss noch einmal gesagt werden!)

Frau Dağdelen und die anderen fünf Abgeordneten der Linken – Eva Bulling-Schröter, Dieter Dehm, Heike Hänsel, Annette Groth und Ulla Jelpke –

(Heike Hänsel [DIE LINKE]: Alle SED!)

haben eine Erklärung unterzeichnet, die den USA und der NATO vorwirft, „offen den Krieg gegen die strategisch wichtigen bzw. rohstoffreichen Länder Syrien und Iran“ vorzubereiten.

Die USA und die EU würden durch Embargos die Wirtschaft des Iran und Syriens bewusst in eine tiefe Krise stürzen, innere soziale Konflikte zuspitzen und einen Bürgerkrieg entfachen wollen, um einen Vorwand für die längst geplante militärische Intervention zu schaffen. Doch damit nicht genug: Die sechs Linken- Abgeordneten fordern des Weiteren die Bundesregierung auf, „die Embargomaßnahmen gegen den Iran und Syrien bedingungslos und sofort“ aufzuheben. Das geschieht vor dem Hintergrund der jüngsten Drohungen Irans, die Straße von Hormus für den internationalen Seeverkehr zu schließen.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Und vor allen Dingen Israel auszulöschen!)

Man stelle sich das bloß einmal vor – oder lieber nicht –: Der Iran droht mit der Verletzung der Freiheit der Seewege, was laut Einschätzung nicht nur der USA einer Kriegserklärung gleich käme, und Deutschland belohnt diese Androhung eines völkerrechtswidrigen Akts auch noch mit der Aufhebung von Sanktionen.

Ein ähnliches Szenario gibt es in Syrien: Wie vor einigen Tagen die jüngste Ansprache von Assad in der Universität von Damaskus gezeigt hat, schreckt er vor keiner noch so ungeheuerlichen Lüge und Verdrehung zurück. In dieser Rede streitet er jegliche Verantwortung für die bürgerkriegsähnlichen Zustände in seinem Land ab, die laut UN-Angaben mittlerweile circa 5 000 Menschen das Leben gekostet haben, und bezeichnet die Aufständischen als Terroristen, die ihn durch ihre vom Ausland geförderten Terrorakte davon abhalten würden, das Land zu reformieren. Das ist an Ungeheuerlichkeit wirklich nicht zu überbieten.

Auch in der arabischen Welt ist das Assad-Regime mittlerweile isoliert. Nur die Linke sympathisiert nach wie vor offen mit diesem Unrechtsregime.

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU – Christine Buchholz [DIE LINKE]: Lüge!)

Aber, meine verehrten Kolleginnen und Kollegen, mit Unrechtsregimen haben diejenigen in der Linkspartei, die eine SED-Vergangenheit haben, ja ganz offensichtlich keine Probleme.

(Ulrich Maurer [DIE LINKE]: Weiter lügen!)

Schließlich war Syrien – daran möchte ich erinnern – einmal ein sozialistisches Bruderland der DDR. Schon vergessen?

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ha! Jetzt haben Sie uns aber erwischt!)

Die Solidaritätsbekundungen der Linken sind, wie Kollege Gröhe zu Recht gesagt hat, ein Schlag ins Gesicht aller, die im arabischen Frühling ihr Leben für Freiheit und Demokratie riskieren.

(Wolfgang Gehrcke [DIE LINKE]: Ihr habt ja auch so viel mit dem arabischen Frühling zu tun!)

Zynischer und menschenverachtender – die beiden Begriffe kommen in dem Aufruf vor; ich verwende sie jetzt ganz bewusst, und zwar gegen die Unterzeichner – geht es wahrlich nicht mehr. Wie lange will die Linkspartei eigentlich noch Schießbefehle verteidigen?

(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU und der FDP – Widerspruch bei der LINKEN)

Sie haben aus Ihrer SED-Vergangenheit nichts gelernt.

(Marieluise Beck [Bremen] [BÜNDNIS 90/ DIE GRÜNEN]: Das sind aber nicht die SEDler! Das sind die West-Linken, die das gemacht haben! Das ist noch viel schlimmer!)

– Frau Kollegin, Sie haben völlig recht: Das macht es noch schlimmer.

Wenn jetzt einige Unterzeichner zurückrudern und behaupten, sie hätten mit diesem Aufruf nicht die menschenverachtenden Regime, sondern die notleidenden Bevölkerungen Syriens und Irans unterstützen wollen, möchte ich dazu ganz klar sagen: Das nimmt Ihnen keiner ab.

(Harald Weinberg [DIE LINKE]: Das steht im Aufruf! Lesen Sie ihn einmal!)

Wir verlangen deshalb, auch im Hinblick auf die Tausenden Opfer syrischer Gewaltherrschaft, eine klare Distanzierung der linken Führungsspitze von diesem Aufruf. An die Adresse der sechs Unterzeichner sage ich: Sie sollten sich schämen.

(Beifall bei der CDU/CSU und der FDP)

Vizepräsident Eduard Oswald:

Liebe Kolleginnen und Kollegen, die Aktuelle Stunde ist beendet.

* Quelle: Plenarprotokolle des Deutschen Bundestags, 152. Sitzung. Berlin, Donnerstag, den 19. Januar 2012, Plenarprotokoll 17/152, S. 18191 - 18205; http://dip21.bundestag.de/dip21/btp/17/17152.pdf


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