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Handschlag zwischen Putin und Poroschenko

Präsidenten aus Moskau und Kiew im Dialog / Ukrainische Neuwahlen am 26. Oktober zur "Säuberung"

Von Klaus Joachim Herrmann *

Friedensbekundungen kamen am Dienstag aus Minsk. Doch der Krieg in der Ukraine ging weiter.

Der Ukraine-Konflikt könne nicht durch eine weitere Eskalation der Gewalt und ohne Berücksichtigung der Lebensinteressen der südöstlichen Regionen gelöst werden, sagte Russlands Präsidenten Wladimir Putin bei einem Gipfel der Eurasischen Zollunion von Russland, Belarus und Kasachstan am Dienstag in Minsk. An dem Treffen nahmen auch sein ukrainischer Amtskollege Petro Poroschenko und die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton teil. »In Minsk entscheidet sich das Schicksal der Welt und Europas«, sagte Poroschenko. Ziel der Gespräche sei es, das Blutvergießen in seinem Land zu beenden und einen politischen Kompromiss zu suchen.

Der Verlust der Partnerschaft mit der Zollunion in Industrie, Landwirtschaft, Finanzsektor und Verkehr sowie die Anpassung an die EU-Standards würden die Ukraine »Milliarden von Euro« kosten, erklärte Putin. Nach dem geplanten Wegfall der Zölle im Handel mit der EU würden europäische Waren auf den ukrainischen Markt strömen und »weniger konkurrenzfähige ukrainische Produkte auf den Markt der Zollunion, größtenteils auf den russischen Markt verdrängen«. Hinzu komme die Gefahr des illegalen Reexports von EU-Waren. Russland wäre laut Putin gezwungen, Gegenmaßnahmen zu ergreifen.

Der ukrainische Präsident hatte am Vorabend des Krisengipfels das Parlament aufgelöst und Neuwahlen für den 26. Oktober angesetzt. »Die vorgezogenen Parlamentswahlen sind Teil meines Friedensplanes«, sagte er und sprach zugleich von Wahlen als dem »besten Mittel einer Säuberung«. Nicht wenige Abgeordnete seien, »wenn nicht direkt Förderer und Handlanger, dann Anhänger der separatistischen Kämpfer«. Ein Vorwurf, der den vom Verbot bedrohten Kommunisten sowie der früheren Regierungspartei der Regionen gilt.

Die Chefin der Vaterlandspartei Julia Timoschenko reagierte am schnellsten auf die Neuwahlen. Sie könnten ihre politische Rückkehr bedeuten. So beschwor die frühere Premierministerin die Einheit ihrer politischen Mannschaft und stellte Koalitionen mit pro-westeuropäischen Parteien in Aussicht. Premier Arseni Jazenjuk solle auch nach den Wahlen die Regierung führen.

Armee und Aufständische berichteten von Hunderten Toten in nur 24 Stunden. Es wurden heftige Kämpfe und auch die Gefangennahme von zehn russischen Fallschirmjägern berichtet. Demnach wurden die Soldaten Montagabend rund 25 Kilometer von der russischen Grenze und 50 Kilometer südöstlich von Donezk gefangen genommen. Aus dem Verteidigungsministerium in Moskau hieß es, die Männer gehörten zu einer Patrouille, die die Grenze »höchstwahrscheinlich aus Versehen« überquert habe.

Die Nationale Sicherheitsberaterin der USA, Susan Rice, warf Russland eine »deutliche Eskalation« in der Ukraine-Krise vor. »Das wiederholte russische Vordringen in die Ukraine ist inakzeptabel, gefährlich und aufrührerisch«, erklärte Rice.

Aus der Küstenstadt Nowoasowsk berichteten Reporter von Explosionen und Rauch über den Vororten nahe der russischen Grenze. Nach Donezk und Lugansk droht mit Mariupol auch die zweitgrößte Stadt des Donezker Gebietes wieder in die Kämpfe zu geraten. Wie RIA/Nowosti unter Berufung auf Bürger der Stadt am Asowschen Meer berichtete, würden Schutzbunker eingerichtet. Viele Mariupoler wollten ihre Stadt in Richtung Osten verlassen. Die Behörde sei nach Dnjepropetrowsk verlegt worden.

* Aus: neues deutschland, Mittwoch 27. August 2014


Vorstoß der Rebellen

Ukraine: Aufständische stoßen nach Süden vor. Kiew antwortet mit Medienkampagne

Von Reinhard Lauterbach **


Im Zusammenhang mit den Kämpfen im Donbass hat die ukrainische Regierung ihre Vorwürfe gegen Rußland verschärft. Der Sprecher des Nationalen Sicherheitsrates in Kiew, Andrej Lissenko, erklärte, erstmals hätten russische Kampfhubschrauber ukrainische Grenzposten im Osten des Landes angegriffen. Die Orte, an denen die Angriffe stattgefunden haben sollen, nannte er jedoch nicht. Ein Großteil der Grenze wird ohnehin von den Aufständischen kontrolliert. Parallel dazu präsentierten die ukrainischen Behörden Videos mit Soldaten einer russischen Fallschirmjägerdivision, die im Süden des Donbass festgenommen wurden. Darin erklären die Soldaten, ihnen sei erklärt worden, sie führen ins Manöver. Erst bei ihrer Festnahme sei ihnen klar geworden, wo sie seien. Das russische Verteidigungsministerium bestätigte den Vorfall indirekt und erklärte, die Soldaten hätten sich bei der Kontrolle der Grenze im Gelände verirrt. Ein ukrainischer Sprecher erwiderte, von einer Elitetruppe solle man erwarten dürfen, daß sie Karten lesen könne.

Der US-Botschafter in Kiew twitterte von einem »zielgerichteten Gegenangriff« Rußlands. Eine Sprecherin des US-Außenministeriums sprach dagegen nur von Sorge über anhaltende russische Waffenlieferungen an die Aufständischen und äußerte Zweifel am Charakter des bevorstehenden zweiten Hilfskonvois aus Rußland.

Die Medienkampagne soll vermutlich davon ablenken, daß die Lage für die Kiewer Truppen im Donbass schlecht ist. Die Aufständischen greifen in mehreren Richtungen an. Die Kiewer Armeeführung bestätigte den Vorstoß der Rebellen auf Nowoasowsk an der Küste zum Schwarzen Meer indirekt durch Meldungen über heldenhafte Abwehrkämpfe am Rande der etwa 120 Kilometer südlich von Donezk liegenden Stadt. Bei Ilowajsk sind offenbar erneut mehrere Bataillone der Armee und der rechten Milizen von Aufständischen eingekesselt worden. Der mit Verletzungen im Lazarett liegende Semjon Semjontschenko, Kommandeur des Bataillons »Donbass«, riet seinen Leuten per Facebook davon ab, sich zurückzuziehen: Auf offener Straße seien sie leichter anzugreifen als in befestigten Stellungen. Er berichtete über Panik und Auflösungserscheinungen bei der Armee und forderte Präsident Poroschenko ultimativ auf, Verstärkungen zu schicken.

Poroschenko traf am Dienstag in Minsk am Rande eines Treffens zwischen EU und Eurasischer Zollunion mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin zusammen. Ob mehr als der obligatorische Händedruck dabei herauskam, war bis Redaktionsschluß nicht klar. Am Vortag hatte Poroschenko erwartungsgemäß das Parlament aufgelöst und so den Weg für Neuwahlen in der Ukraine freigemacht. Sie sollen vermutlich am 26. Oktober stattfinden. Bereits in der kommenden Woche findet in Kiew eine weitere Gerichtsanhörung über das von der Regierung angestrebte Verbot der Kommunistischen Partei der Ukraine statt.

** Aus: junge Welt, Mittwoch 27. August 2014


Schicksalstreffen

Klaus Joachim Herrmann über den Minsker Gipfel zur Ukraine-Krise ***

Der Händedruck zwischen Putin und Poroschenko wurde dokumentiert. Sonst hätte man daran nicht glauben mögen. Vier Präsidenten und hochrangige EU-Vertreter trafen sich in Minsk zu Gesprächen über die Lösung der ukrainischen Krise, die längst eine europäische ist. Doch nichts deutete im Umfeld auf Entspannung. Kalter, heißer und Propagandakrieg wurden ungehemmt fortgesetzt. Städte blieben belagert und beschossen, Gefechte zwischen Zentralmacht und Separatisten blutig und erbittert.

»Versehentlich« gerieten russische Fallschirmjäger in die Ukraine und wurden festgesetzt. Im Zeichen der nordatlantischen »Solidarität« stationierte Kanada vier Jagdflugzeuge in Litauen. Die Ankündigung eines zweiten Hilfskonvois aus Moskau und die Kiewer Ansetzung von Neuwahlen als »Säuberung« klingen nicht nur provokant. Jeder dieser Vorgänge wäre schon allein eine Krise wert.

Doch bekundete Poroschenko Willen zum Frieden und Putin, dass der Konflikt nicht mit Gewalt zu lösen sei. Ein »Schicksalstreffen« wurde beschworen und könnte es werden. Aber erst dann, wenn angekündigte Bereitschaft auch über die direkten Gegner hinaus wirklich zu Lösungen führt. Im Juni verhießen beide Präsidenten ohne Wirkung das Ende des Blutvergießens. Schicksalstreffen gibt es aber nicht im Dutzend.

*** Aus: neues deutschland, Mittwoch 27. August 2014 (Kommentar)


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