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Lawrow und Kerry bemühen sich um Berührungspunkte

Moskau fordert Verfassungsreform in der Ukraine, Washington setzt Vierpunkteplan dagegen

Von Irina Wolkowa, Moskau *

Vier Stunden lang haben die Außenminister Russlands und der USA, Sergej Lawrow und John Kerry, am Sonntag in Paris ihre Standpunkte zur Krise um die Ukraine ausgetauscht.

Lawrow und Kerry haben vereinbart, ihre Bemühungen um »gemeinsame Berührungspunkte« fortzusetzen. Beide Seiten rechnen mit einer baldigen Fortsetzung der Diskussionen. Weitere konkrete Beschlüsse ergab das Treffen nicht.

Lawrow wurde von der Nachrichtenagentur RIA-Nowosti zitiert, man sei sich über die Notwendigkeit einer Verfassungsreform in der Ukraine unter gleichberechtigter Beteiligung aller Regionen einig gewesen. Die Ukraine, derzeit ein Zentralstaat, müsste sich nach russischen Vorstellungen in einen Bundesstaat umwandeln. Russische Experten sehen darin die einzige Möglichkeit für eine Entschärfung der Lage und für den Erhalt der territorialen Integrität der Ukraine. Die Rechte von Minderheiten wie der russischsprachigen sollen in einer Föderation besser geschützt sein als in einem Einheitsstaat.

Skeptiker verweisen indes darauf, dass über eine Föderalisierung in der Ukraine bereits seit der Unabhängigkeitserklärung diskutiert wird. Alle bisherigen Regierungen in Kiew hätten sich jedoch vehement dagegen gewehrt. Ändern könnte das nur internationaler Druck – durch Moskau und den Westen – auf die neue Führung. Ob Moskau und Washington sich dazu aufraffen können, sei aufgrund ihres Interessenkonflikts fraglich. Während die ukrainische Agentur UNIAN Kerrys Bemerkung hervorhob, der ukrainische Entwicklungsweg werde nicht von den USA, sondern von den Ukrainern bestimmt, meldete die Moskauer Agentur Interfax, Lawrow habe Kerry darin zugestimmt, dass niemand den Ukrainern die Schemata diktieren dürfe.

Das Treffen Lawrow – Kerry, so hieß es bei Radio Echo Moskwy habe erneut klar gemacht, wie tief die Gräben derzeit sind. Zwar hat Kerry, wie russische Verhandlungsteilnehmer wissen ließen, über eine Rückgabe der Krim an die Ukraine nicht gesprochen. Sein Vierpunkteplan fordert von Moskau jedoch, seine Truppen auf die Positionen zurückzuziehen, die sie vor dem 1. März einnahmen, als Präsident Wladimir Putin sich vom Föderationsrat den Einmarsch in die Ukraine genehmigen ließ. Aus Sicht russischer Patrioten ist das inakzeptabel. Der ukrainische Militärexperte Dmitri Tymtschuk berichtete jedoch am Montag, es gebe Anzeichen für einen Teilrückzug russischer Soldaten ins Hinterland. Eine offizielle Bestätigung gab es zunächst nicht.

Schwer tut sich Russland auch mit Punkt drei aus Kerrys Forderungskatalog: direkte Verhandlungen zwischen Moskau und Kiew. Eine Großmacht verhandelt nicht mit einer Übergangsregierung, die sich an die Macht geputscht hat, wie es hier heißt, auch nicht unter Aufsicht internationaler Vermittler.

Mehr Chancen auf Einlösung hätten wohl die anderen beiden Punkte, vorausgesetzt, Washington verzichtete auf das Wort »Forderungen«. Es geht um die Tätigkeit von Beobachtern der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) auf dem gesamten Gebiet der Ukraine und auf der Krim sowie um die Anerkennung der Ergebnisse der bevorstehenden ukrainischen Präsidentenwahlen.

Wie aus diplomatischen Kreisen verlautete, will Moskau seine Kooperationsbereitschaft auch von Washingtons Verständnis für russische Besorgnisse wegen der Entwicklungen in der Moldauischen Dnjestr-Republik (Transnistrien) abhängig machen, die sich 1992 von der Republik Moldau abgespalten hatte und seither faktisch russisches Protektorat ist. Die neue Macht in Kiew habe die Freizügigkeit für deren Bewohner Transnistriens drastisch beschränkt und sich damit über frühere Transitvereinbarungen hinweggesetzt. Wiewohl die Ukraine das bestreitet, hofft Russland bei der Fortsetzung der Transnistrien-Konsultationen unter OSZE-Vermittlung in den zwei Wochen auf ein »umfassendes Herangehen an alle Aspekte der jetzigen Situation, damit man über konkrete konstruktive Schritte nach einer politischen Regelung suchen kann«.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 1. April 2014


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