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Zocken auf dem Rücken der Jüngsten

UNICEF: Wirtschaftskrise stürzt Millionen weitere Kinder in die Armut. Sanfte Appelle an die Politik

Es ist bekannt: Die globale Wirtschaftskrise verschärft die Armut in den Entwicklungs- und Schwellenländern. Das Kinderhilfswerk der Vereinten Nationen hat am Donnerstag einige Daten geliefert: Allein in diesem Jahr werden krisenbedingt zusätzlich 64 Millionen Menschen unter die Armutsgrenze fallen, wie aus dem am Donnerstag in Berlin vorgestellten Unicef-Report 2010 hervorgeht. Die Hälfte von ihnen sind Schätzungen zufolge Kinder. Für viele von ihnen gehe es um das nackte Überleben, heißt es im Bericht. So sei in Südasien jedes zweite Kind untergewichtig.

Der Vorsitzende von UNICEF Deutschland, Jürgen Heraeus, appellierte höflich an die Bundesregierung: »Bei allen Sparanstrengungen dürfen wir nicht da kürzen, wo die Zukunft der Welt liegt«. Die Armut müsse vor Ort »eingedämmt« werden, da sonst immer mehr »notleidende Menschen in wohlhabendere Länder« flüchteten. In ähnlicher Weise wandte sich Heraeus anläßlich der bevorstehenden G-8- und G-20-Gipfel in Kanada an die teilnehmenden Staats- und Regierungschefs.

Nach UN-Angaben lebten 2009 mehr als eine Milliarde Menschen von weniger als 1,25 US-Dollar am Tag, der offiziellen Armutsgrenze. Das waren etwa 100 Millionen mehr als im Vorjahr.

UNICEF erleichtert mit seinen Hilfsprojekten hierzulande vor allem schlechtes Gewissen und Portokassen der oberen Zehntausend. Trotz Finanzkrise nahm die Organisation nach eigenen Angaben im vergangenen Jahr 70,6 Millionen Euro aus Spenden und dem Verkauf von Grußkarten ein. Nur in Japan war die Summe höher. Ende 2007 war UNICEF Deutschland wegen der Praktiken des damaligen Geschäftsführers Dietrich Garlichs in die Krise geraten, der mit Bossen und Erben »auf Augenhöhe« reden wollte und dafür die teuren Dienste von Beratern und Profi-Spendenwerbern nutzte. Dies führte zur Aberkennung des Spendensiegels. Anfang dieses Jahres hat Unicef es neu beantragt.

Jana Frielinghaus

* Aus: junge Welt, 25. Juni 2010


UNICEF: Kinder sind die Verlierer der Finanz- und Wirtschaftskrise

UNICEF-Jahrespressekonferenz und neuer Report vor G8/G20-Gipfel

Kinder in Entwicklungs- und Schwellenländern sind die größten Verlierer der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise. Dies ist Ergebnis des UNICEF-Reports 2010 „Kinder – die Vergessenen der Finanzkrise“, der heute in Berlin vorgestellt wurde. Danach hat der Einbruch der Weltwirtschaft Armut, Hunger und Krankheiten bei Kindern verschärft. Die Krise verhindert Fortschritte bei der Umsetzung der Millenniums-Entwicklungsziele. Allein in 2010 wird die Zahl der Menschen in extremer Armut um rund 64 Millionen steigen. Tausende Kinderleben sind in Gefahr, wenn jetzt nicht gegengesteuert wird.

Einen Tag vor Beginn der G8- und G20-Gipfel in Kanada ruft UNICEF die Staats- und Regierungschefs deshalb dazu auf, das Wohlergehen und die Entwicklung der ärmsten Kindern gerade angesichts der Krise stärker zu fördern.
  • Die „Krankheiten der Armut“ wie die hohe Kinder- und Müttersterblichkeit in vielen Ländern oder Aids müssen konsequenter bekämpft werden.
  • Die Kosten für Schulbildung in den Entwicklungs- und Schwellenländern müssen verringert und die Qualität erhöht werden.
  • Es gilt, Einkommensmöglichkeiten für die arme Bevölkerung zu schaffen und Zugang zu ausreichender Ernährung sicher zu stellen.
  • Angesichts der Krise muss der Schutz der Kinder vor Ausbeutung gezielt verbessert werden.
„Wenn Milliarden verfügbar sind, um Banken zu retten, Unternehmen zu stabilisieren und Subventionen für technische Entwicklungen zu gewähren, dann darf die finanzielle Unterstützung für die ärmsten Kinder nicht verringert werden. Gerade hier haben wir die Gewissheit, dass Mittel für Ernährung, Bildung und Gesundheit einen hohen Ertrag bringen: für die Kinder und die Länder, in denen sie aufwachsen. Wir brauchen einen Aufschwung mit menschlichem Gesicht“, sagte Dr. Jürgen Heraeus, Vorsitzender von UNICEF Deutschland.

UNICEF-Report 2010

Die negativen Folgen des Einbruchs für arme Familien werden erst nach und nach sichtbar. Für viele Kinder in den Entwicklungs- und Schwellenländern stehen ihr Überleben und ihre Zukunftschancen auf dem Spiel. Der UNICEF-Report 2010 dokumentiert die schwierige Situation:
  • Extreme Armut und Ungleichheit wachsen weiter: Aktuelle Prognosen der Weltbank gehen von einem Anstieg der Zahl der Menschen in extremer Armut um 64 Millionen im Laufe dieses Jahres aus – fast 70 Prozent davon in so genannten Schwellenländern. Die Schere zwischen Arm und Reich wächst. Fortschritte beim Kampf gegen die Kindersterblichkeit, beim Zugang zu Grundbildung und sauberem Wasser in den ärmsten Ländern werden deutlich geringer ausfallen als vor der Krise erwartet.
  • Die Ernährungssituation für die ärmsten Familien hat sich dramatisch verschlechtert. In Südasien können 33 Prozent der Menschen ihren täglichen Mindestbedarf an Kalorien nicht decken. Fast jedes zweite Kind ist untergewichtig. In Ländern wie Nepal, Pakistan und Afghanistan stieg die Zahl der vom Hunger bedrohten Menschen in 2009 drastisch an. Viele Familien müssen 60 bis 70 Prozent ihres Einkommens allein für Nahrung ausgeben.
  • Weiterhin hohe Lebensmittelpreise, sinkende Realeinkommen und steigende Arbeitslosigkeit treffen die Familien am härtesten, die auch schon vor der Krise am Rande lebten. Sie haben keine „Puffer“, um die Krise zu bewältigen. Deshalb erhalten Kinder weniger oder schlechtere Nahrung, müssen arbeiten statt zur Schule zu gehen oder bekommen seltener medizinische Hilfe.
  • Gleichzeitig sind Staatshaushalte in vielen Ländern unter Druck. Im Jahr 2009 standen die meisten G20-Regierungen zwar zu ihrem Versprechen, die Ausgaben in den Bereichen Gesundheit, Bildung, soziale Sicherheit und Infrastur zu erhalten. Doch dies war vor der Griechenland-Krise. Es zeichnet sich ab, dass Entwicklungshilfebudgets stagnieren, sinken oder hinter den eigenen Zielsetzungen zurückbleiben werden.
Quelle: Deutsche Website von UNICEF, 24. Juni 2010; www.unicef.de

Der UNICEF-Report ist im Fischer Taschenbuch Verlag erschienen.


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