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"Gefahrenzone"

Hunger und Unterernährung: Weltbank warnt vor leeren Lagern und starken Preisschwankungen bei den Grundnahrungsmitteln

Von Wolfgang Pomrehn *

Die Weltbank warnt vor hohen Verbraucherkosten für Nahrungsmittel. Auf dem globalen Markt hatte das Preisniveau nach Angaben der Weltnahrungsmittel- und Agrarorganisation der Vereinten Nationen (FAO) Ende 2010 erstmals die bisherigen Langzeit-Höchststände von 2008 überschritten, war dann jedoch wieder etwas gesunken. Beide Organisationen sprechen jedoch von großen und unvorhersehbaren Preisschwankungen, die aktuell eine Gefahr insbesondere für die ärmsten Bevölkerungsschichten darstellen.

Nach Angaben der Washingtoner Banker lagen die Preise für Grundnahrungsmittel im Juli 2011 auf dem Weltmarkt im Durchschnitt 33 Prozent über den Vorjahreswerten. Mais sei um 84 Prozent teurer gewesen, Weizen um 55 und Soja um 47 Prozent. Der Preis für Reis sei von Februar bis Mai gefallen, habe aber seitdem wieder zugelegt. An den US-Börsen sind die Notierungen für zum Jahresende zu liefernden Weizen im späten Frühjahr zunächst deutlich gefallen, ziehen aber in den letzten Wochen wieder an. Noch deutlicher ausgeprägt ist diese Entwicklung bei den US-Mais-Futures (Preisgebote an den Börsen für einen späteren Kauf-/Lieferzeitpunkt; d.Red.), die neuen Rekorden entgegenstreben. Ursache könnte eine schwere Dürre sein, die seit Monaten den Süden der USA heimsucht und sich inzwischen auch auf den sogenannten Corn Belt, das heißt, die Mais anbauenden Staaten im Mittleren Westen ausdehnt.

Brennpunkt Ostafrika

Im besonderen Maße betroffen ist derzeit das Horn von Afrika (Somalia, Äthiopien, Eritrea), wo ebenfalls eine langanhaltende Dürre die Ernten dezimiert sowie Armut, Inflation, Bürgerkrieg und der Zusammenbruch der staatlichen Ordnung in Somalia die Situation verschlimmern. Dort sind die Lebensmittelpreise inzwischen höher als 2008. Die lokal angebauten Grundnahrungsmittel Mais und Hirse haben sich nach Angaben der Weltbank gegenüber dem Vorjahr um 154 bzw. 240 Prozent verteuert. Preise, die sich die Ärmsten nicht mehr leisten können. Zwölf Millionen Menschen sind demnach im Süden des Landes auf Nahrungsmittelhilfen angewiesen. Zehntausende Kinder unter fünf Jahren seien in den letzten Monaten bereits verhungert, 600000 weitere akut gefährdet.

Aber auch im globalen Maßstab bleibt die Lage prekär. Weltbankpräsident Robert Zoellick sagte dazu am Montag in Washington: »Anhaltend hohe Nahrungsmittelpreise und niedrige Reserven zeigen, daß wir uns nach wie vor in einer Gefahrenzone bewegen, wobei die am wenigsten geschützten Menschen die größten Probleme haben, mit der Lage fertigzuwerden. Wachsamkeit ist angesichts der Unsicherheiten und Preisschwankungen unbedingt geboten. Es gibt kein Sicherheitspolster.«

Die Gründe sind vielfältig. Die Weltbank verweist unter anderem auf die sehr hohen Erdölpreise, durch die die Produktionskosten gestiegen seien. Ein Barrel (Faß, 159 Liter) Erdöl war im Juli 45 Prozent teurer als ein Jahr zuvor. Trotz allgemeinem Gekrisel in den Industriestaaten kostet derzeit ein Faß der als Referenz dienenden Nordseesorte Brent noch immer um die 110 US-Dollar.

Andererseits, so die FAO, ist in den zurückliegenden 30 Jahren, in Zeiten niedriger Preise für Agrarprodukte, weltweit viel zu wenig in die Landwirtschaft investiert worden. Entsprechend ist die Produktivität derzeit viel niedriger, als sie hätte sein können. Der Anteil der Entwicklungshilfe, die in die Landwirtschaft fließt, sei von 18 Prozent im Jahr 1980 auf heute nur noch fünf Prozent gefallen. Am meisten unter den Krisen leiden die kleinen Bauern, das zeigt sich auch in Somalia. Die großen Preisschwankungen machen es für sie sehr schwierig, mit hinreichendem Gewinn zu wirtschaften. Kommen dann noch Dürren oder Unwetter hinzu, so geraten sie schnell in existentielle Bedrängnis. Außerdem gibt es große Mängel bei der sicheren Lagerung von Grundnahrungsmitteln. Durch Schädlingsfraß und Fäulnis gehen in manchen Ländern bis zu 40 Prozent der Getreideernte verloren.

Sprit statt Brot

Ein weiteres Problem ist die wachsende Flächenkonkurrenz durch den Anbau von Energiepflanzen. Besonders in Brasilien und in den USA werden im großen Maßstab hochwertige Böden für den Anbau von Mais und Zuckerrohr verwendet, aus denen dann Ethanol gewonnen wird. Dieser sogenannte Biosprit, der dieses Siegel nicht verdient und eher Agrosprit genannt werden sollte, wird dann dem Benzin als PKW-Treibstoff beigemischt. Die FAO geht davon aus, daß die Subventionen für diese Kraftstoffe angesichts ihres möglichen Einflusses auf die Nahrungsmittelpreise überdacht werden müßten.

Schließlich haben auch Marktmechanismen einen Anteil an den hohen Preisen und deren gefährlichen Fluktuationen. Zum einen, so die FAO, sind die Informationen über die weltweite Versorgungslage nur ungenügend, was in einem engen Markt die Schwankungen verstärken kann. Außerdem haben die entfesselten Märkte den Umfang der finanziellen Transaktionen erheblich vergrößert. Mit anderen Worten: Es werden heute deutlich mehr Positionen hin- und hergeschoben, die Produkte wechseln öfter den Besitzer, bevor sie den Weg vom Erzeuger zum Verbraucher finden. Das trägt ebenfalls zu stärkeren Fluktuationen bei. Dennoch mag sich die FAO nicht eindeutig gegen Spekulation aussprechen. Ihre Rolle sei umstritten. Allerdings könne sie durch Mißernten ausgelöste Preisschocks wie etwa 2007/2008 verstärken.

* Aus: junge Welt, 19. August 2011


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