"Ernährung ist der Motor des Lebens"
Welternährungstag: Die Zahl der Hungernden ist wieder unter eine Milliarde gesunken / Korotoumou Gariko über die Landwirtschaft in Burkina Faso und unfairen Handel mit der EU
Korotoumou Gariko ist Milchproduzentin aus Burkina Faso. Sie hat vor einigen Jahren eine kleine Molkerei gegründet. Inzwischen ist sie die Vorsitzende des Verbandes der Kleinbauernmolkereien. Gariko ist auf Einladung von Misereor derzeit in Deutschland. Misereor unterstützt in Burkina Faso ein Weiterbildungsprojekt für Wanderviehhalter mit Milcherzeugung. Über die Ernährungslage in Burkina Faso und die von der EU forcierten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen sprach mit Gariko für das Neue Deutschland (ND) Martin Ling.
ND: Mit welchen Problemen hat die Landwirtschaft in Burkina Faso generell zu kämpfen?
Gariko: Unser Agrarsektor wird stark von den klimatischen Bedingungen beeinflusst. Die sind von Jahr zu Jahr schwankend. Sind sie gut, haben wir gute Erträge, sind sie schlecht, geht die Produktion stark zurück. Wasser haben wir im Prinzip ausreichend. Allerdings litt der Agrarsektor in den vergangenen Jahren immer wieder an Überschwemmungen. Andererseits gibt es immer wieder Dürreperioden. Nur wenn weder Flut noch Dürre herrschen, sind ansprechende Ernteergebnisse möglich.
1980 war der afrikanische Kontinent noch Selbstversorger bei Lebensmitteln, davon kann keine Rede mehr sein. Warum?
Afrika könnte sich nach wie vor selbst ernähren, wenn man es dem Kontinent erlauben würde. Stattdessen wird alles dafür getan, dass dies nicht der Fall ist. 80 Prozent leben in Burkina Faso von der Landwirtschaft. Wenn sie nicht in der Lage wären, sich selbst und die 20 Prozent städtische Bevölkerung mit Lebensmitteln zu versorgen, wäre das eine Katastrophe. Die politischen Maßnahmen, die Liberalisierung der Agrarmärkte in der Vergangenheit, die in der Zukunft noch verschärft werden soll, haben hierzulande dazu geführt, dass die Kleinbauern stark unter Druck gekommen sind. Die Burkiner wissen, dass sie genügend produzieren müssen, um die Stadtbevölkerung mitzuversorgen. Das muss durch geeignete politische Maßnahmen begleitet werden.
Wie stark ist Burkina Faso Nahrungsmittelimporten ausgesetzt?
Ich kann das in Bezug auf die Milchbranche erläutern. Unser Verband der Kleinbauernmolkereien ist mit der Produktion und Weiterverarbeitung von Milch beschäftigt. In diesem Sektor gibt es viele Probleme. Die Milchpulverimporte aus der Europäischen Union zerstören regelrecht die einheimische Milchproduktion. und das wirft sehr viele Probleme auf. Die einheimischen Milchproduzenten verlieren ihren Absatzmarkt und eine wichtige Einkommensquelle.
Die Europäische Union forciert die so genannten Wirtschaftspartnerschaftsabkommen (EPA) mit unterschiedlichen Regionen der Welt, so auch mit Westafrika inklusive Burkina Faso. Die afrikanischen Staaten versuchen sich gegen die von der EU angestrebten Bedingungen zu wehren. Ist das angesichts der asymmetrischen Verhandlungsmacht ein aussichtsreiches Unterfangen?
Die afrikanischen Politiker wissen, dass sie eine schwächere Position haben. Sie wissen aber auch, dass die Kleinbauern in Burkina Faso und in den Nachbarländern auf einem Nein bestehen. Der Vertrag wäre längst unterschrieben, wenn die Kleinbauern nicht dagegen mobilisiert hätten. Bei EPA handelt es sich streng genommen auch um keinen Vertrag, denn bei einem Vertrag müsste ein ausgewogenes Gleichgewicht der Interessen formuliert werden. Das ist hier überhaupt nicht der Fall. Die Europäische Union subventioniert ihre Bauern je nach Region massiv, damit sie für den Wettbewerb gerüstet sind, während die Bauern in Burkina Faso auf sich allein gestellt sind. Dort bearbeitet eine Frau mit dem Baby auf dem Rücken ihre Felder. Sie muss einiges tun, um allein genügend Lebensmittel für den Eigenbedarf zu produzieren. Die Bauern und Bäuerinnen hierzulande haben weder die technische Ausrüstung noch die Subventionen, um mit den EU-Bauern konkurrieren zu können. Was wir an Ausrüstung haben, kommt aus der EU, allen voran chemischer Dünger. Wir haben organischen Dünger, den wir auf unseren Felder ausstreuen. Der Rest sind Importe aus der EU. Afrika darf die EPA nicht unterzeichnen. Die EU drängt schon genug auf den afrikanischen Markt.
EPA soll Afrikas Marktzugang nach Europa verbessern. Was sagen Sie dazu?
Afrika liefert nur Rohstoffe wie Kaffee, Kakao und Edelmetalle nach Europa. Afrika kann kein Interesse an EPA haben, es sei denn, der Bereich Landwirtschaft bliebe außen vor. Wir sind nicht konkurrenzfähig: Eine afrikanische Kuh gibt drei bis fünf Liter Milch, eine EU-Kuh rund 35 Liter. Ernährung darf nicht mit dem Handel in einen Topf geworfen werden. Ernährung ist der Motor des Lebens und Ernährung darf nicht dem Freihandel unterworfen werden, wo doch die Landwirtschaft in der EU geschützt ist und in Afrika eben nicht. Während ich meinen handwerklich gefertigten Joghurt nicht in Europa verkaufen darf, dürfen europäische Milchunternehmen ihren Joghurt anstandslos in Burkina Faso verkaufen. Das ist nicht fair und deswegen werden wir es unseren Politikern nicht erlauben, die EPA zu unterzeichnen.
Haben die Politiker das verstanden?
Unsere Politiker haben inzwischen begriffen, dass sie mit den EPA nichts zu gewinnen haben. Ist die Freihandelszone einmal eröffnet, entfallen die Importzölle, die einen gewichtigen Posten in unserem Staatshaushalt darstellen. Davon bezahlt der Staat Beamte, Bildungs- und Gesundheitsdienstleistungen und geht soziale Probleme an. Nicht nur die Kleinbauern müssen sich gegen EPA wappnen, auch die Politiker. Das habe ich unserem Präsidenten Blaise Compaoré bei einem Treffen mit der Bauernvereinigung so auch mitgeteilt. Compaoré hat das offenbar verstanden. Eine Stunde nach dem Gespräch hat er beim Bauernverband angerufen und gesagt, die Bauern haben Recht damit, dass zuerst die Produktion in Burkina Faso verbessert werden muss, bevor wie an die Vermarktung unserer Produkte gehen können. Im Moment haben wir keine Produkte, die wir in der EU verkaufen könnten. Warum also sollten wir noch weiter liberalisieren?
Vertrauen Sie auf die Standhaftigkeit ihrer Politiker?
Nicht unbedingt. Wenn die Zivilgesellschaft keinen Druck ausüben würde, hätten sie die Verträge längst unterzeichnet. Wir haben in den Straßen der Hauptstadt Ouagadougou gegen die Unterzeichnung demonstriert. Wir haben deutlich gesagt: Wir brauchen fairen Handel und keine EPA.
Zahlen und Fakten: 925 Millionen hungern
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Der Welternährungstag findet jedes Jahr am 16. Oktober statt. Damit soll darauf aufmerksam gemacht werden, dass weltweit nach wie vor viele Millionen Menschen an Hunger leiden. Derzeit sind es laut den jüngsten Schätzungen der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation FAO 925 Millionen Menschen. 2009 hatte im Zuge der Weltwirtschaftskrise und Nahrungsmittelpreisspekulationen die Zahl der Hungernden erstmals die Grenze von einer Milliarde Menschen überschritten. Die FAO bezifferte sie auf 1,023 Milliarden.
- Der 16. Oktober wurde ausgewählt, weil am 16. Oktober 1945 die FAO als Sonderorganisation der UNO gegründet wurde. Ihre Aufgabe: die weltweite Ernährung sicherzustellen.
- Laut FAO leben die weitaus meisten hungernden Menschen in Entwicklungsländern: 2009 waren es 642 Millionen in Asien, 265 Millionen im südlichen Afrika und 53 Millionen in Lateinamerika. Auch im Nahen Osten und vielen osteuropäischen Ländern ist Hunger ein Problem.
- Der Welternährungstag findet seit 1979 jährlich statt. Neben offiziellen Kongressen wie dem derzeit laufenden des UN-Welternährungsausschusses in Rom, die sich mit den Themen Welthunger und Welternährung auseinandersetzen, nutzen oft auch Nichtregierungsorganisationen den Welternährungstag, um auf das weltweite Hungerproblem aufmerksam zu machen.
- Die Welthungerhilfe untersuchte bei ihrem Welthunger-Index 2010 besonders die Lage der Kinder. Demnach ist ein Drittel der Kleinkinder (195 Millionen) in Afrika und Südasien unterentwickelt, ein Viertel (129 Millionen) stark untergewichtig. Bereits in der Schwangerschaft bekommen die Mütter zu wenig Nahrung. 2,2 Millionen Kinder sterben jährlich durch Mangel- und Unterernährung.
ND
* Aus: Neues Deutschland, 16. Oktober 2010
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