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Rot-grün: Von der "zivilen Konfliktprävention" bis zur "Armee im Einsatz"

Eine Analyse des außen- und sicherheitspolitischen Teils des Koalitionsvertrags

Von Paul Schäfer*

Die "rot-grüne" Regierungsübernahme 1998 nach 16 Jahren Helmut Kohl war von großen Erwartungen begleitet. Nicht zuletzt die Koalitionsvereinbarung nährte diese Hoffnungen. In ihr fanden sich nicht wenige Anliegen engagierter Gruppen im außerparlamentarischen Bereich wieder. Joschka Fischer war zwar vor Amtsantritt nicht müde geworden, Kontinuität zu betonen, aber konnte man das nicht gut und gerne unter diplomatischer Routine abhandeln? "Deutsche Außenpolitik ist Friedenspolitik", lautete der erste Satz des Abschnitts über internationale Politik. Doch die Tinte unter dem Koalitionsvertrag war kaum trocken, als die neue Regierungscrew in Washington einbestellt wurde, um Deutschland auf einen NATO-Militäreinsatz im ehemaligen Jugoslawien einzuschwören. Die Enttäuschung saß tief, dass es just diese Regierung war, die erstmals eine unmittelbare deutsche Beteiligung an Kriegshandlungen vollzog. Manche trösteten sich damit, dass es sich um eine einmalige Entgleisung gehandelt haben könnte. Aber nach dem 11.9.2001 prägte Kanzler Schröder das Wort von der "Enttabuisierung des Militärischen". Wenn er dennoch wiedergewählt wurde, denn nicht dieses Satzes wegen, sondern weil sich "Rot-Grün" im Wahlkampf als besonnene Anti-Kriegspartei präsentierte. Doch was gilt nun nach der erfolgten Wiederwahl? Welche Aufschlüsse gibt diesbezüglich die Koalitionsvereinbarung?

Widerspruch zwischen Deklaration und politischer Praxis Mit der deutschen Beteiligung am NATO-Luftkrieg waren wichtige Kernsätze des Koalitionsvertrages (Bedeutung der Vereinten Nationen, Wahrung des Völkerrechts) Makulatur geworden. Wenn jetzt wieder viele Aussagen des Vertrages von 1998 wiederholt werden, ist davon auszugehen, dass das gleiche Grundmuster wieder bedient wird. Tatsächlich überwiegt, wenn man die beiden Koalitionsverträge 1998/2002 vergleicht, Kontinuität - bei einigen Neuakzentuierungen.
Der frisch gebackene Außenminister Fischer prägte damals den bemerkenswerten und klugen Satz, man wolle Kontinuität, um Spielräume für neue Politikansätze überhaupt eröffnen zu können. Doch damit war es nicht weit her. Bescheidene Vorstöße, etwa zur Regulierung der internationalen Finanzmärkte durch Oskar Lafontaine oder zur Revision der NATO-Doktrin vom atomaren Erstschlag, wurden, nachdem man sich eine Abfuhr eingehandelt hatte, schlicht ad acta gelegt. Neu scheint nun ein gewisser "Realismus" zu sein, der darin zu bestehen scheint, dass man solche kühnen Vorstöße gar nicht mehr erwägt.
Ein neuer Akzent liegt auch darin, dass unter dem Eindruck der Terroranschläge allenthalben von Sicherheitserfordernissen die Rede ist. In der Regierungserklärung von Gerhard Schröder wurde dieses Leitmotiv noch deutlicher betont. Der Bundesregierung gehe es um "eine Gesellschaft, die ...umfassend Sicherheit bereitstellen kann." International werbe die Regierung für einen erweiterten Sicherheitsbegriff, hieß es da.

Zum deklarierten Kontinuum deutscher Außenpolitik (gewissermaßen auch die Standards rot-grüner Außenpolitik) gehören: Eine multilateral ausgerichtete Politik, die bei der Lösung globaler Probleme auf die UNO und ihre "Unterorganisationen", wie der OSZE setzt; der hohe Stellenwert der transatlantischen Zusammenarbeit, der sich in einem Bekenntnis zur loyalen Partnerschaft mit den USA und zur Unverzichtbarkeit der NATO äußert; Die überragende Bedeutung des europäischen Integrationsprozesses für die deutsche Politik; Abrüstung & Rüstungskontrolle, Entwicklungspolitik als globale Zukunftssicherung.
Eine kritische Sicht auf den Koalitionsvertrag wird nicht nur Widersprüche zwischen den verschiedenen Grundelementen dieser Orientierung aufspüren, sondern auch den Konkretionsgehalt der jeweiligen Abschnitte genauer unter die Lupe nehmen müssen. Diese Prüfung wird im Lichte der Erfahrungen vorgenommen werden. Was bedeutet die Widerborstigkeit der Schröder/Fischer-Regierung in Sachen Irak-Krieg für den künftigen Kurs der Regierung? Wie ernst sind dieses Mal die Aussagen zu werten, dass man das Völkerrecht beachten wolle, dass den Vereinten Nationen eine Schlüsselrolle zukomme, dass man für Gewaltverzicht eintrete?

Schlüsselfrage Nr. 1: US-Empire

Die gegenwärtige Irak-Politik macht das Dilemma der Schröder/Fischer-Regierung schlaglichtartig klar: Man hat ernste Einwände gegen den geplanten US-Krieg. Dessen Legitimation stünde nach Meinung der Bundesregierung auf schwachen Füßen; der Krieg käme ungelegen, weil er die Bewältigung akuter anderer Krisenherde (Afghanistan, Kaschmir, v.a. Nahost) erschwert und weil er die Gefahr unkontrollierbarer Entwicklungen in der Golfregion immens verstärkt. Andererseits ist die Bundesregierung nicht kategorisch gegen Militärinterventionen, wenn es um die Durchsetzung "westlicher" Interessen (die ja gerne als "Verantwortung der Weltgemeinschaft" verbrämt werden) geht. Das Kanzler-Wort von der "Enttabuisierung des Militärischen" bleibt im Koalitionsvertrag unerwähnt, aber eben auch nicht widerrufen. Die Bundesregierung trägt das Strategische Dokument der NATO vom April 1999 mit, das sog. "friedensschaffende" Militäreinsätze der Allianz vorsieht. Ist es vor diesem Hintergrund mehr als Zufall, dass die Zielstellung der 98er-Vereinbarung, die Aufgaben der NATO jenseits der Bündnisverteidigung an die Normen und Standards von VN und OSZE binden zu wollen, dieses Mal fehlt? In diesem Kontext genauso entscheidend: Die Bundesregierung akzeptiert die Führungsrolle der USA, nicht nur beim Kampf gegen den Terrorismus, sondern bei der Sicherung der gemeinsamen "Werte" und "Interessen". Ihr Einwand gegen den drohenden Krieg bezieht sich ausschließlich auf die neue aggressive US-Strategie, unliebsame Regimes militärinterventionistisch - auch ohne Legitimation des VN-Sicherheitsrates - stürzen (regime-change) zu wollen. Dieser Einwand ist zwar erheblich, aber doch nicht so kategorischer Natur, dass die Regierung alles daransetzen würde, den Krieg zu verhindern. Zumal sie - nicht zuletzt nach den erheblichen Verstimmungen im Wahlkampf - alles daran setzen will, ihre Loyalität gegenüber dem Großen Bruder wieder unter Beweis zu stellen. Daher hat die Bundesregierung eine moderate Linie des Widerspruchs gewählt: Keine Beteiligung eigener militärischer Verbände, aber keine Einwände gegen die Nutzung US-amerikanischer Militärbasen hierzulande für Angriffe gegen den Irak, kein demonstrativer Abzug der Spürpanzer aus Kuwait. Schon jetzt ist absehbar, dass man die Differenz zwar nicht aufgeben, aber den USA noch weiter entgegenkommen will. Die Bundesregierung hat eine Erhöhung des militärischen Beitrages der Bundeswehr in Afghanistan angekündigt, der die USA entlasten würde - Minister Struck wurde daraufhin prompt zu Mr. Rumsfeld vorgelassen, musste sein Diner aber in der Deutschen Botschaft einnehmen. Ob sich die Bundesrepublik, falls es zum Krieg kommt, am sog. post-conflict-building, am Wiederaufbau mit militärischen Mitteln beteiligt, scheint noch nicht endgültig geklärt.

Seit dem Dissens in der Irak-Frage hat die Bush-Administration deutlich gemacht, wie man mit unsicheren Kantonisten umzuspringen gedenkt. Berlin wurde eine Liste von Forderungen übergeben, deren Erfüllung darüber entscheide, ob Deutschland noch einmal "eine zweite Chance" gegeben werde. Darin ging es in Sonderheit um den NATO-Gipfel in Prag und um deutsches Wohlverhalten in drei Angelegenheiten: Zustimmung zu einer großen, zweiten Ost-Erweiterungsrunde der NATO, Bereitschaft zur Aufnahme der Türkei in die EU und Unterstützung eines Plans zur Aufstellung einer neuen NATO-Eingreiftruppe ("NATO Response Force". Die 21 000-Mann starke Truppe soll künftig die Speerspitze der NATO bei der "Terrorismus"-Bekämpfung bilden, genauer gesagt: Sie wird wohl den US-amerikanischen Marines, die als klassisches Expeditionskorps für weltweite Einsätze ausgelegt sind, nachgebildet werden. Der amerikanische Vorschlag soll nicht zuletzt Sand ins Getriebe der EU-Bemühungen um eine 60 000 Mann umfassende Interventionstruppe werfen. Es deutet sich eine Arbeitsteilung an, die den USA und der von ihr geführten NATO die "harten Militäreinsätze" vorbehält, während das europäische Kontingent eher für "peace-keeping-Einsätze" vorgehalten werden soll. Außenminister Fischer hat nun der Nato-Eingreiftruppe unter Vorbehalt zugestimmt. Die neue Truppe müsse mit der Aufstellung der EU-Krisenreaktionskräfte vereinbar sein, sagte er. Das transatlantische Gezerre um europäische Militäreinsätze wird also weiter gehen. Woran die USA wirklich interessiert sind, hat jüngst Nato-Botschafter Nicholas Burns deutlich gemacht: Deutschland müsse endlich zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts in die Rüstung stecken. Das wären schlappe 40 Milliarden € (Ist-Stand, knapp 25 Mrd.) Man kann auch Freunde "totrüsten".

Die angesprochene Umgangsweise ist kein kurzfristiger Reflex auf Schröder`s Wahlkampf-"Entgleisung", sondern konkreter Ausdruck eines neuen Selbstbewusstseins relevanter Teile der US-Eliten. Spätestens seit den Ereignissen von "NineEleven" sehen sie die USA dazu berufen, ein Empire zu errichten, das der Welt Stabilität, Wohlstand und Freiheit garantiere, und nebenbei die eigene, uneingeschränkte Vorherrschaft für das 21. Jahrhundert sichere. Mit der New Security Strategy des Präsidenten Bush wird diese Doktrin festgeschrieben und in entsprechende Schlussfolgerungen gegossen. Dabei geht es um die dauerhafte Sicherung der militärischen Dominanz, um das Recht zu präemptiven Angriffskriegen, wenn es die "eigene Sicherheit" erfordert, und um die langfristige Verhinderung von möglichen Gegen-Allianzen.

Wer die Vereinten Nationen in eine Schlüsselrolle bei der Bewältigung der Herausforderungen des 21. Jahrhunderts bringen will, wer einer Zivilisierung und Verrechtlichung der Internationalen Beziehungen das Wort redet, muss sich dieses Grundkonflikts bewusst sein: Diese noblen Ziele der Bundesregierung sind den Plänen des US-Empire diametral entgegengesetzt.
Es kann nicht davon ausgegangen werden, dass sich die Benennung dieses Konflikts in einer von diplomatischen Zwängen geprägten Regierungserklärung wiederfindet. Aber leider ist die Verdrängung dieses harten Widerspruchs Methode bei allen europäischen Regierungen, die deutsche eingeschlossen. Hat man damit vor der gewiss schwierigen Aufgabe europäischer Selbstbehauptung nicht bereits kapituliert? Die USA unter George W. Bush lehnen internationale Rüstungskontroll- und Abrüstungsvereinbarungen ab. Wie also will die Bundesregierung ihr Ziel der "vollständigen Abschaffung aller Massenvernichtungswaffen" durchsetzen? Wie soll die konsequente Ächtung der B- und C-Waffen erreicht werden?

Die US-Administration lehnt die Übertragung von Souveränitätsrechten an eine internationale Gerichtsbarkeit strikt ab. Wie also soll es mit dem Internationalen Strafgerichtshof weitergehen? Soll man sich auf die Art fauler Kompromisse einstellen, wie sie beim ISGH jüngst erzielt wurden? Die "Multilateralisten" dürfen solche Einrichtungen gründen, die aber durch bilaterale Vereinbarungen der USA mit ihren Verbündeten prompt unterlaufen werden?!

Es ist an der Zeit, dass darüber eine offene und harte Debatte geführt wird. Von amerikanischer Seite wurde mit den provokativen Thesen Robert Kagans Klartext geredet. Die europäischen Antworten sind noch eher diffus. Solange muss man sich nicht wundern, dass es außenpolitisch bei den schönen Deklarationen bleibt. Den Ansprüchen an eine Politik, die eine friedlichere, eine gerechtere Welt erreichen will, genügt dies nicht.

Schlüsselfrage 2: Gestaltung der Globalisierung

Auch im zentralen Bereich der Entwicklungszusammenarbeit war in den vergangenen Jahren der Widerspruch zwischen Deklaration und Praxis unübersehbar. Es bedurfte der schrecklichen Terroranschläge von New York und Washington, um den Abwärtstrend bei den Ausgaben zu stoppen. Die Regierung hatte sich zuvor weit von dem anvisierten Ziel der 0,7 Prozent (Anteil Entwicklungshilfe am Bruttosozialprodukt) entfernt. Dieser Widerspruch setzt sich fort. Der gesamte Abschnitt des Koalitionsvertrages zur internationalen Politik ist überschrieben mit "Gerechte Globalisierung". SPD und Grüne wollen Globalisierung gestalten und dabei von den Prämissen Zivilisierung, Rüstungsbegrenzung, und Interessenausgleich zwischen den Weltregionen ausgehen. Doch wer Globalisierung gestalten will, muss zunächst einmal zur Kenntnis nehmen, wie Globalisierung bis dato "funktioniert" und warum sie ganz andere Folgen, als die intendierten, zeitigt. Bei der gegenwärtig forcierten Globalisierung dreht sich alles darum, Volkswirtschaften und Gesellschaften für den Weltmarkt zu konditionieren. Dort aber sind die Regulative der großen transnationalen Akteure und des Finanzkapitals bestimmend. Deren Gewinninteressen werden durch internationale Regime besonders unter der Federführung des Internationalen Währungsfonds bisher glänzend bedient, wie es zuletzt Nobelpreisträger Joseph Stiglitz ("Schatten der Globalisierung") sehr präzise nachgewiesen hat. Die Folgen dieser Globalisierung können nicht nur in Südamerika, sondern auch in Afrika studiert werden.

Es gibt inzwischen genügend Untersuchungen darüber, wie der gnadenlose Kampf um Ressourcen gerade in Afrika zu immer neuen kriegerischen Auseinandersetzungen geführt hat. Ein Befund, der selbst in Studien der Weltbank nachgelesen werden kann. Wer also der Gewalteskalation in der vormaligen Dritten Welt ("Neue Kriege") wehren will, muss sein Hauptaugenmerk darauf richten, nachhaltige Entwicklung in den Ländern des Südens zu fördern und sozial gerechtere Verhältnisse im Weltmaßstab herzustellen.

Die Bundesregierung formuliert in diesem Rahmen völlig zu recht: "Unser gemeinsames Ziel ist, weltweit ein System globaler kooperativer Sicherheit zu entwickeln, das allen Menschen ermöglicht, friedlich, frei und ohne Not zu leben." Dem ist unbedingt beizupflichten, um im nächsten Schritt nach den Mitteln und Wegen zu fragen, die die Regierung einzuschlagen gedenkt, um diesem Ziel näher zu kommen. Nach dem oben Angedeuteten wird einiges davon abhängen, ob die Regierung, in Verbindung mit anderen Akteuren, wie der EU, willens und bereit ist, die bisher dominanten Kräfte der Globalisierung in sozialstaatliche und ökologische Schranken zu weisen und etwas Macht an die bisher Machtlosen in den internationalen Strukturen abzugeben. Doch was die Regierung in dieser Hinsicht vorschlägt, bleibt allgemein und zahnlos.

Hieß es noch im 98er Vertrag, dass man sich für die Schließung der Steueroasen einsetzen wolle, geht es jetzt nur noch darum, den Druck auf diese zu erhöhen, "um die Steuergerechtigkeit zu erhöhen". Vorschläge wie Tobinsteuer und Nutzungsentgelte sollen weiter "geprüft werden". Dabei hatte sich die Ministerin redlich Mühe gegeben, die Möglichkeiten der Umsetzung der Tobin-Tax wissenschaftlich evaluieren zu lassen. Gegenüber den transnational tätigen Unternehmen will man sich dafür einsetzen, dass sie ihre soziale und ökologische Verantwortung anerkennen sollen. Es steht zu befürchten, dass dieser philanthropische Appell wenig fruchten wird.

Der IWF soll eine stärkere Rolle in der Krisenvorbeugung bekommen, dazu sollen Kapitalflüsse und Auslandsverschuldung "intensiver analysiert und transparent" werden. Das ist ein allzu dürftiges Konzept. Diese Kritik bleibt auch erhalten, wenn man wohlwollend in Rechnung stellt, dass die Regierungserklärung einige positive Dinge - Entschuldungsinitiative für die Ärmsten der Armen (HIPC), Marktzugang für Entwicklungsländer, fairer Handel - festgeschrieben hat. Auch hier wird es auf die Umsetzung ankommen. Was von manchen Ankündigungen zu halten ist, zeigt u.a. der Punkt Hermes-Kredite, der schon im letzten Vertrag versprochen wurde. Exportbürgschaften sollten stärker an soziale und ökologische Erfordernisse gekoppelt werden. Geschehen ist bis dato nahezu nichts. Menschenrechtsverletzungen sollen jetzt bei Anträgen "geprüft" werden. Aber die bisherige Praxis zeigt, dass im Zweifel die Exportinteressen der deutschen Wirtschaft oben an stehen.

Nicht zum ersten Mal wird die Anhebung der staatlichen Mittel für Entwicklungszusammenarbeit versprochen. Es gehört zur traurigen Bilanz der ersten vier Jahre rot-grün, dass man nicht über das Niveau Kohl`scher Entwicklungshilfe hinauskam. Schlimmer noch. Zwischenzeitlich sank der Etatansatz. Immer noch ist man unter der 0,3 Prozent Marke (Anteil der Ausgaben am Bruttosozialprodukt). Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Mittel für Osteuropa (Transform) und Südosteuropa (Stabilitätspakt) aus der Allgemeinen Finanzverwaltung in den Etat des BMZ verlagert wurden, war der Rückgang in den letzten Jahren noch einschneidender. Jetzt soll bis zum Jahre 2006 ein Anteil von 0,33 Prozent am Bruttosozialprodukt erreicht werden. Fachleute haben errechnet, dass die Bundesrepublik damit ca. 30 Jahre bräuchte, um auf die Zielzahl 0,7 Prozent zu kommen. Böse Zungen behaupten vor diesem Hintergrund, dass es nur noch eine Frage der Zeit sei, dass auch noch die Leistungen der Bundeswehr im Rahmen zivil-militärischer Aufbauprogramme (Straßenbau im Kosovo etc.) in den BMZ-Etat hineingerechnet werden (wie dies bereits andere Länder tun). Dann ist die Zielmarke evtl. eher zu erreichen.

Ähnlich verhält es sich mit den Aktionsprogrammen zur Halbierung der globalen Armut, den Aufwendungen für die soziale Grundsicherung in den Entwicklungsländern etc. Den großen Ankündigungen stehen unangemessene Taten gegenüber. Mit großem Aufwand hat die Bundesregierung beim Weltgipfel für nachhaltige Entwicklung in Johannesburg verkündet (und in die Koalitionsvereinbarung aufgenommen), dass man "in den nächsten Jahren" 350 Mio € für verbesserten Wasserzugang bereitstellen wolle. In den nächsten fünf Jahren wolle man 500 Mio. € zum Ausbau der Erneuerbaren Energien und weitere 500 Mio. € zur Steigerung der Energieeffizienz bereitstellen. Solche Botschaften klingen gut. Allerdings hat die Regierung nicht erklärt, dass sie diese Mittel zusätzlich bereitstellen wird. Es geht doch eher darum, dass bisher im Einzelplan des Ministeriums unter verschiedenen Titel eingestellte Ausgaben zusammengefasst und ggf. aufgestockt werden. Um welchen Betrag?

Wie vorbeugende Entschuldigungen wirken die Hinweise im Text, dass die Entwicklungsländer doch selber durch Gutes Regieren ("Good Governance") und durch bessere Finanzaufsicht dafür sorgen sollten, dass es aufwärts geht. Nicht dass diese Botschaft falsch wäre. Aber angesichts der Tatsache, dass die Wirtschaftspolitik der meisten Länder der Erde mit akribischen Auflagen von den internationalen Finanzinstitutionen reguliert wird, müssen solche Aussagen fast zynisch wirken.
Wir werden daher genau hinzuschauen haben, welche Initiativen die Bundesregierung ergreift (und nicht nur ankündigt), wenn es darum geht, die Partizipationsrechte der Entwicklungsländer in den internationalen Gremien zu stärken. Hier sind sowohl die entwicklungspolitischen NGOs wie auch die Globalisierungskritiker und -kritikerinnen gefragt.

Markenzeichen "zivile Krisenvorbeugung"?

Zivile Krisenprävention und Konfliktbewältigung bezeichnet die Bundesregierung als "Eckpfeiler ihrer internationalen Stabilitäts- und Friedenspolitik." Zivile Konfliktbearbeitung soll zum Markenzeichen dieser Regierung werden. Bundesaußenminister Fischer schwärmt gern von einem europäischen Modell des internationalen Krisenmanagements. Dies schließt indes Militäreinsätze nicht aus. Militärisches und zivile "Krisenbearbeitung" sollen ins rechte Verhältnis gesetzt werden. Den USA wird in diesem Zusammenhang implizit vorgeworfen, dass sie militärische Antworten bevorzugen und die zivile Aufgabe des "nation-building" vernachlässigen würden. Das wollen die "Europäer" besser machen. Die Bundesregierung hat in der vergangenen Legislatur mit der Bereitstellung von Ressourcen für zivile Krisenbewältigung (Polizei, Justiz etc.) und dem Aufbau des Zivilen Friedensdienstes (ZFD) begonnen. Diese Infrastruktur soll nun weiter ausgebaut werden. Eine Schlüsselrolle soll dabei dem jüngst gegründeten "Zentrum für internationale Friedenseinsätze" zukommen. Ein ressortübergreifender Aktionsplan zur "Zivilen Krisenprävention, Konfliktlösung und Friedenskonsolidierung" soll erarbeitet werden. Man wird sich die dort angesprochenen Maßnahmen im Einzelnen anschauen müssen. Dass der ZFD sinnvolle Beiträge der Konfliktbearbeitung leisten kann, ist kaum zu bestreiten; wenn man sich dabei stärker darauf konzentrieren würde, Menschen aus den Krisengebieten zu qualifizieren, wäre diese Einrichtung noch positiver zu bewerten. (Dass im Kontext der zivilen Krisenvorbeugung die Friedensforschung mehr Mittel erhalten soll, ist ohnehin zu begrüßen). Die Intension der Bundesregierung, auf dem Feld der Zivilisierung der Internationalen Beziehungen besonders aktiv zu werden, enthält Anknüpfungspunkte auch für die Friedensbewegung. Sie muss vor allem genutzt werden, um die Grundsatzdebatte um neue Paradigmen in der Internationalen Politik zu eröffnen. Dabei werden die Widersprüche rot-grüner Außenpolitik in aller Schärfe benannt werden müssen. Bis dato bleibt die zivile Konfliktbearbeitung mehr oder weniger ein Appendix von Militäreinsätzen. Dies schlägt sich nicht nur in der eklatanten Diskrepanz der Mittelbereitstellung zwischen Militärischem und Zivilem nieder. Zivile Krisenbearbeitung hatte bisher in aller Regel eine nachsorgende Funktion nach "Militärinterventionen". Sie trägt, ob im Quasi-Protektorat Kosovo, oder im Quasi-Protektorat Afghanistan, ausgesprochen paternalistische Züge. Daher muss die Frage erlaubt sein, ob diese Form der Konfliktbewältigung nicht doch nur Bestandteil einer hegemonialen Stabilisierungspolitik ist, die zwar "by the way" Demokratisierungs- und Zivilisierungsfortschritte bringen kann, die aber im Kern vor allem darauf abzielt, Störpotentiale beim Anschluss peripherer Regionen an Weltmarkt und bürgerliche Weltgesellschaft auszuschalten. Es geht also primär um die Sichtweise und die Interessen der führenden Industriemächte. Bis dato hat sich diese Form der Stabilitätspolitik vorsichtig ausgedrückt - siehe Balkan - nicht als durchgängige Erfolgsstory erwiesen. Und der Preis eines solchen, dem Militärischen subordinierten Krisenlösungsmodells ist hoch. Dies beginnt bei den zahlreichen Opfern der Kriege. Bislang hat der Ansatz der Bundesregierung weder im nationalen noch im internationalen Maßstab dazu geführt, dass die militärischen Potentiale sukzessiv abgebaut werden. Im Gegenteil.

Die Effektivierung der "Armee im Einsatz"

Die Bundeswehr unterliegt seit dem Beginn der 90er Jahre ständigen Veränderungen. Die Folgen der Deutschen Einheit, der völkerrechtlich und haushaltspolitisch gebotene Zwang der Umfangsreduzierung, der Umbau von einer territorialen Verteidigungsarmee zu einer hochmobilen Einsatztruppe, all dies hat viel Unruhe in die Bundeswehr gebracht. Die Kohl-Regierung hatte zwar die Weichen in Richtung Einsatzarmee gestellt und die dafür erforderliche Umrüstung eingeleitet, wollte aber ein Maximum an Besitzstandswahrung mit größtmöglicher Modernisierung verbinden. Dieser Vorsatz scheiterte aber immer wieder an den Zwängen des klammen Bundeshaushalts. Mit der Einsetzung einer Art "Wehrstrukturkommission" unter Leitung des Ex-Bundespräsidenten von Weizsäcker sollte endlich der Gordische Knoten durchschlagen werden. Doch der unglückliche Vorgänger des jetzigen Verteidigungsministers hatte anderes im Sinn. Auch er wollte eine definitive Reform der Bundeswehr ins Werk setzen, zugleich aber als "Soldatenminister" (Hunzinger lässt grüßen) in die Geschichte eingehen. So entschied er sich für den Mittelweg zwischen den Begehrlichkeiten der Generalität bzw. der Rüstungswirtschaft und den weiter reichenden Vorschlägen der Weizsäcker-Kommission. Die Folge: Die jetzige Regierungsvereinbarung muss jetzt das Kommissionspapier wieder aus der Schublade holen und eine neuerliche Reform der Reform in Aussicht stellen. Mit der Aussage, dass die neuen Aufgaben, die Struktur, die Ausrüstung und die Mittel der Bundeswehr wieder in ein ausgewogenes Verhältnis gebracht werden müssen, enthält der Koalitionsvertrag ein halbherziges Eingeständnis, dass die bisherigen Koordinaten der Bundeswehrplanung nicht das letzte Wort sind. Damit sich aber nicht allzu viel Unruhe verbreitet, sollen größere Revisionen erst zum Ende der Legislaturperiode vorgenommen werden. Ob dazu die Infragestellung der Wehrpflicht oder zumindest deren Modifikation gehören wird, steht noch nicht fest. Minister Struck muss allerdings unmittelbar damit beginnen, einige Beschaffungstitel auf den Prüfstand zu stellen. Das betrifft vor allem die Stückzahl des neuen Transportflugzeugs A 400 M. Die sich eskalierende Krise der Staatsfinanzen wird eine weitere Deckelung der Rüstungsausgaben unausweichlich machen. Dabei wird aber vor allem an Einsparpotentiale durch Strukturreformen und durch die Verkleinerung des Personalumfangs gedacht. Denn die Bundesregierung will zugleich ihre Verpflichtungen innerhalb der NATO und des neuen militärischen Zweigs der EU erfüllen. Und die bedeuten in jedem Fall Fortsetzung der Rüstungsmodernisierung. Abrüstungspolitik ist also von der neuen/alten Bundesregierung nicht zu erwarten. Der verhaltene grüne Triumph, dass man die Zukunftsfragen der Armee wieder aufgemacht habe, sollte uns nicht täuschen. Aber immerhin kann die angekündigte Revision der Bundeswehr-Reform in der Tat genutzt werden, um eine neue gesellschaftliche Debatte über Sinn und Unsinn von Streitkräften zu eröffnen. Die Friedensbewegung und die Kritiker und Kritikerinnen des Militärischen sind gefordert. Dies wird auch aus anderen Gründen nötig sein: Verteidigungsminister Struck hat die Einbringung eines Bundeswehr-Entsendegesetzes (kurioserweise "Parlamentsbeteiligungsgesetz" genannt) angekündigt, das offenkundig nur einem Zweck dient, die lästige parlamentarische Befassung, bevor Truppen zum Einsatz kommen, einzuschränken. Wie der SPIEGEL richtig feststellt, verträgt sich die Absicht, die neue NATO Response Force binnen sieben Tage "einsetzbar" (!) zu machen, nicht mit der langwierigen bundesdeutschen Genehmigungsprozedur. Opposition gegen die Aushöhlung parlamentarischer Rechte aus dem gegenwärtigen Parlament heraus, ist kaum zu erwarten. Umso mehr sollten wir Friedensbewegten Alarm schlagen.

Ohne Druck von unten ist keine Widerständigkeit gegen drohende Kriege zu erwarten, wird es keine wirklichen Initiativen zur Abrüstung und Entmilitarisierung geben. Auch die Ankündigungen einer auf Nachhaltigkeit und soziale Gerechtigkeit gerichteten globalen Strukturpolitik werden ansonsten überwiegend auf dem Papier bleiben.

* Paul Schäfer, Köln, ist Mitglied der Redaktion von "Wissenschaft & Frieden", in deren nächstem Heft (4/2002) die Analyse von Paul Schäfer erscheint.



Siehe auch;
"Gerechte Globalisierung – Deutschland in Europa und in der Welt"
Der außenpolitische Teil der rot-grünen Koalitionsvereinbarung 2002 im Wortlaut (16. Oktober 2002)
Friedensbewegung enttäuscht über Koalitionsvertrag:
"Das Positive bleibt unverbindlich - Keine Absage an Interventionskriege - Weiterer Ausbau der Bundeswehr zu einer 'Armee im Einsatz'" - Stellungnahme des Bundesausschusses Friedensratschlag (16. Oktober 2002)



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