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Afrika statt Afghanistan – Neuer Schwerpunkt der Bundeswehr

Ein Beitrag von Alexander Drechsel in der NDR-Sendereihe "Streitkräfte und Strategien" *


Joachim Hagen (Moderator):
Wie die neue europäische Verantwortung aussehen könnte, zeigt sich gerade in Afrika. In der Zentral-Afrikanischen Republik sollen Blauhelme der Vereinten Nationen die Bevölkerung vor den christlichen und muslimischen Milizen schützen. Frankreich und andere Länder der Europäischen Union wollen sich mit etwa 3.000 Soldaten beteiligen. Deutschland will seine Medivac-Lazarett-Flugzeuge zur Verfügung stellen. Und das ist nicht die einzige Bundeswehr-Mission in Afrika. Welche Ziele verfolgt die Bundesregierung? Alexander Drechsel berichtet.


Manuskript Alexander Drechsel

Deutschland will sich stärker auf dem afrikanischen Kontinent engagieren - gegebenenfalls auch mit Soldaten. Das klingt ein bisschen so, als solle die Bundeswehr eine für sie unbekannte Welt betreten. Das ist aber keinesfalls so. Seit Jahrzehnten sind die deutschen Streitkräfte in unterschiedlicher Art und Weise auf Europas Nachbarkontinent präsent. Allerdings sind die meisten Missionen kaum bekannt.

In den Medien besonders präsent sind derzeit vor allem drei afrikanische Krisenherde: Mali, die Zentral-Afrikanische Republik und Somalia. In allen drei Ländern kämpfen westliche und afrikanische Truppen gegen islamistische Rebellen. Doch an Kämpfen, so beteuert es die Bundesregierung, solle sich die Bundeswehr auch künftig nicht beteiligen. Ausbildung und Unterstützung seien die Beiträge zur Krisenbewältigung. Kampfeinsätze solle es nicht geben, erklärte Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen beispielsweise vor wenigen Tagen im Deutschlandfunk:

O-Ton von der Leyen
"Es geht viel stärker dahin, dass man die Kräfte vor Ort, also in Afrika die afrikanischen Truppen, ausbildet, dass man sie in die Lage versetzt, die Verantwortung für ihr Land selber zu übernehmen. Und dazu gibt es dann andere Fähigkeiten am Rande wie zum Beispiel Logistik, wie zum Beispiel die gesamte medizinische Versorgung, die wir als Brückenfunktion zur Verfügung stellen müssen. Und ich finde diesen Ansatz ganz richtig, also nicht sagen, wir machen alles selber, wir Europäer zum Beispiel in Afrika machen das selber, sondern wir versetzen die Afrikaner in die Lage, Verantwortung selber zu übernehmen. Das wollen übrigens die Afrikaner auch so, und das ist, meines Erachtens, die richtige Herangehensweise."

Die Verteidigungsministerin beschreibt damit eine Linie, die alles andere als neu ist. In Mali unterstützt die Bundeswehr mit bis zu 250 Soldaten die EU-geführte Ausbildungsmission. In der Zentral-Afrikanischen Republik wiederum wird Deutschland voraussichtlich logistische Hilfe leisten. Und in den kommenden Monaten werden in der somalischen Hauptstadt Mogadischu höchstwahrscheinlich deutsche Militärausbilder ihre Arbeit aufnehmen.

Diese drei publikumswirksamen Einsätze sind aber - wie gesagt - nur ein Teil der Bundeswehraktivitäten in Afrika. So nehmen deutsche Soldaten etwa an Manövern auf dem Kontinent teil. Derzeit läuft beispielsweise in Niger eine alljährliche Übung namens Flintlock, die vom US-Afrika-Kommando initiiert ist. Mehr als 1.000 Soldaten aus 18 meist afrikanischen Ländern trainieren gemeinsam Terrorismusbekämpfung und Hilfseinsätze. Beobachtet wird die Übung von drei Bundeswehr-Soldaten: einem Offizier des Einsatzführungskommandos und zwei Offizieren des Kommandos Spezialkräfte - kurz KSK. Auch in den Vorjahren war die Bundeswehr bei Flintlock dabei - als Beobachter oder als Ausbilder.

Ein weiteres Beispiel für gemeinsame Manöver in Afrika ist „Obangame Express“, das Mitte des kommenden Monats im Golf von Guinea stattfindet. Was die voraussichtlich fünf deutschen Kriegsschiffe dort sollen, erläutert Marinesprecher Achim Winkler:

O-Ton Winkler
"Was dort passiert, um es mit wenigen Worten zu sagen, ist eine gemeinsame Übung mit diversen afrikanischen Staaten beziehungsweise deren Marinekräften, um im weitesten Sinne Sicherheit auf See - maritime Sicherheit - zu üben für diese afrikanischen Staaten.¨

Im Manöververlauf wird sich unter anderem ein nigerianisch-ghanaischer Einsatzstab unter der Führung eines Admirals auf einer deutschen Fregatte einschiffen, um Einsatzführung und Kommunikation zu trainieren. Auf einem anderen deutschen Schiff werden afrikanische Boardingteams Quartier beziehen. Sie sollen praktische Erfahrungen sammeln, wenn sie in kleinen schnellen Booten Schiffe ansteuern, um Besatzung und Ladung zu kontrollieren. Die Afrikaner können dabei auf Erfahrungen zurückgreifen, die die deutsche Marine etwa beim Anti-Piraterie-Einsatz „Atalanta“ am Horn von Afrika machten.

Aber auch die Deutschen profitierten von dem Manöver „Obangame-Express“, sagt Fregattenkapitän Winkler:

O-Ton Winkler
"Die Kooperation mit Marinen anderer Nationen, egal ob das nun NATO-Marinen sind oder aber wie in diesem Falle auch Marinen von Nicht-NATO-Staaten, ist alles auf der Habenseite, wenn es um das eigene Training geht. Und insofern ist das auch für die Deutsche Marine eine sehr, sehr willkommene Übung, an der sie gerne teilnimmt.“

Die Bundeswehr beteiligt sich aber nicht nur an Manövern, EU-Einsätzen oder UN-Beobachtermission auf dem afrikanischen Kontinent. Seit Jahrzehnten sind auch deutsche Militärberater im Einsatz. Derzeit sind es nach Angaben des Verteidigungsministeriums etwa 40 Soldatinnen und Soldaten, die aufgrund von bilateralen Abkommen die Streitkräfte in sechs afrikanischen Ländern beraten. Ihre Aufgaben beschreibt das Ministerium so - Zitat:

Zitat
„Militärische Beraterinnen und Berater unterstützen die Streitkräfte der Partnerstaaten insbesondere beim Aufbau und der Organisation ihrer Ministerien und Führungsstäbe, Streitkräftestrukturen, von Ausbildungsgängen und logistischen Strukturen.“

Auch hier zeigt sich, dass Verteidigungsministerin von der Leyen keinesfalls neue Handlungsmaximen für die Bundeswehr ausgibt. Vielmehr beschreibt sie in weiten Teilen eine seit Jahrzehnten gelebte Praxis. Schon vor ihrem Amtsantritt gab es die aktuellen Militärberaterprogramme in Äthiopien, Ghana, Namibia, Nigeria, Senegal und Tansania.

O-Ton Stroh
„Interessanterweise sind die Beratermissionen der Bundeswehr, die es schon seit langen Jahren gibt, tendenziell in Ländern mit einem etwas friedlichen Hintergrund“.

...sagt Afrika-Experte Alexander Stroh vom Hamburger GIGA-Forschungs-Institut.

Meistens jedenfalls - denn auch in Mali gab es bis 2012 deutsche Militärberater. Bis zum Ausbruch der Unruhen vor fast zwei Jahren in Mali bildeten sieben deutsche Soldaten malische Pioniere aus. Denn lange Zeit galt das Land als Musterbeispiel für eine erfolgreiche Demokratisierung.

Mali sei aber eine Ausnahme und keine Schablone für kommende Afrika-Einsätze der Bundeswehr, sagt GIGA-Forscher Stroh weiter.

O-Ton Stroh
„Die Probleme, die sich in Mali in den letzten zwei, drei Jahren ergeben haben und die Eskalation von Gewalt bis hin zur Kriegsführung, sind so spezifisch gelagert, dass man sich schwer eine Konstellation vorstellen kann, in der dieses spezielle malische Modell in anderen Ländern zur Anwendung kommen könnte.“

Überlegungen, Deutschland könne nun mit unruhigen afrikanischen Staaten, Verträge schließen und dort Beratermissionen aufbauen, um dann im Fall eines Falles schon einen Fuß in der Tür zu haben, hält Stroh für abwegig. In jenen Ländern, in denen die Bundeswehr Militärberater im Einsatz habe, seien multinationale Stabilisierungseinsätze unwahrscheinlich.

O-Ton Stroh
„Von daher auch das spricht dagegen, dass man jetzt in etwas riskanteren Kontexten bilaterales Engagement aufbaut. Ich glaube nicht, dass Deutschland ausgerechnet das Risiko suchen wird, wenn es nicht einen konkreten Anlass gibt, andere zu unterstützen.“

Wenn es etwas Neues an der formulierten deutschen Afrika-Politik gibt, dann im Zusammenhang mit EU oder NATO. Die Bundesregierung will sich mehr im Bündnis in Afrika engagieren. Sie will früher einbezogen werden. Dass andere handeln und Deutschland sich im Nachgang Lücken für ein eigenes Engagement sucht, soll der Vergangenheit angehören. Die Bundesregierung will gemeinschaftlich Situationen analysieren, Lösungen erarbeiten und Konzepte umsetzen. Die Bundeswehr kann dabei gewaltfrei unterstützen. Aber Deutschland muss vor allem seine zivilen Kräfte aus Krisenprävention und Entwicklungszusammenarbeit in Afrika einsetzen, um Konflikte auf Europas Nachbarkontinent beizulegen.

* Aus: NDR Info: Das Forum STREITKRÄFTE UND STRATEGIEN, 8. März 2014; www.ndr.de/info


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