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Armee für alle Fälle

Der Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee

Buchbesprechung

Die isw-Broschüre kommt zur rechten Zeit. Nach der Vorlage des Papiers der Weizsäcker-Kommission zur Reform der Bundeswehr im Mai und mit der Kabinettsentscheidung über das Scharpingsche Eckpunktepapier im Juni war es still geworden über die Zukunft der Armee. Nur hin und wieder ein paar Aufgeregtheiten in der politischen Klasse Berlins über Wehrpflicht und - damit zusammenhängend - Zivildienst. Ansonsten, so scheint es, hat sich die Öffentlichkeit damit abgefunden, dass aus der zur Landesverteidigung gegründeten Bundeswehr eine zum Angriff bereite Interventionsarmee gemacht wird. Dass dies nicht nur an der Verfassung (z.B. Art. 87a GG), sondern auch an der sicherheitspolitischen Realität vorbei geschieht, ist der eigentliche Skandal.

Die Debatte um die Zukunft der Bundeswehr wird nur noch in kleinen Kreisen weitergeführt. Die Friedensbewegung beteiligt sich daran genauso wie Teile der Friedensforschung. Die Bundestagsparteien sind längst zur Tagesordnung übergegangen und überlassen das Feld einigen Außenseitern in den eigenen Reihen und der PDS, die als einzige Fraktion grundsätzlich gegen die Umwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee argumentiert. Immerhin hat sich die PDS mit einem eigenen Bundeswehr-Programm (Für eine 100.000-Personen-Armee) für eine Diskussion munitioniert, die leider nicht mehr stattfindet.

Noch grundsätzlicher argumentiert Arno Neuber. Dabei beschränkt er sich weder auf die Frage nach der politischen Zielbestimmung der Bundeswehr, noch auf die daraus abgeleiteten militärischen Belange im engeren Sinn (Wehrpflicht, Streitkräfteumfang, Bewaffnung). Er bezieht auch das politische und strategische Umfeld ein, das der Bundeswehrreformdebatte seinen Stempel aufdrückt. Welches, so fragt Neuber z.B., sind denn die potenziellen Interventionsräume der Bundeswehr, wenn sie denn zu einer interventionsfähigen Armee umgerüstet werden soll? Wie passt sich das Bundeswehrkonzept in die neue NATO-Strategie ein, die im April 1999 in Washington beschlossen wurde? Und welche Rolle spielt die Bundesrepublik im Prozess der Militarisierung der Europäischen Union, die mit ihren Gipfeln in Köln und Helsinki (Juli und Dezember 1999) die Weichen auf ein europäisches Militärbündnis und auf die Aufstellung von eigenen Krisenreaktionskräften gestellt hat? Begleitet und untermauert wird all dies schließlich mit einem erhellenden Blick auf die Entwicklung der europäischen Rüstungsindustrie, die es - mit kräftiger deutscher Unterstützung - immerhin schon zum weltweit drittgrößten Weltraum- und Luftfahrtkonzern EADS gebracht hat.

Weitere Themen der Broschüre sind: Die aktuelle Debatte um die Militarisierung des öffentlichen Gesundheitswesens (hier geht es um den Rahmenvertrag, den die Deutsche Krankenhausgesellschaft mit dem Verteidigungsministerium 1999 geschlossen hat; Ziel: Erschließung zusätzlicher Kapazitäten zur Unterstützung des militärischen Sanitätsdienstes "für den Einsatz"), das "Bündnis" der Bundeswehr mit der Wirtschaft (da musste ein sozialdemokratischer Verteidigungsminister kommen, um mit der Privatisierung von traditionellen "Hoheitsaufgaben" anzufangen!) und die "nukleare Teilhabe" der Bundeswehr im Rahmen von NATO und - eventuell - militarisierter EU.

Neubers Broschüre zeichnet aus, was von so mancher Analyse aus dem Hause des isw-München gesagt werden kann: Das aufbereitete Material ist hochaktuell, die Analyse und Kritik (an der herrschenden Militärpolitik) sind gut mit öffentlich zugänglichen Quellen (v.a. Presseartikel) belegt, die vom Autor eingenommenen friedenspolitischen Standpunkte lassen wohl die Herzen der Friedensbewegten im Gleichschritt mitschlagen, Stil und Aufmachung schließlich machen aus einem schweren Gericht eine gut verdauliche Kost (Respekt: die anschaulichen Grtafiken mit Ausnahme des Titelbildes stammen auch vom Autor!).
>BR> Fazit: Hoher Gebrauchswert (vor allem interessant für Friedensinitiativen), niedriger Tauschwert (was sind heute schon 5 Mark!).
Pst

Arno Neuber: Armee für alle Fälle. Der Umbau der Bundeswehr zur Interventionsarmee.
isw-Report Nr. 44 in Zusammenarbeit mit der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V., München, August 2000,
30 Seiten, Schutzgebühr: DM 5,-
Bezugsadresse: isw, Johann-von Werth-Str. 3, 80639 München

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