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Auf in den nächsten Krieg? Nach innen und außen ...

Deutsche Außen- und Militärpolitik im Herbst 2003

Von Tobias Pflüger*

Eine gezielte Strategie - durch rot-grün dilettantisch umgesetzt

Neoliberale Politik und neoimperiale Politik sind zwei Seiten einer Medaille. Derzeit sind die Entwicklungen in diesen beiden Bereichen deutscher Politik in einer entscheidenden Phase: Die rot-grüne Bundesregierung paukt derzeit ihre sogenannten „Reformen“, besser Deformen im Sozialbereich durchs Parlament: „Agenda 2010“ und die diversen Hartz-Programme. Doch auch in der Außen- und vor allem in der Militärpolitik ist die Bundesregierung derzeit sehr umtriebig: Höhepunkt war der Vorschlag von Militärminister Peter Struck nach einer gemeinsamen Übung der NATO-Militärminister in den USA, die vom Bundesverfassungsgericht verbindlich festgeschriebene Beschlussfassung des Bundestages bei Auslandseinsätzen der Bundeswehr durch ein kleines „effektives“ nichtöffentliches Gremium zu ersetzen. Doch was bei rot-grün wieder mal aussieht, als ob unmotiviert im Nebel herumgestochert würde, ist leider Teil einer gezielten Strategie, die wie üblich bei rot-grün, dilettantisch umgesetzt wird. Dazu ist es notwendig einige Puzzleteile zusammen zu fügen:

Deutschland: Nachträglich den Irakkrieg voll legitimiert und die Besatzung unterstützt

Die rot-grüne Bundesregierung setzt streng ihre bisherige Linie in Sachen Irak fort: Gegen den Irakkrieg reden und alles dafür zu tun, damit er funktionierte - z.B. durch rechtswidrige Überfluggenehmigungen, durch umfangreiche rechtswidrige Nutzung der militärischen Infrastruktur in Deutschland für den Angriff auf den Irak, durch Wachdienste, die die US-Truppen entlastet haben, durch den Einsatz von ABC-Abwehrsoldaten in Kuwait, die direkt nach dem Krieg abgezogen wurden, durch die Teilnahme von Soldaten in den AWACS-Aufklärungsfliegern über der Türkei an der Grenze zum Irak, usw. Nun - in der jetzigen Kriegsphase - wird diese „deutsche Doppelstrategie“ für die Aufrechterhaltung der Besatzung fortgeführt. Die Bundesregierung hat - wie Frankreich und Russland - einer UN-Resolution zugestimmt, in der den Besatzungsmächten USA, Großbritannien (und Polen) volle Handlungsfreiheit gegeben wird und lediglich gesagt wird, die Hoheit über den Irak an eine irakische Regierung zu geben, „so bald, wie dies machbar ist.“ Wann dies sein soll, steht in den Sternen.

„Big Deal“ mit den USA in Sachen Afghanistan - Irak

Die Bundesregierung hat mit der us-amerikanischen Regierung einen „Big Deal“ gemacht - in Bezug auf die Situation in Afghanistan und dem Irak. Nach einem Besuch von Joschka Fischer in Washington war klar, es muss eine Erweiterung des deutschen Afghanistan-Einsatzes der Bundeswehr geben. Dafür war der Bundesregierung zugesichert worden, dass vorläufig keine Soldaten aus Deutschland im Irak gewünscht würden. Unterhalb der militärischen Ebene engagiert sich Deutschland aber umfangreich im Irak. So sind neben einer Reihe von Hilfsorganisationen wie dem „Technischen Hilfswerk“ (THW) auch „Polizisten“ der GSG 9 -Sondertruppe im Irak stationiert. Nach längerem Theater, wo die zusätzlichen deutschen Soldaten in Afghanistan stationiert werden sollen, wurden diese nun nach Kundus gesandt. Dabei wurde offensichtlich, worum es in diesem Einsatz ging - nämlich nur ein internationales Zeichen zu setzen, der Einsatz sollte nicht zu gefährlich, aber auch nicht militärisch zu läppisch sein. Nur: Deutsche Hilfsorganisationen, wie Caritas International, Ärzte ohne Grenzen etc., die im Bereich Kundus bisher gut arbeiteten, meinten einhellig: „In Kundus brauchen wir die Bundeswehr nicht“ (WELT vom 29.08.2003), die Bundeswehr störe eher, da sie unnötig die zivilen Helfer gefährde, da nicht unterschieden werde zwischen zivilen und militärischen Akteuren aus dem Ausland. Die Region Kundus ist noch aus einem anderen Grund interessant: Offiziell kontrolliert die Region der nominelle Verteidigungsminister Afghanistans die Region mit einer Privatarmee. Die Haupteinkunftsquelle ist bekanntermaßen der Drogenanbau. Die Bundeswehr hat zwei Möglichkeiten, sie geht gegen den Opiumanbau vor und hat damit einen sehr gefährlichen Einsatz vor sich oder sie sorgt für „Sicherheit“ ohne sich in die Drogengeschäfte einzumischen und schützt damit de facto den Drogenanbau. Nachdem mehrfach von Fachleuten auf diesen Sachverhalt hingewiesen wurde, griff auch der CDU-Abgeordnete Willy Wimmer dieses Problem auf und schickte bisher unbeantwortete Briefe an Peter Struck (vgl. www.imi-online.de). Kurz vor der Abstimmung stellte nun die Bundesregierung in einer sogenannten Protokollerklärung klar: „Die Bundesregierung sichert zu, dass die Drogenbekämpfung nicht im Mandat des Bundeswehr-Einsatzes enthalten ist.“ Na, dann kann ja der Opiumanbau und -vertrieb unter Anwesenheit und Aufsicht der Bundeswehr munter weiter gehen.

Verteidigungspolitische Richtlinien: „asymetrische Bedrohungen“

Mit den neuen „Verteidigungspolitischen Richtlinien“ (VPR) wurde am 21. Mai 2003 die neue Militärstrategie für die Bundeswehr verbindlich festgelegt. Seither ist u.a. der Einsatz der Bundeswehr weltweit und im Innern beschlossene Sache. Der genaue Anwendungsbereich gibt nach wie vor Rätsel auf: So heißt es in den VPR: „Zum Schutz der Bevölkerung und der lebenswichtigen Infrastruktur des Landes vor terroristischen und asymmetrischen Bedrohungen wird die Bundeswehr Kräfte und Mittel entsprechend dem Risi­ko bereithalten. Auch wenn dies vorrangig eine Aufga­be für Kräfte der inneren Sicherheit ist, werden die Streitkräfte im Rahmen der geltenden Gesetze immer dann zur Verfügung stehen, wenn nur sie über die erforderlichen Fähigkeiten verfügen oder wenn der Schutz der Bürgerinnen und Bürger sowie kritischer Infrastruktur nur durch die Bundeswehr gewährleistet werden kann.“ Gerd Höfer, SPD-Mitglied des Verteidigungsausschusses konnte auf einer Veranstaltung in Speyer am 02.10.2003 auf Nachfragen nicht benennen, was diese dubiosen „asymetrischen Bedrohungen“ im Innern denn sein sollen. Stattdessen erging er sich in nebulösen Andeutungen. Bei den genannten „asymetrischen Bedrohungen“ geht es i.Ü. explizit nicht um terroristische Aktionen, die sind (s.o.) extra genannt.

Abschüsse von Passagierflugzeugen auf Befehl von Struck

Im Kontext dieser Debatte ist eine Neuerung wichtig: Im Rahmen eines so genannten „Luftsicherheitsgesetzes“ ist vorgesehen, dass auf alleinigen Befehl von Peter Struck in Zukunft Passagierflugzeuge abgeschossen werden können, die als entführt gelten und im Verdacht stehen, dass mit ihnen Terroranschläge verübt würden. Das Gesetz ist zwar noch nicht verabschiedet, aber die „Führungszentrale Nationale Luftverteidigung“ in Kalkar ist seit 01.10.2003 schon einsatzbereit. Dort sind Vertreter des „Verteidigungs“- des Innen- und des Verkehrsministerium beteiligt. Peter Struck hat nach dem Frankfurter Fall mit einem psychisch kranken Sportpiloten zugegeben, dass die militärische Fähigkeit zum Abschuss schon gegeben war und er den Befehl zum Abschuss - auch ohne Rechtsgrundlage - „wenn notwendig“ gegeben hätte.

Entsendegesetz - Parlamentsbeteiligungsgesetz - Parlamentsentmachtungsgesetz - ohne Öffentlichkeit

Noch wichtiger als diese neue gesetzliche Regelung ist das geplante „Entsendegesetz“ für die Bundeswehr. Es ist schon länger in Arbeit - allerdings unter dem Namen „Parlamentsbeteiligungsgesetz“. Doch wie merkte mein Kollege Arno Neuber von der Informationsstelle Militarisierung richtig dazu an: „Der Name ist allerdings grob irreführend. Tatsächlich geht es nämlich um das Gegenteil.“ Dem Autor liegt der Gesetzentwurf der SPD vor, darin sind vor allem zwei Regelungen interessant: Erstens sollen nur noch bewaffnete Einsätze durch den Bundestag abgestimmt werden und zweitens sollen Verlängerungen von Einsätzen automatisch erfolgen, es sei denn es widerspricht eine Bundestagsfraktion oder 33 Abgeordnete, dann entscheidet der Bundestag mit einfacher Mehrheit. Das Problem bei diesem Parlamentsentmachtungsgesetz ist weniger, dass die Abgeordneten nicht mehr grundsätzlich mit Bundeswehr-Auslandseinsätzen befasst werden, sondern dass durch diese Nichtbefassung auch die Öffentlichkeit aus dem verfahren ausgeschlossen ist. Diese geplante Regelung passt gut zum Entwurf der EU-Verfassung, dort heißt es: „Über militärische Einsätze der EU entscheidet der Ministerrat“. Das EU-Parlament hat lediglich ein Anfragerecht, der Bundestag wird nur noch bei Kampfeinsätzen, das erste Mal, gefragt.

Dieses Parlamentsbeteiligungsgesetz ermöglicht dann die Entsendung von „Erkundungsteams“ ohne Bundestagsbeteiligung. Auf einem ähnlichen Feld wird das seit neuestem ebenfalls praktiziert: Der Militärische Abschirmdienst (MAD) darf seit September auch im Ausland agieren, offiziell zur „Abwehr extremistischer und terroristischer Bestrebungen sowie von Sabotage- und Spionagetätigkeiten“.

Zusammenfassung:
Die rot-grüne Bundesregierung ist also derzeit eifrig dabei, den weiteren weltpolitischen Aufstieg Deutschlands - mit militärischen und nichtmilitärischen Mitteln - zu organisieren. Dagegen ist entschiedener Widerstand der Friedens-, Antikriegs-. und globalisierungskritischen Bewegung vonnöten.

* Tobias Pflüger ist Politikwissenschaftler und Vorstand der Informationsstelle Militarisierung e.V. (IMI), Tübingen


Dieser Beitrag erschien in: FriedensJournal, Nr. 7, November 2003

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