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OSZE fordert Waffenruhe

Kiew soll im Donbass Brandbomben eingesetzt haben *

Viele Ukrainer flüchten vor Gefechten im Donbass nach Russland. Der OSZE-Generalsekretär forderte eine Waffenruhe. Kiew wird verdächtigt, geächtete Brandbomben einzusetzen.

Im blutigen Ukraine-Konflikt hat OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier alle Seiten zu einer sofortigen Waffenruhe aufgerufen. »Kämpfe müssen beendet und Verhandlungen begonnen werden«, sagte Zannier am Donnerstag beim Besuch von Flüchtlingen aus dem Nachbarland nahe der russischen Stadt Rostow. Er sprach sich für einen Runden Tisch in der Ukraine mit Vertretern aller Seiten aus, auch der Separatisten.

Zuvor hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko erneut Gespräche mit den militanten Protestführern im Osten des Landes nicht ausgeschlossen. »Die Terroristen müssen aber ihre Waffen niederlegen«, hatte er als Bedingung genannt.

Ukrainische Truppen sollen nach Angaben aus Moskau mit international geächteten Waffen gegen die Separatisten im Osten des Landes vorgehen. Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte eine Untersuchung des mutmaßlichen Einsatzes von Brandbomben. Russland wiederholte Forderungen nach einem Fluchtkorridor in der ehemaligen Sowjetrepublik. Zu einem Manöver in die Ostsee-Enklave Kaliningrad entsandte Moskau Kampfflugzeuge und Langstreckenbomber.

Angesichts der angespannten Sicherheitslage stellte das polnische Konsulat in Donezk vorübergehend seine Arbeit ein. Alle Polen sollen das Gebiet umgehend verlassen. Das Konsulat war die letzte noch geöffnete diplomatische Vertretung eines EU-Staates in der umkämpften ostukrainischen Bergbauregion.

* Aus: neues deutschland, Freitag 13. Juni 2014


Brandbomben auf Slawjansk?

Ukrainische Armee erobert Mariupol / Noch immer keine Fluchtkorridore für Zivilisten Von Ulrich Heyden, Moskau **

Videos von Brandbomben über einem Vorort von Slawjansk nähren einen grausigen Verdacht. Die Nationalgarde dementiert heftig.

Die Aufständischen, die sich vor der ostukrainischen Stadt Slawjansk seit Wochen heftige Gefechte mit der Nationalgarde liefern, beschuldigen ihre Gegner, dass über dem Dorf Semjonowka – einem Vorort von Slawjansk – Brandbomben eingesetzt wurden. Die ukrainische Nationalgarde wies den Vorwurf in einer auf ihrer Website veröffentlichten Erklärung zurück. Man habe »Phosphorbomben nie besessen«.

Verschiedene Videoaufnahmen, die den Bombeneinsatz belegen sollen, sind seit Donnerstag im Internet zu sehen. Der russische Fernsehkanal Perwy sendete inzwischen auch Aufnahmen von einem Brandbombenabwurf zur Tageszeit. Zu sehen sind auch die für die Region typischen Plattenbauten. Trotzdem behauptet die ukrainische Website Stopfake.org, dass es sich um eine Fälschung handelt. Die Aufnahmen stammten angeblich aus dem Irak-Krieg, wo US-amerikanische Streitkräfte im November 2004 bei Falludscha Phosphorbomben einsetzten. Der russische Außenminister Sergej Lawrow forderte, die OSZE müsse die Vorwürfe untersuchen.

In der ostukrainischen Stadt Mariupol erzielte die ukrainische Armee nach schweren Kämpfen, die Tote und Verletzte forderten, einen militärischen Erfolg. Ukrainische Einheiten stürmten die Straßensperren der Regierungsgegner. Eingesetzt wurden dabei Granatwerfer und gepanzerte Fahrzeuge. Die Stadt sei nun unter vollständiger Kontrolle der ukrainischen Streitkräfte, erklärte ein Sprecher des Innenministers in Kiew.

Angespannt bleibt die Situation in der Großstadt Donezk. In der Nacht zu Freitag wurde hier ein Bombenanschlag auf den Kleinbus des Vorsitzenden der »Volksrepublik Donezk« (DNR), Denis Puschilin, verübt. Drei Menschen starben, fünf wurden verletzt. Puschilin befand sich zum Zeitpunkt des Anschlages an einem anderen Ort. Es ist bereits der zweite Anschlag, den der DNR-Vorsitzende überlebt. Beim ersten Angriff starb einer seiner Berater.

Keinen leichten Stand hatte am Donnerstag der OSZE-Generalsekretär Lamberto Zannier. Der Italiener warb in einem Flüchtlingslager im südrussischen Gebiet Rostow vor etwa 100 Flüchtlingsfrauen aus der Ostukraine für die Einrichtung eines runden Tisches und erklärte, der ukrainische Präsident Petro Poroschenko wolle eine »blühende Ukraine«. Die Frauen reagierten wütend und verzweifelt. Eine Frau schrie, Poroschenko sei ein Mörder und für den Tod von Kindern verantwortlich.

Die vom Präsidenten schon mehrmals versprochenen Hilfskorridore für die Zivilbevölkerung gibt es immer noch nicht. Die Flucht nach Russland ist sehr gefährlich. So wurden zwei Busse mit Flüchtlingskindern drei Kilometer vor Slawjansk beim Dorf Rajgorodok von Unbekannten beschossen. Drei Menschen seien verletzt worden, berichtete die russische Agentur RIA/Novosti.

Der ukrainische Verteidigungsminister Michail Kowal gab bekannt, dass man im Südosten des Landes auch gegenüber Frauen »spezielle Filtrationsmaßnahmen« ergreifen wolle. Es solle herausgefunden werden, wer mit Separatisten Kontakt habe.

Ein »Infrastrukturprojekt«, das von der ukrainischen Industrie verwirklicht werden könne, pries der Gouverneur von Dnjepropetrowsk und Besitzer der »Privatbank«, Igor Kolomoiski. Der Oligarch will an der russischen Grenze einen fast 2000 Kilometer langen Zaun aus Stahl und Stacheldraht bauen lassen. Dem Präsidenten sei übermittelt worden, man solle dort Gräben ausheben und ferngesteuerte Minen verlegen.

** Aus: neues deutschland, Samstag 14. Juni 2014


Kiews Truppen im Vormarsch

Erbitterte Kämpfe in Ostukraine. »Untersuchungslager« angekündigt

Von Arnold Schölzel ***


Bei schweren Gefechten in der Ostukraine eroberten Truppen Kiews nach eigenen Angaben am Freitag die 500000-Einwohner-Stadt Mariupol (Foto: Die Geste gilt Einwohnern am Straßenrand). Die Einheiten setzten demnach Granatwerfer und gepanzerte Fahrzeuge ein. Mindestens fünf Aufständische seien getötet und vier Soldaten verletzt worden, erklärte Innenminister Arseni Awakow, der eigenhändig auf dem Rathaus die ukrainische Flagge hißte. Auf einem im Internet verbreiteten Video war zu hören, daß unter den Eroberern auch Englisch gesprochen wird. Bei Kämpfen im Gebiet Donezk erlitten die Widerstandskämpfer laut Mitteilungen des Verteidigungsministeriums bedeutende Verluste. So seien bei Stepanowka am Vortag mehr als 40 Aufständische getötet worden. Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko erklärte: »Der heldenhafte Kampf der ukrainischen Armee hat die Lage in Mariupol stabilisiert.« Am Mittwoch hatte der Verteidigungsminister Kiews, Michail Kowal, in einem privaten Fernsehsender, Poroschenkos Kanal 5, angekündigt, man werde nach der »Befreiung« für Einwohner der Ostukraine Lager für »Überprüfung« (Filtration) und Umsiedlung einrichten.

An der Grenze zu Rußland brachten ukrainische Grenztruppen nach eigenen Angaben einen rund 120 Kilometer langen Gebietsstreifen, den sie aufgegeben hatten, unter ihre Kontrolle. Die Rebellen beherrschen demnach aber weiterhin 184 Kilometer. Der von Kiew als Gouverneur von Dnipropetrowsk eingesetzte Milliardär Igor Kolomoiski schlug den Bau eines 1920 Kilometer langen Elektrozauns mit Stacheldraht und Minen an der Grenze vor. Poroschenko hatte sich am Vortag bei einem Telefonat mit seinem Amtskollegen Wladimir Putin über das angebliche Eindringen russischer Panzer auf ukrainisches Staatsgebiet beschwert. NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen äußerte sich prompt »besorgt« über diese Meldungen. Er sagte in Brüssel: »Wenn sich diese Berichte bestätigen, würde das eine ernste Eskalation der Krise in der Ostukraine bedeuten.« Laut dpa verwiesen Beobachter darauf, daß es sich um erbeutete Panzer aus ukrainischen Beständen handeln könnte.

Im Gaspreiskonflikt zwischen Rußland und der Ukraine zeichnete sich keine Annäherung ab. Am Montag läuft eine russische Frist für die Begleichung offener Rechnungen der Ukraine ab. Rußland hat der Ukraine einen Preis von 385 US-Dollar pro 1000 Kubikmeter statt bisher 485 Dollar vorgeschlagen, Kiew pocht dagegen auf einen Sonderpreis von 268,50 Dollar.

Bei einer Gasexplosion in einem Kohlebergwerk in der Ukraine kamen am Donnerstag mindestens neun Arbeiter ums Leben. Die Explosion ereignete sich in einer Grube in der ostukrainischen Stadt Kirowsk in rund 300 Metern Tiefe, wie die Behörden am Freitag mitteilten.

*** Aus: junge Welt, Samstag 14. Juni 2014


Direkter Dialog Moskau-Kiew

Gazprom will Geld sehen

Im Gasstreit könnten Russland und die Ukraine Verhandlungen am Sonnabend fortsetzen, sagte EU-Energiekommissar Günther Oettinger am Freitag. »Wir warten auf unser Geld«, wiederholte derweil Olga Golant vom Energieministerium in Moskau, das die Gespräche offenbar bis zum Ablauf des Ultimatums am Montag aussetzen will. Gefordert wird die Begleichung von Schulden in Milliardenhöhe.

Der ukrainische Präsident Petro Poroschenko informierte am Vortag seinen russischen Amtskollegen Wladimir Putin telefonisch über Pläne zur Lösung des Konflikts im Osten der Ukraine. Er beschwerte sich zugleich über das angebliche Eindringen dreier russischer Panzer. Auch NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen und die Bundesregierung zeigten sich »besorgt« darüber, dass Separatisten in der Ukraine über Waffen und Panzer aus Russland verfügen sollen. »Wir haben Berichte gesehen, dass russische Panzer und bewaffnete Fahrzeuge die Grenze zum Osten der Ukraine überschritten haben könnten«, erklärte Rasmussen in Brüssel. »Wenn sich diese Berichte bestätigen, würde das eine ernste Eskalation der Krise in der Ostukraine bedeuten.« Regierungssprecher Steffen Seibert bewertete allerdings positiv die Fortsetzung des russischen Truppenabzugs von der ukrainischen Grenze, die Planung »humanitärer Korridore« für Hilfstransporte in die Ostukraine und die Ankündigung Moskaus, die Grenze besser kontrollieren zu wollen.

Russland brachte erneut einen Resolutionsentwurf für einen Waffenstillstand im UN-Sicherheitsrat ein.

(nd, 14.06.2014)




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