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Keine Aussicht auf Besserung

Eiszeit in den Beziehungen zwischen Moskau und Kiew

Von Klaus Joachim Herrmann *

Die Beziehungen zwischen Kiew und Moskau befinden sich nahe dem Gefrierpunkt und werden dort wohl länger bleiben. Nicht einmal mehr reden will Russlands Außenminister Sergej Lawrow mit seinem ukrainischen Amtskollegen Andrej Deschtschiza. Ausgerechnet der Chefdiplomat aus Kiew hatte sich Samstag vor der russischen Botschaft in Kiew den Beifall der Meute mit einer nach jeder Übersetzung rüden Beschimpfung verdient – ob Putin nun ein »Arschloch« oder ein »Scheißkerl« sei. Der als solider Diplomat geschätzte Lawrow befand Montag trocken: »Es gibt nichts, was ich mit dieser Person noch zu besprechen hätte.«

Die wütende Menge hatte Russland eine Mitschuld für den Abschuss des ukrainischen Truppentransporters in Lugansk und den Tod von 40 Fallschirmjägern und neun Besatzungsmitgliedern zugewiesen, da es die prorussischen Kräfte im Osten des Landes unterstütze. Unklar blieb allerdings bislang, wie es zum Abschuss der Transportmaschine des russischen Typs Iljuschin 76 genau kam. »Volksmilizen« sollen nach einer ersten Variante den schweren Transporter im Landeanflug entweder mit Boden-Luft-Raketen russischer Bauart oder einem schweren Maschinengewehr, wahrscheinlich mit beidem, attackiert haben.

Unter Berufung auf einen Sprecher der Lugansker »Volkswehr« wurde von RIA/Nowosti auch die Variante verbreitet, dass die ukrainische Armee das Flugzeug selbst abgeschossen haben könne. So sei auf einem Video zu sehen, dass die Rakete, die den Jet traf, von einem Gebiet abgefeuert worden sei, das von Regierungskräften kontrolliert werde. Auf dem Flughafen selbst sei es zwischen Armeeangehörigen aus dem westlichen Lwiw und dem östlichen Dnjepropetrowsk zu einem Schusswechsel gekommen. Ein Sprecher der »Volkswehr« wird mit der Vermutung wiedergegeben, Soldaten aus Lwiw hätten »womöglich verhindern wollen«, dass ihre Gegner Verstärkung erhielten. An Bord des Flugzeuges hätten sich Fallschirmjäger aus Dnjepropetrowsk befunden.

Weitere Vorwürfe gegen Russland erhob am Nachmittag Andrej Parubi, Sekretär des Kiewer Sicherheitsrates. Nach seinen Angaben würden sich 20 000 Kämpfer im Donbass befinden. Mehr als die Hälfte stamme aus Russland, dazu gehörten Tschetschenen aus dem Kaukasus sowie Angehörige russischer Sonderdienste.

Vor der Sitzung war angekündigt worden, dass der Sicherheitsrat über die Einführung des Kriegs- oder des Ausnahmezustandes im Osten des Landes und eine Schließung der ukrainisch-russischen Grenze entscheiden wolle. Dies sei aber nicht geschehen, hieß es am Nachmittag.

Etwa zu dieser Zeit brachten prorussische Separatisten die Filiale der Zentralbank in Donezk unter ihre Kontrolle. Sie wollten damit jeglichen Geldfluss aus der krisengeschüttelten Region an die Zentralmacht in Kiew unterbinden, sagte ihr Anführer Andrej Purgin.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 17. Juni 2014


Nervenkrieg

Gasstreit Ukraine-Rußland

Von Jörg Kronauer **


Der Hahn ist zu: Um zehn Uhr Moskauer Zeit hat Gasprom am Montag seine Erdgaslieferungen an die Ukraine gestoppt. Auf 4,458 Milliarden US-Dollar beläuft sich der Betrag inzwischen, den Kiew dem russischen Konzern schuldet. Und dabei ist das Gas, das die Ukraine in der ersten Junihälfte aus Rußland erhalten hat, noch gar nicht eingerechnet. Weil immer noch keine Einigung über den künftigen Gaspreis erzielt werden konnte, liefert Gasprom erstmal nur auf Vorkasse – und das heißt: Solange Kiew nicht blecht, erhält es nichts.

Zur Erinnerung: Der aktuelle Erdgaspreis von 485 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter, den Kiew für unangemessen hält, ist 2009 von der damaligen Ministerpräsidentin Julia Timoschenko ausgehandelt worden. Der Deal hat ihr zu Janukowitschs Zeiten tatsächlich einen Prozeß und eine Verurteilung zu einer mehrjährigen Haftstrafe eingebracht. Gegen das Urteil allerdings haben die jetzt in Kiew herrschenden Kräfte und der Westen damals empört protestiert; Timoschenkos Deal anerkennen wollen sie heute freilich ebenfalls nicht. Daß die Ukraine eine Zeitlang einen deutlich niedrigeren Gaspreis bezahlen mußte, verdankte sie Janukowitsch und seiner Kooperation mit Moskau. Mit dem Umsturz hat sich Kiew zwar von Rußland abgewandt, will die Rabatte aber dennoch genießen. Selbst das letzte Angebot des russischen Energieministers Alexander Nowak, einen neuen Rabatt von 100 Dollar pro 1000 Kubikmeter zu gewähren, wenn die Ukraine nur umgehend ihre Schulden begleiche, hat Kiew abgelehnt. Dabei wäre ihr damit trotz aller Spannungen derselbe Preis zugestanden worden, den auch Deutschland bezahlt.

Und nun? Kiew verlangt, die EU solle die Kohlen aus dem Feuer holen und durch die Blockade des Pipeline-Projekts »South Stream« Moskau zum Einlenken zwingen. EU-Energiekommissar Günther Oettinger ist dem Ansinnen zumindest vorläufig nicht abgeneigt. Die entscheidende Frage wird freilich sein, wer länger verzichten kann – die Ukraine auf russisches Gas oder Rußland auf ukrainische Zahlungen. Kiew bezog zuletzt immerhin gut die Hälfte seines Erdgas-Jahresbedarfs aus Rußland. Kurzfristig läßt sich das durch Fracking und durch Lieferungen aus dem Westen kaum ersetzen. Rußland muß seinerseits die Verluste abwägen: RIA Novosti zufolge gingen immerhin 11,9 Prozent seiner Erdgaslieferungen ins Ausland an die Ukraine; für einen Staat, der seinen Etat zu mehr als der Hälfte aus dem Verkauf von Rohstoffen finanziert, ist das eine Menge Holz. Möglicherweise wird’s auch für die EU ärgerlich: Mehr als 50 Prozent des Erdgases, das sie aus Rußland bezieht, kommt – trotz »Nord Stream« – immer noch durch die Pipelines der Ukraine, die bislang, wenn es eng wurde, stets klammheimlich etwas von dem Transitvolumen für sich abgezweigt hat. Ob die neuen Lieblingsdemokraten der EU der Versuchung diesmal widerstehen können? Das Konfliktpotential ist beträchtlich – auf allen Seiten.

** Aus: junge Welt, Dienstag, 17. Juni 2014


Kiew bleibt auf Eskalationskurs

Ukraine zahlt Rechnungen nicht: Rußland will Energieträger jetzt nur noch gegen Vorkasse abgeben ***

Die Regierung in Kiew hat den Streit um die Bezahlung von bereits geliefertem Erdgas aus Rußland verschärft: Das russische Staatsunternehmen Gasprom stellte am Montag die Lieferungen ein. Bevor die Ukraine ihre Rechnungen nicht bezahlt habe, werde sie nur noch gegen Vorkasse beliefert. In Westeuropa schürten Medienberichte zugleich Befürchtungen vor Versorgungsengpässen – Gas- und Strompreise zogen an den Börsen kräftig an.

Der bislang als Vermittler auftretende EU-Energiekommissar Günther Oettinger wolle den Gesprächsfaden nicht abreißen zu lassen, hieß es aus Brüssel. Oettinger wolle noch diesen Monat weiterverhandeln.

Gasprom hatte den Verantwortlichen der Ukraine eine Frist bis Montag früh gesetzt, um Verbindlichkeiten von mindestens 1,95 Milliarden US-Dollar (1,44 Milliarden Euro) zu begleichen. Insgesamt sitzt das Lieferunternehmen russischen Angaben zufolge auf mehr als vier Milliarden Dollar unbezahlter Rechnungen aus der Ukraine. Doch Kiew beharrt darauf, erst zu bezahlen, wenn Klarheit über den künftigen Preis besteht.

Die Vertreter der Putschistenregierung setzten damit ihren Eskalationskurs fort. Den hatte die EU bislang nach Kräften unterstützt (z.B. mit dem Baustopp für die russische Gasleitung »South Stream« in Bulgarien. In Kiew warf »Regierungschef« Arseni Jazenjuk Rußland vor, die Lösung des Konflikts absichtlich bis zum Winter zu verzögern. Es ginge »nicht um Gas, es geht um den generellen Plan Rußlands, die Ukraine zu zerstören«, sagte er.

Gasprom-Chef Alexej Miller verwies deshalb auf »nicht unwesentliche« Risiken für die Transitlieferungen. Deutschland und andere EU-Staaten decken ein Drittel ihres Bedarfs mit russischem Gas. Die Hälfte davon fließt durch ukrainische Pipelines. Die Ukraine versicherte indes, sie werde – anders als beim vorherigen Streit – kein Transitgas für sich abzweigen.

*** Aus: junge Welt, Dienstag, 17. Juni 2014


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