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Zuckerbrot und Peitsche

EU-Gipfel streitet über Russland-Sanktionen

Von Olaf Standke *

Die Europäische Union verspricht der Ukraine zusätzliche Finanzhilfen – Reformen mit erheblichen sozialen Folgen vorausgesetzt.

Energie- und Klimapolitik, Wirtschafts- und Budgetüberwachung in der EU, der Mechanismus zur Bankenabwicklung oder die Vorbereitung des Afrika-Gipfels im April – nicht dass die ursprüngliche Tagesordnung des Spitzentreffens der Europäischen Union nun Makulatur ist. Aber sie wird deutlich von den Entwicklungen in Russland und der Ukraine überlagert. Brüssel sieht einen Krisen-Gipfel, auf dem die EU nach der Eingliederung der Krim in die Russische Föderation einen gemeinsamen Kurs gegenüber Moskau und damit auch Strafmaßnahmen sucht, die alle 28 Mitgliedstaaten mittragen können.

Zugleich will man der krisengeschüttelten Ukraine den Weg Richtung Westen ebnen. Deshalb wird auch der amtierende Kiewer Regierungschef Arseni Jazenjuk in Brüssel mit am Tisch sitzen. Am Freitagmorgen um 9.30 Uhr soll der politische Teil jenes Partnerschaftsabkommens mit der ehemaligen Sowjetrepublik unterzeichnet werden, den der damalige Staatspräsident Viktor Janukowitsch im vergangenen November noch ausgesetzt hatte. Das Bundeskabinett gab gestern sein Placet zum Abkommen. In Berlin sprach man von einer »gemeinsamen Wertegrundlage« – mit einer Regierung, in der drei faschistische Minister sitzen?

Zudem sollen der Ukraine Zollerleichterungen eingeräumt werden. Für die Unterzeichnung der Vereinbarungen über die weiteren wirtschaftlichen Aspekte – den zweiten Teil des Abkommens – gibt es allerdings noch keinen Termin. Am Mittwoch hat die EU-Kommission Details ihrer geplanten Finanzhilfe vorgestellt. Man bereite eine zusätzliche Fiskalspritze in Höhe von einer Milliarde Euro vor, sagte Währungskommissar Olli Rehn in Brüssel. Allerdings sei diese Hilfe wie schon die vor einem Jahr genehmigte Summe von 610 Millionen Euro an den Reformwillen Kiews gebunden – was auch massive soziale Belastungen für die urkrainischen Bürger bedeutet.

So sollen die bisher relativ moderaten Energiepreise massiv angehoben werden. Ausgezahlt wird erst, wenn entsprechende Schritte mit dem Internationalen Währungsfonds (IWF) vereinbart wurden. Mit dieser sogenannten Zahlungsbilanzhilfe – Teil eines längerfristigen, elf Milliarden Euro schweren, konditionierten EU-Pakets – soll der Haushalt des nach eigenen Angaben vor dem Bankrott stehenden Landes stabilisiert werden. Bisher ist kein Geld geflossen.

Wie Rehn ankündigte, werde schon bald eine Gruppe von Kommissionsbeamten zu Verhandlungen nach Kiew reisen. Dort haben zwei Abgeordnete der Vaterlandspartei von Ex-Regierungschefin Julia Timoschenko und ein unabhängiger Abgeordneter am Dienstag in der Obersten Rada den Entwurf für einen ukrainischen Antrag zur baldigen Aufnahme in die Europäische Union eingebracht. Nach der für den 25. Mai anberaumten Präsidentenwahl soll erst einmal das Freihandelsabkommen zwischen der EU und der Ukraine in Kraft treten,

Für Russland wollen die 28 Staats- und Regierungschefs dagegen die Peitsche herausholen. Wie kräftig sie benutzt wird, ist umstritten. EU-Ratspräsident Herman Van Rompuy hat Moskaus Vorgehen auf der Krim gestern zwar erneut als »illegal und Verstoß gegen die ukrainische Verfassung und internationales Recht« gebrandmarkt. Aber ob das zu nachhaltigen Wirtschaftssanktionen führen wird, war weiter unklar. Bisher hatten EU, USA, Japan und Australien Kontensperrungen sowie Einreiseverbote für Politiker und Militärs in Russland und auf der Krim beschlossen. Doch sparte man die wirkliche Führungsebene noch aus.

Während z.B. die baltischen Staaten eine harte Antwort befürworten und London bereits Waffenexporte nach Russland sowie die militärische Kooperation bis auf weiteres stoppte, sehen Länder wie Zypern, das viele russische Investoren angezogen hat, oder Bulgarien, das weitgehend von russischen Energielieferungen abhängig ist, Wirtschaftssanktionen skeptisch. In der Bundesrepublik warnt vor allem die Wirtschaft nachdrücklich vor schweren Einbußen. Ungeachtet des aktuellen Konflikts will etwa Rheinmetall ein 100 Millionen Euro teures hochmodernes Gefechtsübungszentrum weiter an Russland liefern, wie die deutsche Waffenschmiede jetzt mitteilte.

Die Bundesregierung rechnet nicht damit, dass der Gipfel eine drastische Verschärfung der Sanktionen beschließen wird. Wie es am Mittwoch in Berliner Regierungskreisen hieß, würde das nur bei einer weiteren massiven Destabilisierung über die Krim hinaus passieren. Wahrscheinlich werde es weitere Reisebeschränkungen und Kontensperrungen geben.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. März 2014


»Wir fürchten keine Sanktionen«

Die auf den Schwarzen Listen von USA und EU stehen, geben sich unbeeindruckt

EU und USA haben eine Reihe von Personen mit Reiseverboten und Kontensperrungen belegt. Die Listen der Betroffenen sind nicht deckungsgleich, überschneiden sich aber zum Teil.

Dmitri Rogosin steht als russischer Vizeregierungschef auf der Liste der USA. Früher Russlands scharfzüngiger Botschafter bei der NATO, hatte er beispielsweise in einem Gespräch mit dem Magazin »Der Spiegel« vor der Aufnahme früherer Sowjetrepubliken in die NATO gewarnt.

Valentina Matwijenko ist Vorsitzende des Föderationsrates, des Oberhauses des russischen Parlaments. Ihr Name ist auch auf der USA-Liste. Anfang März hatte der Föderationsrat auf Bitten Wladimir Putins einem Militäreinsatz in der Ukraine im Grundsatz zugestimmt. Matwijenko erklärte, sie habe keine Konten im Ausland.

Viktor Janukowitsch floh als ukrainischer Präsident nach Russland, als die Proteste auf dem Kiewer Maidan eskalierten. Ausgelöst worden waren sie Ende 2013 nach Janukowitschs Abkehr von einer EU-Annäherung. Die USA setzten ihn auf ihre Liste, weil er demokratische Prozesse in der Ukraine unterhöhle.

Sergej Aksjonow landete auf der EU-Liste, weil er sich als neuer Krim- Regierungschef für das Referendum eingesetzt hatte. Er ist auch im Visier der USA. Aksjonow war Ende Februar auf den Posten gewählt, die vorherige Regierung abgesetzt worden.

Wladimir Konstaninow wird sowohl von den USA als auch von der EU mit Sanktionen belegt – aus ähnlichen Gründen wie Aksjonow. Anfang März teilte der Krim-Parlamentschef mit, dass die Halbinsel künftig als eigener Staat existieren solle.

Andrej Klischas ist den USA und der EU unter anderem ein Dorn im Auge, weil er als Antwort auf westliche Sanktionen die Beschlagnahme ausländischen Eigentums in Russland androhte. Klischas leitet das Verfassungskomitee des Föderationsrates.

Leonid Sluzki leitet das Komitee für GUS-Angelegenheiten der Staatsduma und steht auf den Listen von EU und USA. Die EU wirft ihm vor, den Einsatz russischer Truppen auf der Krim und die Annexion der Halbinsel zu unterstützen.

Denis Beresowski ist ein übergelaufener Kommandeur der ukrainischen Marine. Die EU beschuldigt ihn, seinen Eid gebrochen zu haben. Die ukrainische Seite hat gegen ihn Ermittlungen wegen Hochverrats eingeleitet.

Wladislaw Surkow und Sergej Glasjew stehen als Berater Wladimir Putins auf der Liste der USA. Surkow war im Mai 2013 überraschend als Vizepremier entlassen worden. Er galt als einer der wichtigsten Strippenzieher der russischen Politik. Im September desselben Jahres kehrte er als Berater zurück.

Alexej Tschaly ist der Verwaltungschef von Sewastopol. Er kam auf die EU-Liste, weil er dafür warb, dass die Stadt als separate Einheit der Russischen Föderation beitritt.

Sergej Mironow ist Chef der Partei »Gerechtes Russland«, die nach guten Beziehungen zu Europas Sozialdemokraten strebte. Er geriet auf die EU-Liste, weil seine Partei mit Blick auf die Krim einen Gesetzentwurf zum erleichterten Beitritt neuer Subjekte zur Russischen Föderation vorgelegt hatte.

Insgesamt sind etwa 20 Personen von den Sanktionen betroffen, darunter auch eine Reihe ranghoher Kommandeure der russischen Armee und der Schwarzmeerflotte.

353 Abgeordnete der russischen Staatsduma stimmten am Dienstag für eine Erklärung, in der sie der EU und den USA vorschlugen, sie doch alle in die Liste der zu sanktionierenden Personen aufzunehmen. »Wir fürchten keinerlei Sanktionen«, heißt es darin. Gegenstimmen gab es nicht.




Zwischen Gelassenheit und Krisenwarnung

In Russland werden die wirtschaftlichen und finanziellen Folgen des Krim-Konflikts unterschiedlich eingeschätzt

Von Irina Wolkowa, Moskau **


Die russische Wirtschaft und die der EU pflegen intensive Beziehungen. Über mögliche Folgen von Sanktionen ist man in Moskau bislang geteilter Meinung.

Sanktionen? Kindergeburtstag sagt einer der Betroffenen: Vizepremier Dmitri Rogosin, zuständig für den militärisch-industriellen Komplex. Er habe in den USA, auf deren schwarzer Liste sein Name weit oben steht, nichts Dringendes zu erledigen. Und dort auch keine Aktiva, die eingefroren werden könnten. Denn ein 2013 verabschiedetes Gesetz verbietet russischen Staatsdienern Auslandskonten, das Guthaben überführter Steuerhinterzieher zieht der Fiskus ein.

Die Sanktionen, so Rogosin, der schon als Moskaus Botschafter bei der NATO als Scharfmacher auffiel, seien ein Akt primitiver Rache für das Ende einer Weltordnung mit einer einzigen Supermacht. Einer Ära, die mit der Angliederung der Krim unwiederbringlich zu Ende gegangen sei. Das am Dienstag unterzeichnete Beitrittsabkommen bedeute das »Wiedererwachen des russischen nationalen Selbstbewusstseins«. Börsianer sehen das offenbar ähnlich: Der über Wochen schwächelnde Rubel erholt sich langsam, der Aktienkurs russischer Unternehmen sogar rasant.

Gelassen blickt daher auch der persönliche Freundeskreis von Präsident Wladimir Putin in die Zukunft. Igor Setschin, Chef des staatlichen Ölförderers Rosneft, der ebenfalls als »heißer Anwärter« auf einen Platz auf einer der nächsten schwarzen Listen von USA und EU gilt, stieg auf dem Höhepunkt der Krim-Krise in großem Maßstab beim italienischen Reifenhersteller Pirelli ein. Noch diese Woche geht er auf Geschäftsreise nach Asien. Im Falle von Sanktionen, ließ er die Wirtschaftsagentur »Prime« wissen, würden russische Konzerne sich halt auf andere Märkte orientieren, der Westen sei wirtschaftlich ohnehin auf dem absteigenden Ast.

Regierungsbeamte sind weniger euphorisch. Vizewirtschaftsminister Sergei Beljakow warnte bereits vor einer tiefen Krise, und kritische Experten wie Jewgeni Jassin von der Moskauer Hochschule für Ökonomie befürchten, das Wachstum – weniger als vier Prozent jährlich gelten für Schwellenländer wie Russland als kritisch – werde 2014 gegen null tendieren. Sogar bei der bislang boomenden Fahrzeugproduktion seien Einbrüche um die 6,5 Prozent drin, warnte Vizeindustrieminister Alexej Rachmanow. Der Grund: Kaufkraftschwund wegen des zuletzt weichen Rubels und sinkender Ölpreise. An die aber sind die Gaspreise gekoppelt, die Exporterlöse sind der größte Posten auf der Habenseite des Haushalts und Voraussetzung für die Erfüllung der Sozialprogramme, mit denen Kreml und Regierung sich die Loyalität der Bevölkerung sichern.

Russlands Haushalt aber war schon vor dem Beitritt der Krim mit superspitzem Bleistift gerechnet. Jetzt kommen auf Moskaus Kassenwarte womöglich Belastungen in ähnlicher Höhe wie bei den Olympischen Winterspielen in Sotschi zu. 100 Milliarden Rubel – rund zwei Milliarden Euro – werden derzeit für die Sanierung der Infrastruktur veranschlagt, umgerechnet 40 Millionen Euro für eine Brücke über die Straße von Kertsch. Sie soll die von der Ukraine umschlossene Krim mit der südrussischen Region Krasnodar verbinden.

Über Jahre hinaus wird die Zen-tralregierung in Moskau den chronisch defizitären Krim-Haushalt wohl bezuschussen müssen. Derzeit wird mit Summen von umgerechnet 60 bis 70 Millionen Euro pro Jahr jongliert. Dabei liegen schon Georgiens abtrünnige Regionen Südossetien und Abchasien dem russischen Steuerzahler schwer auf der Tasche. Moskau hatte sie nach dem Augustkrieg im Südkaukasus 2008 zwar als unabhängige Staaten anerkannt. Faktisch sind sie russische Protektorate.

Die EU ist inzwischen wieder Russland größter Außenhandelspartner, zwischenzeitlich war es China. Abhängig ist Russland vor allem beim Importen von Maschinen und Anlagen, auch viele Lebensmittel sind, weil die russische Landwirtschaft uneffektiv und kostenintensiv produziert, made in Europa. Der Mittelstand fragt sich daher schon bang: Wird es auch künftig italienische Fliesen geben? Und was trinken wir, wenn es keinen französischen Bordeaux mehr gibt?

** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. März 2014


Vorsicht vor Provokateuren

Detlef D. Pries sieht die Gefahr des Ukraine-Krieges nicht gebannt ***

Gerade hatte sich Wladimir Putin dafür gelobt, dass die Krim »in den russischen Heimathafen eingelaufen« sei, ohne dass Blut geflossen ist. Auch den ukrainischen Militärs hatte er dafür gedankt. Prompt fielen in Simferopol tödliche Schüsse. Der Kiewer Übergangspremier Arseni Jazenjuk erklärte umgehend, der Konflikt mit Russland habe sein »militärisches Stadium« erreicht, den ukrainischen Soldaten wurde der Schusswaffengebrauch erlaubt.

Wer hat ein Interesse an einer militärischen Zuspitzung des Konflikts? Ganz gewiss nicht Putin. Auch im Westen setzt sich die Erkenntnis durch, dass die Krim – Völkerrecht hin, Volkswille her – russisch bleiben wird. Ein militärisches Eingreifen zugunsten der Ukraine fordert bisher jedenfalls niemand, der politisch ernst zu nehmen wäre. Freilich lässt sich fremdes Territorium vergleichsweise schmerzlos abschreiben.

In der Ukraine fällt das nicht so leicht. Kiew will die Eingliederung der Krim in die Russische Föderation »nie« hinnehmen. Zwar zügelte Jazenjuk noch am Dienstag diejenigen, die einen raschen NATO-Beitritt anstreben. Aber die Gefahr, dass Provokateure einen Flächenbrand auslösen, der nicht auf die Halbinsel beschränkt bliebe, droht nach wie vor. Rufe nach »humanitärer Intervention« – egal von welcher Seite – folgten gegebenenfalls sehr bald. Eine daraus erwachsende Katastrophe zu verhindern und Scharfmachern entgegenzutreten, ist die erste Aufgabe verantwortungsbewusster Politik – in Kiew, Moskau, Washington, Berlin, Brüssel ...

*** Aus: neues deutschland, Donnerstag, 20. März 2014 (Kommentar)


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