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"Russland setzt auf Ablenkung, Irreführung und Destabilisierung"

Rede des US-Außenministers John Kerry zur Lage in der Ukraine - eine Woche nach Genf (Im Wortlaut)


Im Folgenden dokumentieren wir die gekürzte Fassung der Rede, die US-Außenminister Kerry am 24. April 2014 zur Umsetzung des Genfer Abkommens gehalten hat. Die Übersetzung besorgte der Amerika Dienst.

Die Umsetzung des Genfer Abkommens

Rede Außenminister Kerrys

Es ist nun eine Woche her, dass die Vereinigten Staaten, die Europäische Union, Russland und die Ukraine in Genf zusammengekommen sind. [...] Die Ziele in Genf waren klar: Verbesserung der Sicherheitslage und politische Lösungen für den Konflikt, der die Souveränität und Einheit der Ukraine gefährdet. In Genf haben die Hohe Vertreterin der EU Catherine Ashton und ich bereits betont, dass sowohl Russland als auch die Ukraine mehr zeigen müssen als nur gute Absichten. Wir unterstrichen, dass konkrete Schritte notwendig seien, um ihren Verpflichtungen nachzukommen.

Fakt ist: Man kann eine Krise nicht lösen, wenn nur eine Seite bereit ist, die Maßnahmen zu ergreifen, die notwendig sind, um eine Konfrontation zu vermeiden. [...]

Eine Woche später ist klar, dass nur eine Seite und nur ein Land Wort hält. Jeder, der aus Schwarz Grauzonen machen willen oder im Kleingedruckten plump nach Wegen sucht, um plumpes Handeln zu rechtfertigen, sollte der Wahrheit ins Auge sehen: das Genfer Abkommen ist eindeutig. [...]

Wir haben uns darauf geeinigt, dass alle Seiten auf Gewalt, Einschüchterung und Provokationen verzichten würden. Wir haben uns darauf geeinigt, dass illegale Gruppierungen ihre Waffen niederlegen und dass sie eine Amnestie erhalten würden und dafür öffentliche Gebäude und andere besetzte Räume zurückgeben würden. [...

[...] Vom ersten Tag an hat Premierminister Jazenjuk Wort gehalten. [...] Er hat den Anti-Terror-Einsatz der Ukraine über Ostern ausgesetzt und sich für die Deeskalation entschieden, und dies trotz des legitimen, grundlegenden Rechts der Ukraine auf Landesverteidigung und den Schutz der eigenen Bevölkerung. Vom ersten Tag an hat die ukrainische Regierung im Einklang mit dem Abkommen hochrangige Vertreter entsandt, um sie gemeinsam mit der OSZE in die Regionen zu schicken, wo Russland besonders große Sorgen um die Sicherheit der russischsprachigen Bevölkerung und ethnischer Russen geäußert hat. Gleich am ersten Tag hat Premierminister Jazenjuk live im Fernsehen allen Ukrainerinnen und Ukrainern zugesagt, dass seine Regierung – und dies sind seine eigenen Worte – sich verpflichtet, umfassende Verfassungsreformen durchzuführen, die die Kompetenzen der Regionen erweitern werden. [...]

Er hat sich zudem persönlich an die russischsprachigen Ukrainer gewandt und versprochen – und auch hier zitiere ich ihn wieder – sich für einen Sonderstatus der russischen Sprache und den Schutz der Sprache einzusetzen. Im Einklang mit den Genfer Zusagen hat Premierminister Jazenjuk öffentlich Amnestiegesetze verkündigt – und auch dies sind wieder seine Worte – für alle, die die Waffen niederlegen, die besetzen Gebäude verlassen und damit beginnen, gemeinsam mit dem ukrainischen Volk eine souveräne, unabhängige Ukraine zu gestalten. [...]

Die Welt ist zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass Premierminister Jazenjuk und die Regierung der Ukraine guten Willen zeigen. Bedauerlicherweise ist die Welt außerdem zu Recht zu dem Schluss gekommen, dass Russland auf Ablenkung, Irreführung und Destabilisierung setzt. Seit sieben Tagen weigert Russland sich, auch nur einen einzigen konkreten Schritt in die richtige Richtung zu tun. Nicht ein einziger offizieller Vertreter Russlands – nicht ein einziger – ist live im ukrainischen Fernsehen aufgetreten, um die Separatisten dazu aufzurufen, das Genfer Abkommen zu unterstützen, sich für Deeskalation einzusetzen, die Waffen niederzulegen und die ukrainischen Gebäude zu verlassen. [...]

Das russische Staatsfernsehen, ein Propagandaorgan, verbreitet stattdessen Präsident Putins Märchen darüber, was sich vor Ort abspielt. [...] Stattdessen finanziert, koordiniert und fördert Russland weiterhin in aller Öffentlichkeit eine schwer bewaffnete separatistische Bewegung in Donezk.

Zeitgleich machen die Verantwortlichen in Russland immer ungeheuerlichere Behauptungen, um ihr Verhalten zu rechtfertigen – dass die CIA das Internet erfunden habe, um die Welt zu beherrschen oder dass diejenigen, die bis an die Zähne bewaffnet Gebäude besetzen, nagelneue, identische Uniformen tragen und sich diszipliniert in militärischen Formationen bewegen, nur lokale Aktivisten seien, die ihre legitimen Rechte ausüben. Das ist absurd - anders kann man es nicht beschreiben. [...]

Internationale Beobachter vor Ort haben bezeugt, dass es vor den russischen Eskalationsschritten keine Gewalt gab. Es gab keinen groß angelegten Angriff auf die Rechte der Menschen in der Ost-Ukraine. Im Großen und Ganzen war die Ukraine stabil und friedlich, auch im Süden und Osten. Wir wissen, dass russische Geheimdienste daran beteiligt waren, lokale pro-russsiche Milizen zu organisieren, und zwar während die Vorbereitungen für das Genfer-Treffen liefen. [...]

Seit dem Abkommen haben die Ukrainer noch mehr Gewalt erlitten. [...] Zwei Leichen wurden in der Nähe von Slawjansk gefunden. Bei einer der Leichen handelte es sich um ein Mitglied des Stadtrates. Der Mann war bewusstlos geschlagen worden und dann mit einem mit Gewichten gefüllten Rucksack in einen Fluss geworfen worden. [...]

Nachdem Russland es nicht geschafft hat, die ukrainischen Wahlen zu verschieben und einen legitimen politischen Prozess zum Stillstand zu bringen, hat es sich für den illegalen Weg bewaffneter Gewalt entschieden, um mit Waffengewalt und Mobs das zu erreichen, was auf andere Weise nicht möglich war. Sie versuchen, ein so großes Chaos im Osten herbeizuführen, dass die Wahlen verschoben werden müssen oder an Legitimität verlieren, oder die Ukraine zu zwingen, einen Föderalismus zu akzeptieren, der Russland die Kontrolle über die ukrainische Innen- und Außenpolitik gibt, oder die Ukraine dazu zwingt, überzureagieren und so einen Vorwand für militärisches Eingreifen zu schaffen. [...]

Russland wundert sich, weil die Nachbarn der Ukraine und gleichgesinnte freie Völker auf der ganzen Welt sich mit den Ukrainern solidarisieren, die ihre Lebensbedingungen verbessern möchten und ihre Politiker selbst auswählen wollen.

Niemand sollte daran zweifeln, dass Russland seine Hand im Spiel hat. Diese Woche schrieb der Oberste Alliierte Befehlshaber der NATO in Europa: „In der Ost-Ukraine haben wir es mit einem gut geplanten und organisierten militärischen Einsatz zu tun und unsere Einschätzung ist, dass er auf Anweisung Russlands geschieht“. Unsere Geheimdienste haben mir berichtet, dass russische Geheimdienste, militärische Geheimdienste und Sondereinsatzkräfte eine aktive Rolle dabei spielen, den Osten der Ukraine personell sowie mit Waffen, Geld, operativer Planung und Koordinierung zu destabilisieren. Die Ukrainer haben Anweisungen bekannter russischer Agenten an ihnen hörige Separatisten in der Ukraine abgefangen und veröffentlicht. [...]

Nach der heutigen bedrohlichen Bewegung russischer Truppen bis genau an die Grenze der Ukraine, möchte ich unmissverständlich sagen: Wenn Russland so weitermacht, wird das nicht nur ein schwerwiegender, sondern auch ein teurer Fehler sein. Die internationalen Reaktionen auf die Entscheidungen der russischen Verantwortlichen belasten bereits jetzt die russische Volkswirtschaft. [...] Das hat sogar Präsident Putin zugegeben.

Das Vertrauen der Investoren nimmt rasant ab. 70 Milliarden US-Dollar Kapital wurden bereits im ersten Quartal 2014 aus dem russischen Finanzsystem abgezogen. Das ist mehr als im ganzen letzten Jahr zusammengenommen. Die Wachstumsprognosen für 2014 sind um zwei bis drei Prozentpunkte nach unten korrigiert worden. [...] Eins ist klar: Das, was ich gerade beschrieben habe, ist nur ein Ausschnitt und ist bedauerlicherweise auch eine Vorschau darauf, wie die freie Welt reagieren wird, wenn Russland weiterhin eskaliert, obwohl es versprochen hatte, zu deeskalieren.

Sieben Tage, zwei unterschiedliche Reaktionen und eine Wahrheit, die man nicht ignorieren kann: Die Welt wird weiterhin geschlossen für die Ukraine einstehen. Ich möchte es noch einmal wiederholen: Das Zeitfenster für einen Kurswechsel schließt sich. Präsident Putin und Russland müssen sich entscheiden. Wenn Russland sich für Deeskalation entscheidet, wird die internationale Gemeinschaft – werden wir alle – dies begrüßen. Sollte Russland dies nicht tun, wird die Welt sicherstellen, dass die Kosten für Russland weiter steigen werden. Wie Präsident Obama heute bereits bekräftigt hat, sind wir bereit, zu handeln.

Quelle Originaltext: Remarks on Ukraine;
Herausgeber: US-Botschaft Berlin, Abteilung für öffentliche Angelegenheiten; http://blogs.usembassy.gov/amerikadienst/



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