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Diplomatie und Bomben

Treffen der Außenminister / Kiews Armee im Angriff *

Die ukrainische Armee ist auch am Mittwoch massiv gegen die prorussischen Separatisten im Osten vorgegangen. Die Truppen seien im Einsatz gegen »Terroristen und Kriminelle«, sagte Parlamentspräsident Alexander Turtschinow. Bei massiven Luftangriffen seien etwa 120 Stützpunkte der Aufständischen unter Feuer genommen worden, teilte die Armeeführung mit. Medien berichteten über große Schäden in den bombardierten Orten.

Die Kämpfe waren am Vortag nach dem Ende einer zehntägigen Waffenruhe, die nach ihrem Auslaufen von Präsident Petro Poroschenko nicht verlängert worden war, erneut aufgeflammt. Andrej Lyssenko vom Sicherheitsrat in Kiew sprach von mindestens drei toten und zehn verletzten Soldaten bei den jüngsten Gefechten. Den Aufständischen zufolge töteten die Regierungskräfte mit einem Artilleriebeschuss bei Lugansk mindestens zwölf Zivilisten, darunter ein Kind.

Für diplomatische Spannung sorgte das Krisentreffen von Bundesaußenminister Frank-Walter Steinmeier in Berlin mit seinen Kollegen aus Frankreich, Russland und der Ukraine in Berlin, das bei Redaktionsschluss dieser Seite andauerte. Dabei sollte vor allem diskutiert werden, wie eine neue Waffenruhe erreicht werden könne. Steinmeier warnte vor einer »Explosion der Gewalt«. »Die Lage im Osten der Ukraine ist sehr gefährlich«, sagte er. Es könne »jederzeit« zu einer Eskalation kommen, die sich »weder politisch noch militärisch beherrschen« ließe.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag 3. Juli 2014


Moskau sieht USA auf dem Kriegspfad

Warnung vor Einmischung und der Provokation eines russischen Eingreifens

Von Irina Wolkowa, Moskau **


Die »Richtlinienkompetenz der USA« war nicht gefragt, spottete privat ein russischer Diplomat über das Berliner Außenministertreffen ohne State Department.

Für Moskau sind die Verantwortlichen für die neuerliche Eskalation in der Ukraine klar. USA-Experten würden Kiew nicht nur beraten, sondern »eine strategische Linie konzipieren, die die ukrainische Führung bei ihrer Beschlussfassung strikt befolgt«, erklärte der Vizekoordinator des russischen Nationalen Sicherheitsrates Jewgeni Lukjanow in einem Interview für die Nachrichtenagentur RIA/Nowosti.

Nicht ohne Häme räumte er ein, dass Russland solches durchaus aus eigener Erfahrung kenne. Auch bei der Privatisierung von Staatseigentum Mitte der 90er Jahre hätte die CIA den zuständigen Vizepremier Anatoli Tschubais »beraten«. Was dabei herauskam, »haben wir alle gesehen«. Damit meinte er eine in Russland heute weitgehend mit Abscheu betrachtete Periode der wilden Kapitalisierung und hemmungslosen Bereicherung nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion.

Moskau sieht die USA auf dem Kriegspfad. Es hatte schon im Mai Beweise für den Einsatz von rund 400 Kämpfern privater US-Militärfirmen auf Seiten der ukrainischen Armee vorgelegt. Diese mischten demzufolge auch bei der brutalen Attacke gegen wehrlose Zivilisten im südostukrainischen Mariupol mit.

Zwar hat Kiew aus russischer Sicht keine Chance auf einen baldigen NATO-Beitritt. Wie Sicherheitskoordinator Lukjanow glaubt, könnte die weitere Eskalation der Spannungen in der Ukraine der Allianz jedoch als Vorwand für die Entsendung von Truppen dienen, um strategische Objekte wie Atomkraftwerke zu sichern. Zeitgleich warnte sein Namensvetter, der Politikwissenschaftler Fjodor Lukjanow, vor Versuchen der USA, Russland zu militärischer Gewalt in der Ukraine zu provozieren.

Russlands Präsident Wladimir Putin hatte offenbar auch deshalb am Vortag vor den Chefs diplomatischer Missionen Russlands im Ausland ein paneuropäisches »Versicherungsnetzwerk« gefordert. Dies solle vor Einmischung bei souveränen Staaten, Erpressung und Drohungen in bilateralen Beziehungen und Begünstigung radikaler Kräfte schützen. Nur so könnten Entwicklungen wie in der Ukraine, im Irak oder in Syrien künftig verhindert werden. Russland beunruhigt, dass Regimes in Zentralasien – außer Kasachstan – noch instabiler als die Ukraine sind.

Selbst in den relativ stabilen Ländern Osteuropas, warnte Putin, gebe es genügend ethnischen und sozialen Zündstoff. Den könnten äußere Kräfte missbrauchen, um die Lage zu destabilisieren und einen »illegitimen, undemokratischen Machwechsel« wie in der Ukraine durchzusetzen.

Die Entwicklungen dort hätten jedoch gezeigt, dass Washingtons Modell einer monopolaren Welt krachend gescheitert sei. Immer mehr Staaten und Völker würden ihr Schicksal selbst bestimmen wollen. Das kollidiere mit Versuchen »gewisser Länder, ihre Dominanz in der militärischen Sphäre, in Politik, in Finanzen und Wirtschaft sowie in der Ideologie aufrechtzuerhalten«. Gemeint war Washington, obwohl keine Namen fielen.

Das Haupthindernis für Frieden in der Ukraine sei die Haltung der USA, warnte unverblümt Wladimir Scharichin vom Institut für GUS-Studien. An einem Runden Tisch waren sich Experten einig, dass die Krise allein durch Föderalisierung der Ukraine beigelegt werden könne.

** Aus: neues deutschland, Donnerstag 3. Juli 2014


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