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Torpedos gegen Friedensplan

Ukrainischer Parlamentswahlkampf: Verhandeln oder nicht?

Von Reinhard Lauterbach *

Vor zehn Tagen hatte der ukrainische Präsident Petro Poroschenko eine seit langem erwartete Entscheidung vollzogen und das Parlament aufgelöst. Neuwahlen sollen Ende Oktober stattfinden, aber der Wahlkampf verspricht so langweilig zu werden wie alle bisherigen – wenn auch aus anderen Gründen. Waren die Parteien in der bisherigen Geschichte der unabhängigen Ukraine Fassadenorganisationen oligarchischer Gruppierungen ohne präzise Programmatik, die im wesentlichen austauschbare Gesichter anboten, so stellte sich die Situation in diesem Jahr als eine Art »nationaler Einheitsfront« der Maidan-Parteien dar. Denn über der Kommunistischen Partei der Ukraine schwebt das Damoklesschwert eines Verbotsverfahrens, das sie und ihre Anhänger vermutlich bis zu den Wahlen politisch disziplinieren wird. Diesen Effekt bis Ende Oktober aufrechtzuerhalten, scheint auch der Hintergrund der Entscheidung des für das Verfahren zuständigen Kiewer Gerichts vom Donnerstag zu sein, die Hauptverhandlung ein weiteres Mal zu vertagen – zum Mißvergnügen der ukrainischen Rechten, die hier schon wieder alte Seilschaften am Werk sieht. Die bis zum Februar regierende Partei der Regionen – auch gegen sie gibt es Verbotsforderungen – ist zu einer Splittergruppe zusammengeschrumpft: Jüngste Umfragen sagen ihr Wahlergebnisse um die zwei Prozent voraus; eine als Nachfolgeorganisation und Auffangbecken heimatloser »Regionaler« gegründete »Partei der Entwicklung der Ukraine« wird in den ukrainischen Umfragen noch nicht einmal gesondert gezählt – was natürlich auch Absicht sein kann.

In dieser Situation, in der das Maidan-Lager in den eigenen Reihen Wahlkampf betreibt, ist der von Wladimir Putin vorgeschlagene und angeblich mit Petro Poroschenko in großen Zügen abgesprochene Friedensplan vom Mittwoch eingeschlagen wie eine Bombe. Vor allem die »Vaterlandspartei« von Julia Timoschenko schießt aus allen Rohren gegen Verhandlungen mit dem ukrainischen Osten. Putin wolle die ganze Ukraine zu einem großen Transnistrien machen, verkündigte »Lady Ju« auf Twitter, und der ihrer Partei nahestehende Internetdienst Ukrainskaja Prawda schrieb in einem Kommentar, Poroschenko drohe das Land erneut zu verraten – wie angeblich das erste Mal durch eine inkompetente und parteipolitisch motivierte Kriegführung. Die Freiwilligenbataillone seien im Donbass bewußt geopfert worden, schreibt der Autor, weil sie mit Poroschenkos politischer Konkurrenz assoziiert würden – ein diskreter Hinweis auf den Oligarchen Igor Kolomoiski, der mehrere dieser Bataillone finanziert und dem Insider nachsagen, daß seine politischen Ambitionen mit seinem Gouverneursposten in Dnipropetrowsk nicht erschöpft seien. Auffällig ist jedenfalls, daß auch der »Rechte Sektor« schon vor Monaten sein Hauptquartier von Kiew nach Dnipropetrowsk verlegt hat.

Daß Poroschenkos politische Konkurrenten gegen Verhandlungen mit den Aufständischen agitieren, ist nicht mehr als konsequent. In den Umfragen liegen sie derzeit weit hinter dem Präsidenten zurück, der noch nicht entschieden hat, ob er seine bisher virtuelle Partei »Solidarität« allein ins Rennen schickt oder sich mit Witali Klitschkos UDAR und einigen kleineren Gruppen zu einer Art überparteilichem Wahlbündnis zusammenschließen will. Der Vorsprung mag damit zu erklären sein, daß es Poroschenko bisher gelungen ist, sich als Landesvater zu stilisieren. Gelingt es ihm, eine Waffenruhe auszuhandeln – was nicht sicher ist, weil die von Putin wiederbelebte Formel der Föderalisierung der Ukraine für die Nationalisten nur schwer zu schlucken ist –, kann er sich als derjenige profilieren, der »die Jungs nach Hause gebracht hat«. Das ist vor dem Hintergrund einer mehrheitlich zu einem Kompromißfrieden mit den Aufständischen tendierenden Stimmung in der Ukraine eine Kalkulation, die sich in den bevölkerungsreichen Regionen der Süd- und Ostukraine zu seinen Gunsten auszahlen könnte. Im stramm nationalistischen Westen der Ukraine dominieren zwar nach wie vor die Anhänger der militärischen Lösung, aber sie haben zahlenmäßig nicht das Gewicht, das Poroschenko im Landesmaßstab gefährlich werden könnte.

* Aus: junge Welt, Freitag 5. September 2014

Das Buch zum Thema:

"Ein Spiel mit dem Feuer"
Im Papyrossa-Verlag ist Ende August 2014 ein Ukraine-Buch erschienen
Mit Beiträgen von Erhard Crome, Daniela Dahn, Kai Ehlers, Willi Gerns, Ulli Gellermann, Lühr Henken, Arno Klönne, Jörg Kronauer, Reinhard Lauterbach, Norman Paech, Ulrich Schneider, Eckart Spoo, Peter Strutynski, Jürgen Wagner, Susann Witt-Stahl
Informationen zum Buch (Inhalt und Einführung)




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