Bundeskanzlerin Merkel hat in ihrer Regierungserklärung, die vor allem innenpolitischen Fragen gewidmet war, außenpolitische Themen nur gestreift. Die Große Koalition möchte die Auslandseinsätze der Bundeswehr nicht nur fortsetzen, sondern entsprechend des Koalitionsvertrags erweitern. Die Ausbildung der malischen Armee soll ausgebaut und der Einsatz in der Zentralafrikanischen Politik soll „gegebenenfalls“ durch Verwundetenbehandlung neu aufgenommen werden. Wir warnen davor, dass damit ein weiterer Schritt in ein militärisches Abenteuer in der afrikanischen Wüste mit nicht absehbaren Folgen getan wird. Obwohl der Einsatz in Afghanistan von vornherein falsch war und durch seine Fortsetzung nicht richtig wird, will die Große Koalition auch hier nach dem Teilabzug 2014 weiter dabei sein – mit einer „Ausbildungsmission“, wie die Kanzlerin sagte. Aber auch eine Ausbildungsmission muss militärisch „geschützt“ werden. Der Krieg geht also auf unbestimmte Zeit weiter. Wir fordern dagegen, dass die Bundeswehr komplett aus Afghanistan abzieht.
Interessant ist auch, worüber die Kanzlerin schwieg: über die exorbitanten deutschen Rüstungsexporte zum Beispiel. Es stehen Exportbegehren zur Entscheidung an, die einen Wert von 30 Milliarden Euro annehmen können. Die Abnehmer sind überwiegend Staaten mit problematischen Menschenrechtsverhältnissen. Ein ethisches Problem? Nicht für die neue Bundesregierung. Darüber hinaus verlor Angela Merkel kein Wort zur Beschaffung von Kampfdrohnen und kein Wort zur inhumanen Abschottung Europas vor Flüchtlingen aus der Dritten Welt. In wichtigen Fragen der Außen- und Verteidigungspolitik verhält sich die Regierung wie eine Black Box.
Wie verträgt sich das mit dem in der Erklärung wie ein Mantra beschworenen Grundsatz, bei ihrer Politik stehe der Mensch im Mittelpunkt?
Merkel hat einen Schulaufsatz abgeliefert, der mit Sprechblasen ohne Substanz gespickt war. Und selbst dort, wo es etwas konkreter zu werden drohte, zog die Kanzlerin rechtzeitig die Handbremse: Als sie sich über den gigantischen Abhör-Skandal der US-Geheimdienste beschwerte, sah sie lediglich die „Verhältnismäßigkeit der Mittel“ in Gefahr. Der dadurch verursachte Vertrauensverlust werde sich aber „unter Freunden“ bestimmt wieder beheben lassen. Auf keinen Fall dürfe das weltweite Wirken der Geheimdienste in Zweifel gezogen werden: Nach 9/11 müsse man den „asymmetrischen Bedrohungen“ weiterhin mit nachrichtendienstlichen und militärischen Mitteln entgegen treten.
Merkel begann und endete ihre Regierungserklärung mit der Erinnerung an den Beginn des Ersten Weltkriegs vor 100 Jahren. Von deutscher Verantwortung für die Auslösung des Krieges war nichts zu hören. Stattdessen das Märchen vom friedlichen (EU-)Europa heute, in dem es keine „Geheimdiplomatie“ mehr gäbe und alle 28 EU-Mitgliedstaaten „gleichberechtigt“ seien. Sie vergaß zu sagen, dass manche Staaten gleichberechtigter sind als andere und dass einige Staaten - wie Griechenland, Portugal, Spanien oder Zypern - an der kurzen Leine der Troika ihre Selbstständigkeit real verloren haben.
Merkels Regierungserklärung lieferte einen Vorgeschmack auf so manche selbstgefällige Gedenkrede, die in diesem Jahr noch folgen wird. Und sie deckte verschämt den Mantel über den in der Koalitionsvereinbarung festgeschriebenen Aufbruch der Bundeswehr zu neuen Ufern. Dazu passt, dass kurze Zeit später zwei Auslandseinsätze der Bundeswehr (Patriots in der Türkei, Antiterroreinsatz Active Endeavor im Mittelmeer) im Bundestag durchgewinkt wurden.
Das Presse- und Informationsamt der Bundesregierung zur Regierungserklärung:
"Wir gestalten Deutschlands Zukunft"
Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
Bundeskanzlerin Angela Merkel hat in einer Regierungserklärung die Kernpunkte der Arbeit ihrer
Regierung benannt: solide Finanzen, Investitionen in die Zukunft, die Stärkung des
gesellschaftlichen Zusammenhalts sowie die Verantwortung in Europa und der Welt. Kompass sei die
soziale Marktwirtschaft.
Der Mensch stehe im Mittelpunkt ihrer Arbeit - und der Arbeit der Bundesregierung, sagte die
Bundeskanzlerin im Bundestag. Leitende Werte seien Freiheit, Rechtsstaatlichkeit, politische
Stabilität und Wohlstand.
Merkel: "Deutschland geht es so gut wie lange nicht mehr." Die Wirtschaft wachse, die
Arbeitslosigkeit sei zurückgegangen, es gebe die höchste Zahl an Beschäftigten seit der
Wiedervereinigung. Dennoch dürfe man die Hände nicht in den Schoß legen. Steuererhöhungen erteilte Merkel eine klare Absage.
Wachstumsmotor und Stabilitätsanker
Von der sozialen Marktwirtschaft als Auslaufmodell spreche keiner mehr. Vom kranken Mann Europas
sei erst recht keine Rede mehr, betonte die Kanzlerin.
Merkel sieht Deutschland dank wiedergewonnener Stärke als Wachstumsmotor und Stabilitätsanker in
Europa. Deutschland sei stärker aus der europäischen Staatsschuldenkrise herausgekommen. Das liege
ganz besonders am guten Zusammenspiel der Sozialpartner, der Arbeitgeber und Gewerkschaften. Deshalb bleibe die soziale Marktwirtschaft "unser Kompass".
Merkel zeigte sich überzeugt, dass sich Werte auch im weltweiten Wettbewerb behaupten würden.
Notwendig sei allerdings, mit der Dynamik Schritt zu halten und konsequent zu investieren,
beispielsweise in Bildung sowie Forschung und Entwicklung.
Finanzmärkte regulieren
Zugleich betonte Merkel, dass es Deutschland nur gut gehe, wenn es auch Europa gut gehe. Die
europäische Staatsschuldenkrise sei noch nicht dauerhaft und nachhaltig überwunden, warnte sie. Die
Bundeskanzlerin will daher auch bei der notwendigen Regulierung der Finanzmärkte nicht nachlassen.
So eine verheerende weltweite Finanzkrise wie 2008/2009 solle sich nicht wiederholen.
Es müsse Fortschritte geben, die diesen Namen auch wirklich verdienten. "Wer ein Risiko eingeht,
der haftet auch für die Verluste. Und nicht mehr der Steuerzahler", betonte die Kanzlerin. Deshalb
müssten Finanzakteure durch eine Finanztransaktionssteuer zur Verantwortung gezogen werden. Auch
die wirtschaftspolitische Koordinierung in Europa sei nach wie vor mangelhaft, so Merkel weiter.
Energiewende auf den Weg gebracht
Zur Umsetzung der Energiewende appellierte die Bundeskanzlerin an Wirtschaft, Verbände und
Parteien, an einem Strang zu ziehen und das Gemeinwohl im Blick zu behalten. Deutschlands Abkehr
vom konventionellen Energiemix sei einzigartig. Es gäbe kein anderes vergleichbares Land, das eine
solche radikale Änderung anpacke. Eine überwältigende Mehrheit in Deutschland unterstütze diese
"Herkulesaufgabe", die eine echte "nationale Kraftanstrengung" darstelle.
"Ich bin überzeugt, wenn die Energiewende gelingt, wird sie ein Exportschlager", so die Kanzlerin.
Und weiter: "Wenn sie einem Land gelingen kann, dann ist es Deutschland." Die Energiewende sei nur
zu erreichen, wenn die deutsche Industrie im Wettbewerb bestehen könne und Strom erschwinglich
bleibe. Merkel sagte, mit den Eckpunkten zum Erneuerbare-Energien-Gesetz sei eine gute Grundlage
geschaffen worden. Die Novelle solle in der Kabinettsitzung am 9. April beschlossen werden.
Merkel verteidigte zugleich den geplanten Abbau der Förderung von Ökostrom. Die Erneuerbaren
Energien hätten heute einen Anteil von 25 Prozent an der Stromerzeugung. Damit hätten sie die
Nische verlassen und seien Teil der Stromwirtschaft.
Renten und soziale Sicherung
Merkel verteidigte auch die Rentenpläne der großen Koalition. Schon bei der Einführung der Rente
mit 67 sei eine vorzeitige Rente nach 45 Beitragsjahren berücksichtigt worden. Jetzt werde dies
modifiziert.
Die Menschlichkeit einer Gesellschaft zeige sich im Umgang mit Schwachen, gerade wenn sie alt oder
krank seien. Gerecht sei es auch, dass Mütter einen zusätzlichen Rentenpunkt für Kinder erhielten,
die vor 1992 geboren wurden. Die sozialen Sicherungssysteme müssten zugleich zukunftsfest bleiben.
Am Morgen hatte das Bundeskabinett das Rentenpaket auf den Weg gebracht. Es geht dabei um
Verbesserungen bei der Mütterrente. Außerdem wurde der abschlagfreie Renteneintritt mit 63 Jahren
nach 45 Beitragsjahren, die Aufstockung der Renten für Erwerbsgeminderte und bessere Reha-Leistungen beschlossen.
Zur Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns führte Merkel aus, dass der nachvollziehbare Wunsch
nach würdiger Bezahlung Menschen nicht in die Arbeitslosigkeit führen dürfe. Die Kanzlerin betonte
auch die Notwendigkeit, die Tarifhoheit zu stärken.
Zugleich sollten Frauen und Männer gleiche Chancen haben. Ab 2016 werde es eine Frauenquote von
mindestens 30 Prozent für die Vorstände von DAX-Unternehmen geben.
Integration vorantreiben
Deutschland sei offen für Fachkräfte aus dem Ausland und werde die Möglichkeiten nutzen, die die
Freizügigkeit in Europa biete, erklärte Merkel. Es dürfe aber nicht zu einem Missbrauch und einer
faktischen Einwanderung in die Sozialsysteme kommen.
Die Bundesregierung habe hierzu einen Staatssekretärs-Ausschuss eingerichtet, um Fragen zu klären
und gegebenenfalls Hilfsmöglichketen des Bundes anzubieten.
Datenschutz stärken
"Wir wollen, dass das Internet eine Verheißung bleibt", so die Bundeskanzlerin. Deshalb wolle die
Bundesregierung das Netz schützen "vor Zerstörung von innen durch kriminellen Missbrauch und durch
intransparente, allumfassende Kontrolle von außen".
Der bisherige rechtliche Rahmen für eine vernünftige Balance von Freiheit und Sicherheit reiche
nicht mehr aus. Internationale Vereinbarungen gebe es noch nicht, sagte Merkel auch mit Blick auf
die umfassenden Datensammlungen - vor allem des US-Geheimdienstes NSA. Merkel räumte ein, dass in
den Gesprächen mit den USA über die Befugnisse der Geheimdienste die Ansichten noch "weit
auseinander" lägen. Die Bundesregierung werde eine digitale Agenda erstellen. "Wir arbeiten an einer europäischen
Datenschutzverordnung", so Merkel
Deutsch-amerikanische Partnerschaft
Für die Bundeskanzlerin ist die Arbeit der Nachrichtendienste zum Schutz der Bürger unerlässlich.
Es gehe aber um Fragen der Verhältnismäßigkeit und den Schutz der Bürgerinnen und Bürger vor
Angriffen auf ihre Privatsphäre. Darüber rede Deutschland mit den USA.
"Ein Vorgehen, bei dem der Zweck die Mittel heiligt, bei dem alles, was technisch machbar ist, auch
gemacht wird, verletzt Vertrauen, es sät Misstrauen" betonte die Kanzlerin. Am Ende gebe es nicht
mehr, sondern weniger Sicherheit. Vertrauen sei der Kern der Zusammenarbeit.
Dennoch warnte Merkel vor unüberlegten Schritten, wie etwa einem Aus für das geplante
Freihandelsabkommen. Die deutsch-amerikanische und die transatlantische Partnerschaft blieben von
überragender Bedeutung. Deutschland könne sich keinen besseren Partner wünschen als die USA.
Beteiligung in Afghanistan und bei anderen Auslandseinsätzen
Kein Konflikt kann allein militärisch gelöst werden, betonte die Regierungschefin. Die
Bundesregierung sei bereit, sich auch nach 2014 weiter in Afghanistan zu engagieren. Dies solle im
Rahmen einer militärischen Ausbildungsmission sowie beim wirtschaftlichen Wiederaufbau des Landes
erfolgen.
Zu den Einsätzen der Bundeswehr in Afrika erklärte Merkel, das Engagement in Mali solle verstärkt
werden. Die Frage einer Unterstützung der Verbündeten bei ihrem Engagement in der Zentralafrikanischen Republik werde geprüft.
Ein Kampfeinsatz der Bundeswehr werde nicht erfolgen. Denkbar sei beispielsweise eine Unterstützung im medizinischen Bereich. Es kommt stets auf die Vernetzung von zivilen und militärischen Mitteln
an.
Erinnern und Gedenken
Die Bundeskanzlerin erinnerte daran, dass es in diesem Jahr 100 Jahre her sei, dass der Erste
Weltkrieg ausbrach, und vor 75 Jahren der Zweite Weltkrieg. Heute bestimme nicht mehr geheime
Diplomatie die Geschicke Europas, sondern alle 28 EU-Länder gemeinsam.
"Wir Deutschen und wir Europäer sind heute zu unserem Glück vereint", sagte Merkel abschließend. Deutschland übernehme Verantwortung und die neue Bundesregierung wolle dazu beitragen, dieses Glück
zu bewahren.