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Der Bluff im allgemeinen

Die Jagd auf plagierte Dissertationen könnte Politikern das Schaumschlagen abgewöhnen

Von Herbert Schui *

Der Gründer der Plagiate-Plattform Vroniplag wurde Anfang August von Bild enttarnt. Martin Heidingsfelder ist Mitglied der SPD. Damit ist für die Zeitung auch geklärt, worum es eigentlich geht, wenn grober Pfusch bei Doktorarbeiten aufgeklärt wird: Die SPD will den Regierungsparteien am Zeug flicken! Und wenn es tatsächlich so wäre? Stoff gibt’s genug. Denn allemal sind in der Merkel-Regierung zwölf Minister promoviert. In der Schröder-Regierung waren es nur vier.

In der Tat bringt Pfusch bei der Dissertation Politiker zu Fall. Das ist neu, denn bis jetzt kamen Politiker meistens um ihren Posten, weil sie den (sprichwörtlichen) silbernen Löffel gestohlen oder, das aktuelle Beispiel, eine Liebschaft mit einer 16jährigen hatten. Jetzt aber sind die Plagiatsjäger zu gefürchteten Feinden geworden. Das ist ärgerlich. Nicht wegen der Plagiatsjäger, sondern weil Politiker nur schwer aus dem Amt zu bringen sind, wenn sie bei ihrer Aufgabe ganz offensichtlich versagen. Der Angriff von außen dagegen – so der Nachweis des Plagiats – hat Erfolg.

Was erklärt diese Asymmetrie? Politiker kommen ihrem Amt vielfach wie Schauspieler nach: Sie inszenieren ihr Geschäft, statt einen ernsthaften Plan zur Lösung drängender Gegenwartsfragen zu erarbeiten. Es wird eine Scheinwelt arrangiert mit vielen– auf Anhieb – plausiblen Erklärungen und Ausreden. Damit sinken die Chancen für einen erfolgreichen, gezielten politischen Angriff. (Erst wenn der Mangel zu offensichtlich ist, wird das fehlende Profil beanstandet: Die Kritik an der Regierung Merkel, auch aus den eigenen Reihen, ist hierfür ein Beispiel.)

Dieses Politikaster-Theater hat eine doppelte Wirkung: Es ermutigt zum Angriff von außen, und es ist auch der tiefere Grund, warum sich Politiker ohne ernsthaftes Interesse an wissenschaftlicher Forschung eine Promotion zulegen wollen. So kommt es zu Plagiaten und der Jagd auf sie. Denn was sonst als Schein sind die Doktorarbeiten von Silvana Koch-Mehrin, Karl-Theodor zu Guttenberg und anderen Leuten? Was diese Unverfrorenen so selbstsicher gemacht hat, war die Politikerwelt, in der sie lebten. Da ist der Bluff legitim, er gilt als Kunst. Forsch, wie sie sind, haben sie diese Praxis beim Anfertigen ihrer Arbeit beibehalten.

Wenn aber eine Politiker-Promotion einfach dazu dient, sich in Szene zu setzen, dann treffen zwei Welten aufeinander: Denn, wie gesagt, viele Politiker zählen zu ihrem Handwerk die Kunst, Schein zu inszenieren – meistens in Zusammenarbeit mit Journalisten und PR-Leuten. Der Fall Guttenberg ist eine gute Illustration. (Mehr zu dieser Inszenierungskunst findet sich in den Veröffentlichungen von Thomas Meyer: »Politik als Theater. Die neue Macht der Darstellungskunst« oder »Die Inszenierung des Politischen. Zur Theatralität von Mediendiskursen«.) Wissenschaftler dagegen sind vom Grunde her auf der Suche nach der Wahrheit. Dies ist keine moralische Wertung. Sie sind nicht die besseren Menschen, aber ein Naturwissenschaftler beispielsweise, der in der Raumfahrt arbeitet, kann nicht so tun, als ob die Rakete flöge. Nein, die Rakete muß wirklich fliegen. Grundsätzlich läuft alles darauf hinaus, daß wissenschaftliche Ergebnisse zur Kontrolle angeboten werden. Das Ansehen des Forschers hängt von der Überprüfung und Bestätigung seiner Ergebnisse ab. Politiker dagegen überleben oft, weil sie mit ihrer Darstellungskunst und viel Medientheater die Öffentlichkeit von irgendetwas überzeugen können, das es in Wahrheit nicht gibt – dies wenigstens solange, wie das Wahlvolk sich nicht im klaren ist über sein Interesse oder sich ganz einfach hinters Licht führen läßt.

Politiker haben zu diesem Zweck eine eigene, oft suggestive Sprache entwickelt: Sie setzen Themen, statt zu sagen, daß sie eine offene Frage lösen wollen. Sie kommunizieren oder vermitteln dem Wahlvolk etwas. Wenn aber das, was sie mitteilen, Unsinn ist oder dem Mehrheitsinteresse völlig entgegensteht, dann reden die Politiker gerne von einem Kommunikations- oder Vermittlungsproblem, statt zuzugeben, daß sie eine wichtige Frage gar nicht angehen, sondern nur so tun, daß sie sich geirrt haben oder daß die Mehrheit, der sie ja verpflichtet sind, ein anderes Interesse hat.

Eine wissenschaftliche Untersuchung dagegen erfordert eine analytische Sprache, keine Politikasterlyrik. Denn diese schafft keine Klarheit, keine Einsichten. Im Gegenteil: Sie vernebelt. In der Praxis allerdings unterscheiden sich Wissenschaft und Politik nicht immer in dieser Eindeutigkeit. Auch Politiker können redlich sein, nicht um der reinen Macht willen nach der Macht streben, sondern weil sie einen klaren Plan haben, für den sie werben und den sie verwirklichen wollen. Auf der anderen Seite gibt es nicht wenige Wissenschaftler, die es mit der Liebe zur Wahrheit nicht sehr ernst meinen. Das ist besonders dann der Fall, wenn der Gegenstand ihrer Forschung das Ziel von gut organisiertem Interesse ist, von dem sie in Dienst genommen werden. (Drittmittel sind eine subtile Form hiervon.) Nicht nur die Wirtschaft und damit die Wirtschaftswissenschaft sind hierfür ein gutes Beispiel. Ähnliches findet sich im Bereich der Atomindustrie. Auch hier behaupteten Wissenschaftler solange, die Atomkraft sei absolut sicher, bis eine Katastrophe auf einen Schlag das Gegenteil bewies.

Die Jagd nach Plagiaten ist bedeutender, als man auf Anhieb meinen sollte: Es geht nicht nur um erschlichene akademische Titel, sondern um den Bluff im allgemeinen. Erfolgreiche Plagiatsjäger jedenfalls sind nicht nur gut für die Wissenschaft: Sie können auch dazu beitragen, Politiker vom Schaumschlagen abzubringen.

* Der Autor war von 1980 bis 2005 Professor für Volkswirtschaftslehre in Hamburg und wurde 2005 und 2009 für Die Linke in den Bundestag gewählt.

Aus: junge Welt, 18. August 2011


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