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"Die Überflugrechte für die USA müssen auf den Prüfstand"

Interview mit Christoph Strässer, MdB (SPD)*, über den Bundeswehreinsatz im Kongo, den Irakkrieg, Afghanistan und die NATO-Verträge

* Christoph Strässer sitzt seit 2002 für die SPD im Bundestag. Er gehörte zu den Initiatoren des Krefelder Appells, der Anfang der 80er Jahre eine Art Initialzündung für die westdeutsche Friedensbewegung war. Zu jener Zeit war Strässer Vorsitzender der Jungdemokraten. Als diese sich wenig später von der FDP lösten, wechselte er zur SPD.
Wir dokumentieren das Interview, das am 8. Juli 2006in der "jungen Welt" erschien. Das Gespräch führte Wolfgang Pomrehn.



Werden Sie am kommenden Donnerstag [13. Juli] demonstrieren, wenn US-Präsident George W. Bush Stralsund besucht?

Ich werde nicht in der Gegend sein. Sonst hätte ich es mir gut vorstellen können.

Sie haben am 1. Juni in der Bundestagsdebatte über den Einsatz deutscher Soldaten im Kongo die US-Invasion im Irak einen Angriffskrieg genannt. Nach deutschem Recht ist das Vorbereiten und Führen eines solchen Krieges strafbar, oder?

Für diesen Krieg gibt es kein völkerrechtlich legitimiertes Mandat. Auch das Kriegsziel »Regime change« ist im Völkerrecht nicht vorgesehen. Deshalb ist für mich völlig klar, daß der Krieg und seine Folgen, zum Beispiel Guantánamo, völkerrechtswidrig sind.

Nun wurde und wird dieser Krieg allerdings auch von Deutschland aus geführt. Die hiesigen US-Stützpunkte sind wichtig für den Nachschub in den Irak, und die US-Militärs haben hierzulande nach wie vor Überflugrechte. Weder die alte Bundesregierung noch die neue haben dagegen interveniert.

Das ist ein alter Streit. Die Überflugrechte sind eine Folge von zwischenstaatlichen Verträgen im Rahmen der NATO, aber die muß man natürlich immer wieder einmal überprüfen. Ich habe allerdings seinerzeit die Auffassung der Bundesregierung unterstützt, daß daran nichts zu ändern war. Auch heute denke ich noch, daß es korrekt war. Aber für die Zukunft muß man diese Verträge überprüfen. Das betrifft auch andere Dinge, wie etwa die Stationierung von Atomwaffen.

Wenn es sich um einen Angriffskrieg handelt, dann ist nach deutschem Recht auch dessen Unterstützung illegal. Es mag also entsprechende Verträge mit den USA geben, aber das grundgesetzliche Verbot eines Angriffskrieges wird doch wohl einen höheren Rang haben, oder?

Es ist eine Frage der Definition. Wir haben seinerzeit intern und extern sehr intensiv diskutiert, ob die Sachverhalte schon eine Unterstützungshandlung in dem Sinne darstellen, wie sie das Grundgesetz verbietet. Ich war damals der Meinung und bin es auch heute noch, daß man angesichts dieser ungeklärten Lage die Entscheidung der Bundesregierung rechtfertigen kann.

Sie sagten, Sie würden gegebenenfalls gegen Bush demonstrieren. Aber wieso eigentlich, wenn die von Ihnen getragene Regierung dessen Kriege unterstützt?

An dieser Stelle sind wir offensichtlich unterschiedlicher Meinung. Das eine ist die Frage, daß dieser Krieg völkerrechtswidrig ist. Das andere ist die Frage, mit welchen völkerrechtlichen Instrumenten die Bundesregierung agiert; und die ist umstritten. Nach meiner Meinung muß man an diese Verträge ran. Dabei geht es, nebenbei bemerkt, nicht nur um den Irak-Krieg, sondern auch um die Überflugrechte für CIA-Transporte. Diese Dinge müssen jetzt alle auf den Prüfstand. Aus der damaligen Perspektive war das Verhalten aber rechtlich zu rechtfertigen. Politisch hingegen ist das eine andere Frage. Deshalb sage ich ja auch, ich würde gegen Bush demonstrieren, weil ich diesen Krieg nicht in Ordnung finde.

Wann kommen die Verträge auf den Prüfstand?

Das werden wir jetzt im Rahmen der laufenden Untersuchung sowohl im Bundestag als auch in der parlamentarischen Versammlung des Europarates sehen, der ein Bericht über die CIA-Flüge vorgelegt worden ist. Ich denke, daß es innerhalb des nächsten halben Jahres darüber eine Debatte im Bundestag geben wird.

Und Sie meinen, daß in diesem Zusammenhang auch die Stützpunktverträge mit den USA revidiert werden könnten?

Ich weiß nicht, ob es eine Mehrheit für eine Revision dieser Verträge geben wird. Aber ich finde es auf jeden Fall wichtig, daß diese Vorgänge zum Thema im Parlament gemacht werden.

Spielt es für Sie in diesem Zusammenhang eigentlich eine Rolle, daß deutsche Soldaten derzeit mit ihren US-amerikanischen »Kollegen« in Afghanistan Krieg führen?

Das ist eine andere Frage, weil es für das ISAF-Mandat klare völkerrechtliche Vorgaben gibt. Das ist für mich immer die zentrale Frage, egal, ob ich militärische Mittel für sinnvoll halte oder nicht.

Es geht nicht um ISAF. Die halten ja nur ihren Kopf dafür hin, daß andere Truppen an anderer Stelle in Afghanistan einen regelrechten Krieg führen. Es geht um das sogenannte Kommando Spezialkräfte (KSK), das offensichtlich in Afghanistan in ganz konkrete Kriegshandlungen involviert ist.

Was konkrete Aktivitäten angeht, so gehe ich davon aus, daß diese sich im Rahmen des Mandats bewegen, das die Bundeswehr dort hat. Das Mandat halte ich für legitim. Ob es politisch falsch oder richtig ist, möchte ich an der Stelle gar nicht entscheiden, aber es ist allemal legitim.

Der KSK-Einsatz gehört aber nicht zum ISAF-Mandat. Die USA führen in Afghanistan im Rahmen von »Enduring Freedom« Krieg gegen die Reste der Taliban oder wen auch immer, und das KSK beteiligt sich in irgendeiner Form daran. Näheres der deutschen Öffentlichkeit mitzuteilen, weigert sich Ihre Regierung beharrlich.

Also: Wir versuchen ja, und das ist Bestandteil der laufenden politischen Auseinadersetzungen, »Enduring Freedom« und ISAF auseinanderzuhalten. Die Bundeswehr ist auch im Rahmen von »Enduring Freedom« in Afghanistan. Daß aber auch die ISAF-Truppen in Kampfhandlungen verwickelt werden könnten, ist ja wohl unstrittig.

Immerhin haben die ISAF-Truppen keinen konkreten Kampfauftrag, während im Rahmen des »Enduring Freedom«-Einsatzes ein offensiver Krieg geführt wird. US-Einheiten haben in der Vergangenheit wiederholt Dörfer angegriffen und Hochzeitsgesellschaften massakriert. Die KSKler sind an diesen Aktivitäten in der einen oder anderen Form beteiligt – sei es mit dem Finger am Abzug oder mit Tätigkeiten in der Etappe. Haben Sie dafür im Bundestag Ihre Zustimmung gegeben?

Nein. Die Einsätze, die wir beschließen, beziehen sich in der einen oder anderen Form auf die ISAF-Mandate. Zur Aufgabe des KSK im Rahmen von »Enduring Freedom« kann ich nicht mehr sagen, als ich schon ausgeführt habe. Diese unterliegt einem umfassenden Geheimhaltungsvorbehalt.

Hat denn der Bundestag keine Zustimmung zum KSK-Einsatz gegeben?

Doch, wenn das KSK im Ausland eingesetzt wird, muß dem der Bundestag zustimmen.

Sie meinten, Guantánamo sei völkerrechtswidrig. Nun wurde das Lager allerdings nach dem Angriff auf Afghanistan errichtet. Dort sind Menschen eingesperrt, die in Afghanisan gefangengenommen wurden. Von den KSKlern heißt es, sie machten keine Gefangenen. Bedeutet das nun, daß sie auf Gegner, die sich ergeben, einfach weiter schießen, oder übergeben sie ihre Gefangenen den US-Einheiten, die sie dann nach Guantánamo verfrachten.

Ich muß das noch einmal klar sagen: Mir ist als Abgeordnetem zu den konkreten Einzelheiten und den Ergebnissen des KSK-Einsatzes nichts bekannt. Ich kann Ihnen nicht sagen, ob das eine Rolle im Verteidigungsausschuß spielt, der zum Teil nicht öffentlich tagt.

Aber stellen Sie sich nicht selbst diese Fragen?

Doch.

Und auch Ihren Abgeordnetenkollegen aus dem Verteidigungsausschuß?

Ich stelle diese Fragen immer. Ich habe schon vor dem Afghanistan-Einsatz gesagt, daß das ein politischer Fehler und nicht mit dem Grundgesetz in Einklang zu bringen ist. Es hat seinerzeit in der SPD-Fraktion heftige Auseinandersetzungen gegeben, die dann mit dem berüchtigten Machtwort Gerhard Schröders beendet wurden. Das war allerdings vor meiner Zeit.
Es kann sein, daß wir demnächst über die Zusammenlegung von ISAF und »Enduring Freedom« abzustimmen haben, die die Amerikaner fordern. Da werde ich auf keinen Fall zustimmen.

Wie lange soll das noch in Afghanistan so weitergehen?

Mit den Dingen darf man nicht leichtfertig umgehen. Ich bin der Meinung, daß das, was da alles im Kampf gegen den Terrorismus läuft, sehr kritisch gesehen werden muß. Diese Bewegungen sind militärisch nicht zu besiegen, sondern es gehören andere Maßnahmen dazu, die zur Stabilisierung in den Regionen beitragen. Das Militär kann da allenfalls eine Teilrolle spielen, wenn überhaupt. Man sieht das ja zum Beispiel auch auf dem Balkan, wo seit nunmehr sieben Jahren Soldaten stehen. Eine Befriedung ist nicht erreicht worden, aber immerhin eine Teilstabilisierung, so daß nicht mehr aufeinander geschossen wird. Aber ob das auf Dauer funktionieren kann, bezweifle ich.

Was halten Sie eigentlich davon, daß Deutschland Flüchtlinge in »teilstabilisierte« Gebiete wie in das Kosovo oder nach Afghanistan oder in den Kongo abschiebt?

Das ist skandalös. Das habe ich schon mehrfach öffentlich erklärt. Menschen in Regionen zu schicken, in denen die Bundeswehr versucht, zu einer Stabilisierung beizutragen, kann nicht gutgehen. Das gilt zum Beispiel auch für das Kosovo. Die Rückführung von Roma in das Kosovo halte ich für eine politische Katastrophe.

Und was machen Sie als Mitglied einer Regierungspartei dagegen?

Ich kann nicht mehr tun, als das immer wieder zum Thema zu machen. Wir haben zum Beispiel in unserer letzten Sitzungswoche im Bundestag im Ausschuß für Menschenrechte und humanitäre Hilfe dem parlamentarischen Staatssekretär aus dem Innenministerium diese Politik vorgehalten. Ich greife die Abschiebungen auch ständig öffentlich auf Diskussionsveranstaltungen an. Wo ich kann, unterstütze ich in konkreten Abschiebefällen vor Ort die Betroffenen und die sich wehrenden Gruppen.

In der Bundestagsdebatte haben Sie sich für den Kongo-Einsatz der Bundeswehr stark gemacht. Warum sollen ausgerechnet Soldaten aus Deutschland, Frankreich und Belgien – ehemalige Kolonialstaaten also – dort für Frieden sorgen?

Die Geschichte muß man bei diesem Einsatz immer im Hinterkopf haben. Nun ist es so, daß nach den Informationen, die die Bundestagsabgeordneten hatten, die Ausweitung des Einsatzes der UN-Truppen, der MONUC, abgelehnt wurde, und es den ausdrücklichen Wunsch gab, daß europäische Helfer in den Kongo kommen, um den Wahlprozeß zu unterstützen. Wir hatten Gespräche mit afrikanischen Politikern aus der Region geführt, die sagten, daß, wenn überhaupt, dann europäische Soldaten kommen sollen.

Es gibt allerdings auch Stimmen aus dem Kongo, zum Beispiel von Gewerkschaftern, die sagen, daß die Europäer besser zu Hause bleiben und erst einmal ihre eigenen Probleme zum Beispiel mit dem Rassismus lösen sollen.

Ich denke, daß sich das nicht ausschließt. Natürlich haben wir hier auch Probleme. Daß es Rassismus und Ausländerfeindlichkeit gibt, ist keine Frage.

Mitte Juni kam es im Kongo bereits zu Demonstrationen gegen die EU-Truppen. Valentin Mubake, Sprecher der Oppositionspartei UDPS, einer Partei, die bereits gegen den Diktator Mobutu gekämpft hat, sich aber nie am Bürgerkrieg beteiligte, hält die Wahlen am 30. Juli für eine Maskerade. Die Europäer würden mit den Plünderern ihre Claims abstecken. Die UDPS wurde nicht zur Wahl zugelassen.

Natürlich gibt es diese Stimmen. Das haben wir auch von Oppositionspolitikern gehört. Ich kann nicht bestreiten, daß in einigen Überlegungen die Ressourcenabsicherung zu Gunsten westlicher Interessen eine Rolle spielt. Unser Verteidigungsminister hat sich ja entsprechend geäußert. Diese Position halte ich für falsch. Man kann allerdings auch sagen, daß eine politische Stabilisierung die Chance vergrößert, daß die Ressourcen des Kongos tatsächlich seinen Bürgern zugute kommen. Bisher werden die Minen ausgebeutet, ohne daß die Menschen etwas davon haben.

Es wäre allerdings das erste Mal in der Weltgeschichte, daß ausgerechnet die Europäer für so etwas sorgen.

Wer soll es sonst tun? Ich sehe ja auch die verschiedenen Kritikpunkte, aber letztendlich war es eine Frage der Abwägung. Ich hoffe einfach, daß ich mit meiner Position recht habe.

Die Aufgabe der rund 2000 europäischen Soldaten in Kinshasa wird es sein, den Flughafen zu sichern und die Regierung Kabila zu schützen. Was passiert eigentlich, wenn Präsident Joseph Kabila abgewählt wird und es zu Demonstrationen kommt, die seinen Rücktritt fordern? In den letzten Monaten wurden in Kinshasa wiederholt Menschen bei Demonstrationen getötet. Welche Rolle werden in diesem Zusammenhang deutsche Soldaten spielen?

Nach dem Auftrag, über den ich abgestimmt habe, sollen sie den Wahlprozeß durch ihre abschreckende Präsenz begleiten. Ich kann Ihnen nicht sagen, wer die Wahl gewinnen wird, aber Kabila und alle anderen auch haben dem Mandat zugestimmt. Zu den Aufgaben der Soldaten gehört es, einen Beitrag zu leisten, daß die Wahl korrekt abläuft. Der Einsatz der Truppen soll dazu beitragen, daß es nach der Wahl zu keinem neuen Bürgerkrieg kommt. Ob das erreichbar ist, bleibt die große Frage. Klar ist, daß die Beteiligten in den letzten Jahrzehnten viel zur Destabilisierung des Landes beigetragen haben. Was mich letztendlich bewogen hat, dem Antrag zuzustimmen, war, daß die Menschen diesen Wahlprozeß nun wirklich wollen.

Aber was geschieht, wenn Kabila, der von Frankreich und Belgien gestützt wird, die Wahl in seinem Sinne manipuliert? Auf welcher Seite stünden die Soldaten, wenn es deswegen zu Unruhen käme?

Die Soldaten haben nicht den Auftrag, eine Seite zu unterstützen. Sie sollen durch ihre Präsenz die Wahlen absichern. Es sind mehrere tausend Wahlbeobachter im Land. Deren Einschätzungen werden natürlich auch für die Frage relevant sein, wie sich Europa verhält.

Die UNO hat in einem Bericht Roß und Reiter in bezug auf die verschiedenen Firmen benannt, die nicht nur vom Bürgerkrieg profitiert, sondern ihn durch ihren Handel mit wertvollen Erzen und Edelsteinen sogar angeheizt haben. Auch deutsche Geschäftsleute waren darunter. Haben Sie mit F: Konsequenzen zu rechnen?

Gegen diese Leute muß auch nach deutschem Recht vorgegangen werden. Die Vorfälle sind seit langem bekannt und ein Fall für die Staatsanwaltschaft. Soviel ich weiß, gibt es auch schon Ermittlungsverfahren, aber nach meinem Eindruck werden sie nicht sehr nachdrücklich betrieben. Es geht unter anderem um die Coltan-Mine Lueshe im Osten des Landes, in deren Ausbeutung neben örtlichen Rebellengruppen auch ehemalige deutsche Botschaftsangehörige verwickelt waren.

Aus: junge Welt, 8. Juli 2006 (Wochenendbeilage)


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