Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Ex-Weltbank-Chef: "Die Weltbank hat bedeutende Beiträge zur Armutsbekämpfung geleistet" - Attac: "IWF und Weltbank an Zynismus kaum zu überbieten"

Ein Thema (Lebensmittelkrise) - Zwei Sichtweisen: Ein Interview mit James D. Wolfensohn und eine Presseerklärung von Attac Deutschland


Keine simple Lösung bei Armutsbekämpfung

Ex-Weltbank-Chef James D. Wolfensohn: Menschen wollen keine Almosen, sondern Chancen *

Auf ihrer Jahrestagung in Washington hat die Weltbank zu Hilfen wegen der sich verschärfenden Nahrungsmittelkrise aufgerufen. Auch James D. Wolfensohn, Weltbank-Präsident von 1995 bis 2005, sieht trotz einiger Erfolge in Asien bei der Armutsbekämpfung noch viel zu tun. Der gebürtige Australier deutsch-jüdischer Abstammung ist heute als Privatbankier tätig, versteht sich aber auch als »Handelsreisender« im Kampf gegen Armut und Umweltzerstörung. Mit dem 74-Jährigen sprach Daniel Kestenholz ("Neues Deutschland").

Neues Deutschland: Die Asiatische Entwicklungsbank hat kürzlich erklärt, sie müsse ihre Prioritäten neu setzen, weil Armutsbekämpfung in Asien ganze Arbeit geleistet habe. Stimmen Sie dem zu?

Wolfensohn: Viele Menschen leben nicht mehr in Armut. Und doch gibt es noch mehrere Milliarden Menschen, die unter erbärmlichen Bedingungen leben, besonders in Afrika, doch auch in Indien und China.

Bitte geben Sie mir eine ehrliche Antwort: Hat die Weltbank dazu beigetragen, Armut in Asien zu verringern oder ist dies nicht eher der Industrialisierung und dem Wirtschaftsaufschwung zu verdanken?

James D. Wolfensohn: Die Weltbank hat sicherlich bedeutende Beiträge zur Armutsbekämpfung geleistet – durch monetäre Zuschüsse und, wichtiger noch, durch den Aufbau eines Umfelds, in dem sich Menschen aus der Armut hinausarbeiten können. Almosen bringen nichts und arme Menschen wollen auch keine Almosen, sondern Chancen.

Wo konkret hatte die Weltbank mit diesem Ansatz Erfolg?

Überall, wo wir funktionierende Arbeitsprogramme für Frauen sehen, wo es die Möglichkeiten von Mikrokrediten und den Aufbau von Infrastruktur gibt. Doch es braucht nicht nur physische Projekte, sondern auch Produktion und Handel. Es gibt keine simple Lösung, um Armut zu bekämpfen.

Wo funktionierte der Ansatz der Weltbank nicht?

Alle können behaupten, Erfolg zu haben, doch niemand kann behaupten, Armut sei vorbei. Viele rund um die ganze Welt sprechen darüber. Heute interessieren sich immer mehr junge Menschen für die Probleme von Armut und Umwelt. Viele der neuen Wortführer stammen aus Entwicklungsländern und nicht nur aus der reichen, westlichen Welt.

Was wohl bedeutet, dass neben den Armutsproblemen in Entwicklungsländern auch Umweltprobleme immer spürbarer sind?

Die Umwelt ist die große Frage, um die sich alles drehen wird. Die Welt wurde durch die reichen Nationen verschmutzt. Es überrascht überhaupt nicht, dass Schwellenländer jetzt ihre eigene Verschmutzung dazubringen. Indien nimmt jede Woche ein neues Kohlekraftwerk in Betrieb – ohne Schmutzfilter oder moderne Technologie. Man kann Fortschritt nicht aufhalten, also dauert der Raubbau auf allen Gebieten an.

Was würden Sie heute anders machen, wenn Sie wieder Präsident der Weltbank wären?

Ich würde mich schneller als damals und mit mehr Selbstvertrauen an die Probleme Armut, Korruption, Umwelt, Erziehung und Gesundheitswsen machen. Und mehr Gewicht auf die Rolle der Frau legen, die enorm wichtig ist bei Armutsbekämpfung. Dabei wäre es schon nicht schlecht, die Erfahrung zu haben, die man fünf Jahre später hat. Doch das Leben ist nicht so. Man beginnt nicht mit Erfahrung, sondern muss diese erst erwerben.

Was sagen Sie zu dem Vorwurf, die Weltbank stelle die Interessen von Konzernen über jene von armen Ländern – etwa bei der Privatisierung der Wasserversorgung?

Das ist kompletter Unsinn. In meinen zehn Jahren als Präsident der Weltbank wurde ich nie dem Druck von Konzernen unterworfen. Ich kann ganz ehrlich sagen, dass ich in diesen zehn Jahren nie von einer »Corporate Lobby« beeinflusst wurde. Was nicht bedeutet, dass einzelne Direktoren beinflusst worden sein könnten.

* Aus: Neues Deutschland, 15. April 2008


Lebensmittelkrise: IWF und Weltbank an Zynismus kaum zu überbieten

Attac fordert Abkehr von neoliberaler Handels- und Agrarpolitik

Frankfurt am Main 14.04.2008 Mit scharfer Kritik hat das globalisierungskritische Netzwerk Attac auf die gemeinsame Erklärung des Internationalen Währungsfonds´ IWF und der Weltbank zum Abschluss ihrer Frühjahrstagung reagiert. "Es ist an Zynismus kaum zu überbieten, wie sich hier zwei Sensenmänner über das gefallene Gras wundern und die gestiegenen Lebensmittelpreise bedauern," sagte Pia Eberhardt vom Attac-Agranetz.

IWF und Weltbank stünden seit Jahrzehnten für eine systematische Vernichtung kleinbäuerlicher Existenzen. So habe der IWF die Entwicklungsländer mit Strukturanpassungsmaßnahmen gezwungen, ihre gesamte Landwirtschaft auf den Export auszurichten und für billige Importe zu öffnen. Großflächige Monokulturen verdrängten den Anbau für den Eigenbedarf sowie lokale Märkte. Billigimporte taten ihr Übriges, um den Landwirten im Süden ihre Existenz zu rauben.

"Einen Sonderpreis für Doppelzüngigkeit verdient Weltbankpräsident Robert Zoellick, wenn er darüber klagt, dass die Lebensmittelpreise wegen des Klimawandels und der damit einhergehenden Dürren steigen", ergänzte Jutta Sundermann vom Attac-Koordinierungskreis. Die Weltbank trage selbst zum Klimachaos bei, indem sie ein gigantisches Kohlekraftwerk in Indien finanziert, das die Atmosphäre mit insgesamt 700 Millionen Tonnen CO2 belasten wird.

Auch für die aktuelle Finanzkrise, die die Lebensmittelkrise noch verschärfe, seien IWF und Weltbank mitverantwortlich. Jutta Sundermann: "Bereits jetzt zeigt sich: Seit sich mit Aktien kein großer Profit mehr machen lässt, spekulieren professionelle Anleger verstärkt mit Agrarrohstoffen. Den Preis zahlen die Armen."

Attac kritisierte zudem die Energiepolitik der Industrieländer. Notwendig sei ein sofortiger Stopp des Agrosprit-Booms und die Abkehr von dem von IWF und Weltbank Jahrzehnte lang forcierten Wirtschaftsmodell, das natürliche Ressourcen rücksichtslos ausbeutet und das Thema Verteilungsgerechtigkeit ausklammert.

Angesichts der drohenden weltweiten Hungerkrise sind die 500 Millionen Dollar, die IWF und Weltbank als Soforthilfe versprochen haben, Attac zufolge höchstens ein Tropfen auf den heißen Stein. Statt Sonntagsreden fordern die Globalisierungskritiker eine grundlegende Veränderung der internationalen Handels- und Agrarpolitik. Pia Eberhardt: "Ein Weltmarkt von Lebensmitteln, auf dem nur die Lidls und Nestlés dieser Welt bestehen können, wird niemals die Hungerkrise lösen können. Wir brauchen einen Paradigmenwechsel in Richtung Ernährungssouveränität - und zwar jetzt."

Attac fordert im Einzelnen:
  • Der Entwicklung regionaler Märkte in den Ländern des Südens und der Versorgung der heimischen Bevölkerung muss endlich Vorrang eingeräumt werden.
  • Es darf keine - auch keine versteckten - Export-Subventionen für landwirtschaftliche Produkte vor allem aus dem EU-Raum und den USA in Länder des Südens mehr geben.
  • Internationale Abkommen müssen Entwicklungsländern die Möglichkeit geben, die eigenen Agrarmärkte zu schützen. Attac fordert einen Stopp der Verhandlungen über weit reichende Freihandelsabkommen zwischen der EU und Ländern des Südens.
  • Die EU muss sofort von ihrem Ziel abrücken, den Agrosprit-Anteil auf zehn Prozent zu steigern. Subventionen und Förderungen für Agrosprit-Pflanzenanbau müssen verschwinden.
  • Den Energieverbrauch zu reduzieren, muss vorrangiges Ziel werden: Die Förderung energiesparender Technologien ist ebenso notwendig wie strenge Begrenzungen für den Spritverbrauch von Kraftfahrtzeugen.


Zurück zum Thema "Armut, Hunger, Massenelend"

Zur Globalisierungs-Seite

Zurück zur Homepage