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Das Echo des Maidan

Ist die tolerante Haltung vieler Linker gegenüber Russland heuchlerisch?

Von Tobias Riegel *

Die russische Regierung agiert auf der Krim – wohl unter Bruch des Völkerrechts und Verletzung der ukrainischen Verfassung – als Imperialist. Wären angesichts solchen Großmachtstrebens Linke nicht aufgerufen, Russland und Putin in aller Schärfe zu verurteilen, wie dies weite Teile der westlichen Medien und Politik tun? Ist es nicht heuchlerisch, in den Fällen Kosovo, Afghanistan, Irak oder bei Drohnenangriffen die moralische Keule gegen USA und EU zu schwingen, Russland nun aber übermäßige Toleranz entgegenzubringen? Und wie winden sich Linke beim Thema Ukraine eigentlich aus der Zwickmühle, nicht nur einen »Volksaufstand« zu kritisieren, sondern zudem die Intervention in einen souveränen Staat zu rechtfertigen?

Für Putin war es ein leichtes, die zweifellos vorhandene Sorge der russischstämmigen Bevölkerungsteile der Krim um ihre Sicherheit propagandistisch auszunutzen. Auch der historische Kampf gegen den Faschismus mag eine gute Losung zur Mobilisierung gewesen sein – ebenso wie auf der anderen Seite die Krokodilstränen, die die EU nun für die Krimtataren vergießt. Doch so, wie es der EU tatsächlich um Absatzmärkte und Privatisierungen statt um »Freiheit« oder »Wertegemeinschaften« geht, kämpft Russland um den Schwarzmeerhafen und um das Signal, dass die Ukraine nicht ohne Weiteres der NATO zur Verfügung steht.

Die Vorgänge auf der Krim sind ohne Einbeziehung des kurz zuvor vollzogenen Putsches in Kiew nicht zu beurteilen. Entscheidend ist, ob man die Ukraine momentan als souveränen Staat betrachtet. Angesichts des gewaltsamen Umsturzes, der offensichtlichen, milliardenschweren Einmischung von EU und USA, angesichts der dem Finanzkollaps geschuldeten Unfähigkeit, selbstbestimmte Entscheidungen zu treffen, kann man das durchaus verneinen – und somit eher der russischen Interpretation folgen.

Das drohende Vorrücken der NATO an die Landesgrenze und den Verlust des Schwarzmeerhafens im Hinterkopf, kann man Russland im Falle der Ukraine also eher die Notwendigkeit der Selbstverteidigung zubilligen als der EU und den USA bei all ihren Interventionen in den letzten Jahrzehnten. Das spricht das Vorgehen auf der Krim nicht von Widersprüchen frei, relativiert diese aber erheblich.

Auch ist Russland seit Beginn des Ukraine-Konfliktes im vergangenen Herbst bis zum Sturz Janukowitschs nicht als Aggressor in Erscheinung getreten. EU und USA dagegen haben monatelang destruktiv und unverhohlen in der Ukraine interveniert. Das führte zum illegitimen Sturz des Präsidenten, was eine irritierend offensichtliche Geringschätzung für demokratische Verfahren seitens EU und USA offenbarte. Angesichts dieser Offenbarung hat Russland gehandelt. Vielleicht zu schnell, harsch und eindeutig – aber keineswegs unbegründet.

Je weiter der Umsturz zurückliegt, umso ungerechtfertigter erscheint er. Die Bürger auf dem Maidan mögen guten Glaubens gewesen sein, sie repräsentierten jedoch nicht ansatzweise eine Mehrheit. In der Ukraine hätten im nächsten Jahr Wahlen angestanden. Wenn der Maidan demokratisch gewesen wäre, hätte ein Parteienbündnis seine Ziele formuliert und hätte sich mit diesen der Abstimmung gestellt.

Der Umsturz ist auch nicht nur wegen der unzweifelhaften Beteiligung einer rechtsextremen Minderheit illegal. Selbst ohne den »Rechten Sektor« bliebe es ein zutiefst undemokratischer und offensichtlich durch Wirtschaftsinteressen motivierter Coup. Durch den Putsch wurde kein Genozid verhindert, keine Landreform erkämpft, kein himmelschreiendes Unrecht abgestellt. Hier hat eine Mafia der anderen den Staffelstab entwunden. Der Vorwurf der exzessiven Korruption, den man zunächst jeder Regierung machen kann, ist bislang nicht gerichtsfest belegt, die Verantwortung für die Todesschüsse des Maidan ist ebenso ungeklärt.

Welche Anschuldigungen gegen Janukowitsch einer echten Prüfung standhalten werden, bleibt also abzuwarten. In einem Fall aber hat sich der Präsident als verantwortungsvoller Staatsmann erwiesen – als er das EU-Abkommen ablehnte. Denn die offensichtlich interessante strategische Lage der Ukraine ist für das Land nicht nur ein Fluch, sie führt auch dazu, dass verschiedene Mächte um sie pokern. Genau das hat Janukowitsch, im Sinne seiner Bürger, ausgenutzt: Er hat (im Auftrag von Wählern und Verfassung) von den beiden Angeboten das bessere angenommen. Denn die russische Offerte beinhaltete Zahlungsfähigkeit, ohne dafür die Souveränität an den IWF abgeben zu müssen, ohne Rentenkürzung und ohne extreme Verteuerung der Energiepreise.

Dass sich nun eine dazu eindeutig nicht berechtigte Übergangsregierung anschickt, das Land auf Jahrzehnte dem IWF und seinem Privatisierungszwang auszuliefern, ist ein wenig thematisierter Skandal.

Hätte Janukowitsch aber (zum Nachteil der Ukrainer) das EU-Abkommen unterzeichnet – er wäre noch im Amt, hätte seine Konten, und kein europäischer Politiker, keine millionenschwere »Menschenrechts«-NGO würde ihm wegen seiner »Verbrechen« ans Leder wollen. Allein dieses Szenario macht die Verlogenheit der Vorgänge in der Ukraine und der EU-Menschrechtsposition überdeutlich.

Man darf mit Außenminister Steinmeier nicht zu hart ins Gericht gehen, muss er doch Russland verurteilen – kraft seines Amtes und angesichts einer dreist eindeutigen Sichtweise der USA, von der sich ein deutscher Außenminister nicht einfach freimachen kann. Die Linke und auch die Linkspartei, die sich langsam aus der Deckung wagt, haben solche Verpflichtungen jedoch nicht. Die Grünen wären in ihrem Urteil ebenfalls freier als die Bundesregierung, sehen sich aber einer bemerkenswert unkritischen, ja leidenschaftlichen Unterstützung des Putsches von Kiew inklusive der ihm folgenden weltweiten Blockkonfrontation verpflichtet.

Ist die linke Position zur Krim also heuchlerisch? Jein. Denn man kann die Entwicklung, die zu dem harten russischen Handeln geführt hat, nicht ignorieren. Die Alternative wäre die Einreihung in einen irrwitzigen antirussischen Mainstream, der zudem von erheblich hochkarätigeren Völkerrechtsbrechern angeführt wird.

Da westliche Politiker und Leitmedien etwa den opferreichen Bombenkrieg gegen Jugoslawien und die Abspaltung Kosovos zu weiten Teilen gebilligt haben, ist ihre jetzige Position der feurigen Verdammung der friedlich verlaufenen Krim-Abspaltung alles andere als stimmig. Was wiederum den Gegenstandpunkt nicht von Widersprüchen entlastet. Eine völlig unangreifbare Position ist momentan einfach nicht im Angebot.

* Aus: neues deutschland, Dienstag, 18. März 2014


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