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Streitfrage: Sind Auslandseinsätze der Bundeswehr grundsätzlich abzulehnen?

Es debattieren: Tobias Pflüger (Die Linke) und Stefan Liebich (Die Linke)


Das Parteiprogramm der LINKEN nimmt immer mehr Gestalt an. Vor wenigen Wochen wurde der überarbeitete Entwurf vorgestellt. Er wird als Leitantrag auf dem Erfurter Parteitag im Herbst eingebracht. Gegenstand der aktuellen Programmdiskussion sind auch die Auslandseinsätze der Bundeswehr. Ein in der LINKEN seit Jahren umkämpftes Feld. Für den Antrag kam eine schwierige Einigung zustande. Demnach werden Bundeswehreinsätze grundsätzlich abgelehnt. Eine Position, die einige in der Partei nicht teilen. Wie steht die Partei also zur Bundeswehr? Sind Einsätze im Ausland auf Grundlage des Völkerrechts vertretbar? Dürfen deutsche Soldaten beispielsweise Katastrophenhilfe im In- und Ausland leisten? Oder gehört die Truppe etwa ganz aufgelöst?

Klare Absage an Auslandseinsätze

Von Tobias Pflüger *

Die LINKE ist Antikriegspartei. Das ist für nicht wenige Menschen neben dem sozialen Profil ein wesentlicher Grund, die LINKE zu wählen. Das ist unstrittig. Nur: Manche innerhalb der Partei würden es gerne im Allgemeinen lassen und nicht wirklich konkret werden, was Antikriegspartei faktisch bedeutet. Dies würde einigen mehr Flexibilität – oder sagen wir es deutlicher – Beliebigkeit insbesondere bei der Abstimmung zu einzelnen Auslandseinsätzen der Bundeswehr ermöglichen.

Die sogenannte Einzelfallprüfung bedeutet aber nichts anderes, als dass damit die Linkspartei dafür wäre, Auslandseinsätze der Bundeswehr in bestimmten Fällen zu unterstützen. Auf dem Parteitag in Erfurt soll das erste Parteiprogramm der LINKEN beschlossen werden. In einem Parteiprogramm sollte eine grundsätzliche Positionierung vorgenommen werden. Diese grundsätzliche Position ist dann der Rahmen, in dem die Amts- und Mandatsträger der LINKEN Politik machen sollen. Dies ist ein methodischer Grund, warum es meiner Ansicht nach keineswegs sinnvoll ist, sogenannte Einzelfallprüfungen ins Parteiprogramm aufzunehmen.

Die Bundeswehr wird derzeit umgewandelt zu einer »Armee im Einsatz«. Dies ist explizit gegen das Grundgesetz, in dem es unter anderem heißt: »Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf. … Außer zur Verteidigung dürfen die Streitkräfte nur eingesetzt werden, soweit dieses Grundgesetz es ausdrücklich zulässt.« Zur Erinnerung: Die Passage mit der Bundeswehr kam erst 1956 im Rahmen der Wiederbewaffnung ins Grundgesetz. In der jetzigen Form stammt sie aus dem Jahr 1968. Die LINKE sollte sich für das Grundgesetz einsetzen. Gerne auch für das ursprüngliche, aber zumindest für das gültige Grundgesetz.

Von Seiten der Befürworter der Einzelfallprüfung heißt es, es müssten für mögliche Einsätze im Rahmen der Vereinten Nationen (UN), der Europäischen Union oder der NATO entsprechende Truppen bereitgehalten werden. Innerhalb von NATO und EU gibt es aber klar offensive Militärkonzepte und -strukturen. Die Linkspartei lehnt dies richtigerweise ab.

Auch die UN und ihre Unterstrukturen werden immer mehr militarisiert. Hier ist nicht nur das Geheimabkommen zwischen UN und NATO problematisch. Die UN verlieren immer mehr ihren neutralen Status. Beim jüngsten UN-Militäreinsatz in der Elfenbeinküste haben UN-Militärhubschrauber Angriffe gegen eine der beiden Bürgerkriegsseiten geflogen. Die Unterstützung der Bereitstellung von Truppen für NATO, EU und UN ist politisch falsch und öffnet Büchsen der Pandora.

Wer es unterstützt, Truppen in Auslandseinsätze zu schicken, muss auch dafür sein, einen militärisch-industriellen Komplex, der dafür notwendig ist, vorzuhalten. Denn: Eine Armee geht nicht ohne entsprechende Bewaffnung. Die LINKE müsste dann für eine entsprechende Rüstungsindustrie sein, einschließlich der immanenten Rüstungsexporte. Ich bin dafür, dass die Linkspartei bei einer klaren Absage an alle Rüstungsexporte bleibt. Die Rüstungsindustrie muss mit umfangreichen Konversionsprogrammen in zivile Produktion umgewandelt werden.

Natürlich haben die verschiedenen Bundeswehreinsätze eine unterschiedliche Intention. Ja, nicht jeder Bundeswehreinsatz ist ein direkter Kriegseinsatz, aber jeder Bundeswehreinsatz kann tödlich sein, für die eingesetzten Soldaten oder für Menschen, die durch diese getötet werden.

Wichtig ist: Zunehmend wird statt der Bundeswehr auch Polizei in Auslandseinsätze geschickt. Häufig wird dies als »zivile Einsätze« bezeichnet. Wer Teile dieser Polizei kennt, zum Beispiel die sogenannte »Riot Control«-Polizei, weiß, dass hier auch eine immer mehr militarisierte Polizei eingesetzt wird. »Die LINKE fordert die Beendigung der Beteiligung von Bundes- und Länderpolizei an internationalen Polizeieinsätzen, die zur Unterstützung von Kriegen und autoritären Regimen dienen. Auch Militärberatungsmissionen müssen beendet werden.« So steht es im Programmentwurf. Das ist richtig und sollte so bleiben.

Die Linkspartei muss sich im Außenpolitikteil des Parteiprogramms zu den verschiedenen internationalen Institutionen und zur Bundeswehr verhalten. Im jetzt vom Parteivorstand mit dem sehr guten Ergebnis (37 Ja- und zwei Neinstimmen, eine Enthaltung) beschlossenen Leitantrag sind die Passagen zur Bundeswehr, zur EU-Militärpolitik und zur NATO gegenüber dem ersten Entwurf etwas konkretisiert worden.

Ich bin dafür, den Programmentwurf, so wie er jetzt ist, zu beschließen. Sollten außenpolitische Passagen wieder aufgemacht werden, bin ich für inhaltliche Konkretisierungen und nicht für Aufweichungen. Es muss bei der klaren Absage der LINKEN an alle Auslandseinsätze der Bundeswehr bleiben.

* Tobias Pflüger, Jahrgang 1965, war von 2004 bis 2009 Abgeordneter der Linksfraktion GUE/NGL im Europäischen Parlament. Er ist außerdem Mitglied im Parteivorstand der LINKEN.


Den Einzelfall bewerten

Von Stefan Liebich **

DIE LINKE ist die Friedenspartei. Wir wissen: Um eine friedliche Welt zu erreichen, muss eine gerechte Weltwirtschaftsordnung geschaffen werden, muss weltweit abgerüstet und Konflikten bereits im Entstehen entgegengewirkt werden. Wir kämpfen für das vollständige Verbot von Rüstungsexporten und gegen die innere Militarisierung z. B. durch Bundeswehroffiziere an Schulen. Wir waren in der PDS gegen den völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien und sind in der LINKEN gegen die Entsendung der Bundeswehr an den Hindukusch und gegen »Flugverbotszonen« in Libyen.

Eine Welt ohne Armeen und Militärbündnisse ist unser Ziel. Leider gibt es aber immer noch viele bewaffnete Konflikte und Kriege. Daher finde ich die am 26.6.1945 beschlossene UN-Charta, in der es unter anderem heißt, »dass Waffengewalt nur noch im gemeinsamen Interesse angewendet wird«, immer noch notwendig.

Der Entwurf unseres Grundsatzprogramms fordert ein generelles Ende aller Kampfeinsätze der Bundeswehr, auch der Beteiligung an UN-Missionen nach Kapitel VII der UN-Charta und, in Verschärfung bisheriger Positionen, die Beendigung aller Einsätze der Bundeswehr im In- und Ausland. Aber ist wirklich jeder Einsatz von Soldaten Krieg und damit von uns abzulehnen? Dass beim nächsten Oder-Hochwasser die Bundeswehr nicht mehr helfen dürfte und Oskar Lafontaines Vorschlag für Grünhelme obsolet wäre, sind dabei die kleineren Probleme.

Es gab Einzelfälle, bei denen zur Katastrophenhilfe, zur Durchsetzung des Völkerrechts, zur Beobachtung und Sicherung von Waffenstillstandsabkommen oder zur Verhinderung von Völkermord UN-Missionen sinnvoll und gerechtfertigt waren. Diese Fälle kann es auch künftig geben.

So sagte Oskar Lafontaine nach den bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen Russland und Georgien 2008: »Wenn der UNO-Sicherheitsrat einen Blauhelm-Einsatz beschließen würde, würde dieser von der LINKEN unterstützt.« Bei der Debatte 2008 über den Einsatz der Bundeswehr zur Sicherung des Friedensabkommens zwischen Libanon und Israel argumentierte Wolfgang Gehrcke zwar gegen eine deutsche Beteiligung, erkannte aber zugleich die Notwendigkeit dieser sogar nach Kapitel VII der UN-Charta mandatierten Mission an: »Die haben wir immer für notwendig gehalten, weil ein Waffenstillstand ohne die UNIFIL-Mission ebenso unmöglich gewesen wäre wie eine Aufhebung der Seeblockade.« Gesine Lötzsch unterstützte 2005 im Bundestag die UN-Mission im Sudan zur Einhaltung des Friedensabkommens nach 22 Jahren Bürgerkrieg, kündigte aber hinsichtlich der Bundeswehrbeteiligung mit Verweis auf mangelnde Kontrollmöglichkeiten die Enthaltung der beiden PDS-Abgeordneten an. Bei der Verlängerung 2008 hat ein Drittel der Linksfraktion nicht mit »Nein« gestimmt, weil viele den Einsatz – und die Beteiligung unbewaffneter Militärbeobachter der Bundeswehr daran – sinnvoll fanden. Im Juni 2010 vor dem Referendum über die Unabhängigkeit Südsudans sagten erneut 25 Abgeordnete nicht »Nein«, darunter Gregor Gysi.

Ja, es gab und gibt den Missbrauch der UN. Aber es gab eben auch den Einsatz gegen die indonesische Armee, der die Ermordung Tausender nach dem Referendum über die Unabhängigkeit Osttimors beendete. Und manchmal hätten die Vereinten Nationen besser eingreifen sollen, als zuzusehen oder gar die Truppen abzuziehen. So hätten der Völkermord in Ruanda 1994, dem hunderttausende Menschen zum Opfer fielen, oder das Massaker in Srebrenica 1995 mit tausenden Toten niemals geschehen dürfen.

Warum sollten wir grundsätzlich gegen Hilfseinsätze der Bundeswehr, wie etwa nach dem Erdbeben 1990 im Iran oder 1984 zur Bekämpfung der Hungerkatastrophe in Äthiopien sein, an dem sich übrigens auch die NVA beteiligte? Was war grundsätzlich falsch an der Entscheidung des SED-Politbüros 1989 zur Beteiligung von Volkspolizei und NVA an der UN-Mission in Namibia zur Sicherstellung der Wahlen? Wer, wenn nicht Blauhelme, sollten das Waffenstillstandsabkommen auf Zypern überwachen? Die Frage, ob und an welchen UN-Einsätzen die Bundeswehr teilnehmen soll, diese Frage sollte jeweils konkret entschieden werden – um der Sache, aber auch der eigenen Glaubwürdigkeit willen.

Nein, der Missbrauch der UN hebt deren Chancen nicht auf. Jeder Konflikt ist konkret und selten stimmt eine Antwort auf alle Fragen. Deshalb muss es möglich sein, jeden Einzelfall zu bewerten. Nichts änderte das an unserem Charakter als Friedenspartei, aber es wäre schwieriger und mühevoller. Aber wer dachte, das sei in der Außenpolitik anders als anderswo?

** Stefan Liebich, 1972 geboren, ist Bundestagsabgeordneter der Linkspartei und Mitbegründer des parteiinternen Forums Demokratischer Sozialismus.

Beide Beiträge erschienen in: Neues Deutschland, 30. Juli 2011 ("Debatte")


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