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Geschäftige Mörder

Ukrainische Nationalgarde versucht, in Deutschland moderne Waffen zu kaufen. Berichte über Mißhandlungen, Hinrichtungen und Organhandel durch ihre Kämpfer

Von Reinhard Lauterbach *

Die ukrainische Nationalgarde ist offenbar bemüht, in Deutschland Präzisionswaffen zu kaufen. Dies geht aus einem von der regimekritischen Hackergruppe »Cyber-Berkut« veröffentlichten Schriftverkehr des Kommandos der Truppe mit der in Ulm (Baden-Württemberg) ansässigen Elektronikfirma Telefunken Racoms hervor. In einem – übrigens in grottenschlechtem Englisch abgefaßten – Schreiben bedankt sich ein Sachbearbeiter des schwäbischen Unternehmens mit Datum 24. August für die der Firma zwei Wochen vorher gebotene Möglichkeit, ihre Produkte in der Ukraine zu präsentieren. Die Erteilung der Exportgenehmigung stellt der Autor als schiere Formalität dar – obwohl die Ukraine nicht nur ein Spannungs-, sondern ein Bürgerkriegsgebiet ist, was das Auswärtige Amt durch ausdrückliche Reisewarnungen für den Donbass würdigt. »Es finden Kampfhandlungen statt«, hieß es am gestrigen Donnerstag auf der Internetseite der Behörde. Für den weiteren Schriftverkehr schlägt der Vertreter von Telefunken Racoms verschlüsselte E-Mails vor und bietet an, die Geräte in der etwa 20 Kilometer nördlich von Kiew gelegenen Ortschaft Nowi Petriwci nochmals vorzuführen. Angefragt hatte die ukrainische Seite offenbar moderne Gefechtsfeldradare und Wärmebildkameras zur Zielerfassung.

Noch ganz ohne solches modernes Gerät haben Einheiten der Nationalgarde vermutlich im Donbass an mehreren Orten Zivilisten ermordet. Entsprechende Videos veröffentlichten russische Fernsehsender und die ostukrainischen Aufständischen nach dem Abzug der Nationalgarde aus einigen vorübergehend besetzten Orten. So wurde ein Massengrab auf dem Gelände des stillgelegten Bergwerks »Kommunarka« 50 Kilometer östlich von Donezk gezeigt, in dem mindestens vier Leichen von Zivilisten lagen, darunter die Leiche einer Frau. Andere derartige Berichte sind noch drastischer: So seien mehreren Leichen, die im Hinterland von Lugansk entdeckt wurden, innere Organe entnommen worden, womöglich für den Verkauf.

Ähnliche Vorwürfe hatten ausgetauschte ostukrainische Gefangene in den vergangenen Wochen mehrfach erhoben. So berichtete der Karate-Europameister Pjotr Giljow nach seiner Freilassung, Kämpfer des »Rechten Sektors« hätten in seiner Gegenwart darüber beraten, ob sie ihn für 10000 US-Dollar Kopfgeld lebend an den Oligarchen Kolomojskij verkaufen oder ihn lieber töten und seine Organe verkaufen sollten. »Als Sportler ist er bestimmt gesund«, hätten sie argumentiert. Auch die seit Juli in Rußland wegen des Verdachts auf Beteiligung an der Tötung zweier russischer Fernsehreporter inhaftierte ukrainische Hubschrauberpilotin Nadjeschda Sawtschenko soll nach Aussage freigekommener Gefangener mutmaßliche »Separatisten« nicht nur gefoltert, sondern auch dazu aufgerufen haben, ihre Organe auszuschlachten. Sawtschenko gilt im ukrainisch-nationalistischen Lager als Heldin und ist in Abwesenheit für ein Abgeordnetenmandat der »Vaterlandspartei« von Julia Timoschenko nominiert worden.

Solche Meldungen sind naturgemäß kaum zu überprüfen, sie gewinnen aber in Verbindung mit den gezeigten Massengräbern in den von den Aufständischen zurückeroberten Regionen trotz ihres zweifellos vorhandenen Propagandaaspekts an Plausibilität. Auch andere, weniger drastische Berichte örtlicher Zeugen zeichnen von der Nationalgarde das Bild einer undisziplinierten Truppe, die nicht als Befreier, sondern als Eroberer in den Donbass gekommen ist. Ihre Kämpfer drangsalierten die Zivilbevölkerung, plünderten ihre Häuser und verübten Übergriffe gegen Frauen. Für dieses Bild gibt es eine Bestätigung von regimetreuer Seite. Schon im Juli hatte Semjon Semjontschenko, Kommandeur des nicht minder rechten, aber auf Disziplin achtenden Freiwilligenbataillons »Donbass« auf seiner Webseite bekanntgegeben, daß Kämpfer der Nationalgarde einen seiner Leute erschossen hätten, als dieser eine Frau gegen solche Übergriffe verteidigt habe.

* Aus: junge Welt, Samstag 27. September 2014

Das Buch zum Thema:

"Ein Spiel mit dem Feuer"
Im Papyrossa-Verlag ist Ende August 2014 ein Ukraine-Buch erschienen
Mit Beiträgen von Erhard Crome, Daniela Dahn, Kai Ehlers, Willi Gerns, Ulli Gellermann, Lühr Henken, Arno Klönne, Jörg Kronauer, Reinhard Lauterbach, Norman Paech, Ulrich Schneider, Eckart Spoo, Peter Strutynski, Jürgen Wagner, Susann Witt-Stahl
Informationen zum Buch (Inhalt und Einführung)




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