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Globale Krise mit Ansage

Nahrungsmittelverknappung und Hunger: UNO-Kritik an Entwicklungspolitik und Biospritproduktion. Gipfel im Juni in Rom soll Auswege aufzeigen

Von Klaus Fischer *

Große Hoffnungen setzt UN-Generalsekretär Ban Ki Moon derzeit auf ein Gipfeltreffen zur Bekämpfung der globalen Nahrungsmittelkrise. Nach eigenen Worten arbeitet der Spitzendiplomat mit Hochdruck an der Vorbereitung der Konferenz, die Anfang Juni in Rom stattfinden soll. Eine von ihm eingerichtete Sonderarbeitsgruppe werde am Montag kommender Woche erstmals zusammenkommen, erklärte Ban am Montag in New York. Einladungen an die Regierungschefs zu dem Gipfel würden in wenigen Tagen herausgehen.

Geschäfte mit Hunger

Seit Monaten hat sich die Situation auf den internationalen Nahrungsmittelmärkten zugespitzt. Teure Energieträger, Mißernten und die Verwendung eines zunehmenden Teils der landwirtschaftlichen Nutzflächen für die Produktion von Biokraftstoffen, haben die Preise für Getreide und Soja dramatisch ansteigen lassen. Unzählige Spekulanten haben nach dem Zusammenbruch des US-Immobilienmarktes die Nahrungsmittelbranche als profitträchtiges Investmentfeld für sich entdeckt. Doch auch andere wollen am neuen Goldrausch teilhaben. In Erwartung noch höherer Preise halten Händler Reis, Mais, oder Weizen auf Lager, statt zu verkaufen. In verschiedenen Regionen Asiens legen die Menschen Hamstervorräte an. Zahlreiche Staaten mußten inzwischen Nahrungsmittel subventionieren oder gar rationieren. Es kam zu Hungerrevolten.

Einen nicht unwesentlichen Beitrag zur derzeitigen Lage haben die subventionierten Landwirtschaften in den USA und der EU geleistet. Im Zuge der kapitalistischen Globalisierung wurde deren billige Überproduktion in die ärmeren Staaten exportiert. Dagegen konnte die einheimische Landwirtschaft nicht konkurrieren und brach stellenweise völlig zusammen. Landflucht und Ghettoisierung in den Drittweltmetropolen gehören nach Ansicht zahlreicher Entwicklungsorganisationen zu den Kollateralschäden der Subventionspolitik.

»Diese Krise kam nicht aus blauem Himmel«, betont denn auch der UN-Generalsekretär. »Sie ist in mehr als einem Jahrzehnt durch eine vernachlässigte und ineffektive Entwicklungspolitik gewachsen. Wir brauchen einen Neuanfang.« Die landwirtschaftliche Entwicklung besonders in Afrika und anderen stark betroffenen Regionen müsse vorangebracht werden.

Ban erklärte, er habe die Regierungen aufgerufen, keine Maßnahmen zu ergreifen, die den Handel beeinträchtigen und die Preise in die Höhe treiben. Zudem bräuchten die Bauern schnell Dünger und Saatgut. Er schloß sich auch der Kritik an der weltweiten Zunahme der Produktion von Biokraftstoff an.

Der wissenschaftliche Sonderberater der Vereinten Nationen, Jeremy Sachs, hatte EU und USA aufgefordert, ihre Programme für eine Erhöhung des Biospritanteils zu überdenken. Pläne, mit einem größeren Anteil von biologisch erzeugten Kraftstoffen im Benzin den CO2-Ausstoß zu vermindern, »machen in einer globalen Lage mit Nahrungsmittelknappheit keinen Sinn«, sagte Sachs, der auch Direktor des Earth Institute der New Yorker Columbia-Universtität ist, am Montag im Europaparlament.

Widerspruch zu diesen Argumenten kommt von der Biokraftstofflob­by: »Die Äthanolproduktion in den USA hat nicht zu einer Verknappung bei Mais geführt. Die amerikanischen Maisexporte sind im Wirtschaftsjahr 2007/08 nach Angaben des US-Landwirtschaftsministeriums USDA um zehn Millionen Tonnen auf das Rekordniveau von 64 Millionen Tonnen gestiegen«, erklärte Dietrich Klein vom Verband der deutschen Bioethanolwirtschaft LAB in der vergangenen Woche. Auch in der EU seien 2007 lediglich 1,2 Prozent der Getreideernte von 254 Millionen Tonnen zu Äthanol verarbeitet worden, so Klein weiter.

Anders sieht es auf jeden Fall in den großen Schwellenländern aus. So weitet Brasilien seine Zuckerrohr-Monokulturen weiter dramatisch aus. Süd­amerikas größter Staat erwartet dieses Jahr einen Rekord bei der Biospritproduktion. Voraussichtlich würden 2008 rund 27 Milliarden Liter Äthanol aus Zuckerrohr gewonnen und damit 15 bis 20 Prozent mehr als 2007, teilte die Regierungsbehörde Conab am Dienstag mit.

Auch in China wird immer mehr Anbaufläche für die Kraftstoffgewinnung genutzt, statt Nahrungsmittel zu kultivieren. Innerhalb der letzten drei Jahre ist das Land weltweit zum drittgrößten Produzenten von Biotreibstoff nach Brasilien und den USA aufgestiegen. Im Jahr 2006 erreichte die Produktionsleistung der Äthanolmühlen zehn Millionen Tonnen. Sie übertraf damit bereits in einem Jahr die anvisierte Menge von sechs Millionen Tonnen für den 11. Fünfjahrplan von 2006 bis 2010.

Essen oder fahren?

Die chinesischen Verbraucherpreise stiegen indes im März um 8,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Nahrungsmittel verteuerten sich sogar um 21 Prozent. Vor allem die Preissteigerung bei Getreide, dem Hauptrohstoff für die Herstellung von Äthanol, löste auch bei anderen Produkten eine Teuerungswelle aus. Die Entwicklung entspricht genau den Prognosen des Weltlandwirtschaftsrates (IAASTD). Dieser hatte in einer Expertenstudie davor gewarnt, daß der Einsatz von Nahrungsmitteln für die Herstellung von Biokraftstoff deren Preise dramatisch in die Höhe treiben werde.

Die deutsche Bundesregierung ficht derlei Zahlenwerk nicht an. Erst in der vergangenen Woche hatte Kanzlerin Angela Merkel verkündet, daß ihre Regierung an den Zielen für die Erhöhung der Biokraftstoffproduktion aus Klimaschutzgründen festhalten werde.

Immerhin zwei klare Gewinner hat die Krise jetzt schon: Die Chemieindustrie kann immer größere Mengen Dünger, Herbizide und Pestizide an den Bauern bringen. Und die Gentech-Konzerne können jubeln. Deren von den meisten Menschen strikt abgelehnten und in ihren Wirkungen weitestgehend unerforschten »Produkten«, gelten manchen »Experten« schon als die einzige Alternative, den Hunger zu besiegen.

* Aus: junge Welt, 7. Mai 2008


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