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Warum Obamas Rede uns nachdenklich stimmen sollte

Von Jan Oberg, TFF Direktor *

Bei einer Rede des Präsidenten der Vereinigten Staaten von Amerika – die von Millionen in allen Teilen der Welt innerhalb von Minuten gelesen wurde – kann man sicher sein, dass jedes einzelne Wort mit äußerster Sorgfalt abgewogen wurde.

Wenn man das im Auge behält, lässt sich über die Rede festhalten, dass sie für uns alle kränkend und – außergewöhnlich – schwach ausgefallen ist.

Sie rief keine Begeisterung unter den Armee-Offizieren, zu denen er sprach, hervor und auch keinen Enthusiasmus unter den führenden westlichen Medien.

Ich werde darlegen,
  • dass der Rede intellektuell und moralisch die Grundlagen fehlten – sie war voller Widersprüche und durchtränkt mit unerträglichem Selbstlob.
  • Zwar wird anerkannt, dass "Fehler" gemacht wurden, wie "unser" Krieg im Irak, und auch ein potenzielles Abrücken von Interventionismus wird zugestanden, aber weder gibt es eine adäquate Analyse der Vergangenheit noch was in der Zukunft gebraucht werden könnte in Sachen Führerschaft.
  • Ich hätte nie gedacht, dass meine Analyse in dem TFF Pressinfo "Psycho-Politik im Zeitalter des imperialen Abstiegs" vor ein paar Tagen so rasch und so gründlich bestätigt werden würde. [Psycho politics in the age of imperial decline [externer Link.]
Dieses Pressinfo ist länger als üblich. Ich wollte nämlich der Rede gerecht werden durch längere Zitate aus dem Text und deren Kommentierung.

”By most measures, America has rarely been stronger relative to the rest of the world...Think about it. Our military has no peer.”

Die meisten Maßnahmen? Falsch. Man nehme nur einmal Handel und Investitionen, politische, ökonomische und kulturelle Stärke in Relation zum Rest der Welt; man nehme die weltweit wahrgenommene Legitimität, man nehme Moral und Werte und Befolgung des internationalen Rechts – die USA sind hier ein Schatten von dem, was sie einmal, sagen wir vor 50 Jahre, waren.

Es stimmt, die militärische Stärke wird von niemandem übertroffen. Aber genau das ist das Problem, wenn man schwächer wird bei allen übrigen Indikatoren.

”And when a typhoon hits the Philippines, or girls are kidnapped in Nigeria, or masked men occupy a building in Ukraine – it is America that the world looks to for help.”

Selbst wenn es zutreffen würde, dass die Welt die USA als wohltätigen Helfer sieht, so hätte Obama sich doch darüber beklagen sollen, das die Länder sich dann nicht an multilaterale oder regionale Institutionen wenden.

Die USA haben, seit Jugoslawien, ungefähr alles getan, was sie nur konnten, um die UN zu unterminieren. Später sagt er dann, dass

”the UN provides a platform to keep the peace in states torn apart by conflict.”

Aber ist das wirklich die Aufgabe der offiziell wichtigsten Organisation, dort Frieden zu schließen, wo andere, einschließlich der USA selbst, die Länder vorher verwüstet haben?

Die USA als ein großer Helfer, das ist nicht die Wahrnehmung, die von vielen aufgeklärten Menschen geteilt wird – man schaue nur auf das Scheitern der israelisch-palästinensischen Mediation und den Umgang mit Syrien. Nebenbei gesagt (Btw.?), er erwähnt den Nahen/Mittleren Osten noch nicht einmal.

”The United States is the one indispensable nation. That has been true for the century passed, and will likely be true for the century to come.”

Was Obama hier im Endeffekt sagt ist, dass jede andere Nation – jedes Volk der Erde – verzichtbar ist bzw. sein kann. Warum werden hier alle beleidigt? Warum erklärt man sich selbst für so gut, dass es pathetisch, geradezu lächerlich wird?

Und noch 100 Jahre länger? Für wie dumm halten uns eigentlich die Redenschreiber im Weißen Haus? Leider gibt es von der Stelle noch mehr zu vernehmen.

”The question we face – the question you will face – is not whether America will lead, but how we will lead, not just to secure our peace and prosperity, but also to extend peace and prosperity around the globe.”

Die Obsession mit Führerschaft, die sich durch die ganze Rede zieht, verrät eine tiefsitzende Furcht davor, nicht mehr lange führend zu sein. Nun ja, Menschen mit geringen historischen Kenntnissen und junge West Point Patrioten mögen solchen Unsinn glauben – einschließlich der behaupteten aber unbegründeten Übereinstimmung vom Frieden und Wohlstand der Welt und dem der USA. Und der Frieden geht selbstverständlich von den USA aus – er ist nichts, was wir gemeinsam gestalten.

”Regional aggression that goes unchecked – in southern Ukraine, the South China Sea, or anywhere else in the world – will ultimately impact our allies, and could draw in our military.”

Hier ignoriert Obama die brillante Gelegenhei, in diesem wichtigen Moment auf Russland und China zuzugehen. Und wer ist es, der überzeugend darlegen kann, was eine Aggression darstellt und wie inakzeptabel sie ist?

”Here’s my bottom line: America must always lead on the world stage. If we don’t, no one else will.”

Und erneut die Obsession mit der Führerschaft. Es wäre vielleicht für die Menschheit besser, wenn die USA auf Führerschaft verzichteten. Aber Präsident Obama glaubt, dass nur die USA dazu in der Lage seien. Es ist höchst interessant, dass er das Offensichtliche nicht kommen sieht: die multipolare Welt in der auch Andere Beiträge zur Führung der Welt leisten.

Man muss sich wirklich fragen, wie amüsiert Völker, die von Washington zu führen wären, im nächsten Jahrhundert in Peking, Moskau, Delhi, Kapstadt, Brasilia und anderen Hauptstädten dies finden?

”First, let me repeat a principle I put forward at the outset of my presidency: the United States will use military force, unilaterally if necessary, when our core interests demand it – when our people are threatened; when our livelihood is at stake; or when the security of our allies is in danger.”

Gänzlich verschwunden ist plötzlich die Vorstellung von gemeinsamen Interessen und Aktionen mit Alliierten. Wenn US-Interessen auf dem Spiele stehen – wie etwa in Fall des „Fehlers“, genannt Irak – werden die USA das tun was sie schon immer getan haben: Sie benutzen den Hammer.

”For the foreseeable future, the most direct threat to America at home and abroad remains terrorism. But a strategy that involves invading every country that harbors terrorist networks is naïve and unsustainable.”

Welche Kriterien verwendet das Team der Intellektuellen im Weißen Haus, um zu der Schlussfolgerung zu gelangen, dass der Terrorismus die größte Bedrohung darstellt? Jedes zehnjährige Kind könnte andere Dinge aufzählen, die Anlass zur Sorge bieten – Atomwaffen, globale Erwärmung, Armut, Cyber-Krieg, aufkommender Faschismus, usw.

Die hat nichts mit der Realität zu tun, aber mit seinem nächsten Satz:

”I am calling on Congress to support a new Counter-Terrorism Partnerships Fund of up to $5 billion”.

Und das noch auf das höchste Sicherheitsbudget der Geschichte drauf? Genug ist einfach niemals genug!

Präsident Obama fährt fort mit der Rechtfertigung des Drohnenkrieges und der Tötung vermuteter Terroristen ohne jede Gerichtsverhandlung, ohne überhaupt zu bemerken, dass das Bekämpfen des Terrorismus und das Töten von Terroristen zwei ganz verschiedene Dinge sind. Und schließlich bewerkstelligt er zum x-ten Mal die Quadratur des Kreises:

”In taking direct action, we must uphold standards that reflect our values. That means taking strikes only when we face a continuing, imminent threat, and only where there is near certainty of no civilian casualties. For our actions should meet a simple test: we must not create more enemies than we take off the battlefield.”

Okay, ich würde gerne glauben, dass von heute an alles anders gemacht werden wird als all die Tage seit dem 11.September. Aber das kann ich nicht. Es ist einfach nicht glaubhaft.

Und dann kommt noch ein weiteres unerträgliches Selbstlob.

”In Ukraine, Russia’s recent actions recall the days when Soviet tanks rolled into Eastern Europe. But this isn’t the Cold War. Our ability to shape world opinion helped isolate Russia right away. Because of American leadership, the world immediately condemned Russian actions. Europe and the G-7 joined with us to impose sanctions. NATO reinforced our commitment to Eastern European allies. The IMF is helping to stabilize Ukraine’s economy. OSCE monitors brought the eyes of the world to unstable parts of Ukraine. This mobilization of world opinion and institutions served as a counterweight to Russian propaganda, Russian troops on the border, and armed militias.”

Was ist die Relevanz dieser Panzer des Kalten Krieges für heute, wenn wir uns nicht im Kalten Krieg befinden?

Als ein Führer der Welt übernimmt er keinerlei Verantwortung für die US-Neo-Konservativen um ihn herum, die ihren Beitrag dazu leisteten, die Krise überhaupt erst entstehen zu lassen, noch auch für die von den USA und der NATO eingeleiteten konfrontativen Initiativen. In seiner Welt gibt es keinen Platz für ein Lob für jene, die, wie Deutschland, geholfen haben, die Krise zu entschärfen und die recht hitzköpfige Rhetorik und Konfrontationspolitik der USA zu entschärfen.

Über den Iran:

”We built a coalition that imposed sanctions on the Iranian economy, while extending the hand of diplomacy to the Iranian government. Now, we have an opportunity to resolve our differences peacefully. The odds of success are still long, and we reserve all options to prevent Iran from obtaining a nuclear weapon.”

Nicht ein Wort über die bemerkenswerten Wahlen dort und die neue politische Führung im Iran, oder dass es der Iran ist, der wiederholt von sich aus großes Entgegenkommen gezeigt hat. Nein all das wurde von den USA allein ausgestaltet.

Und um maximal kontra-produktiv zu sein und militärische an Stelle intellektueller Stärke zur Schau zu stellen, äußert er, dass alle Optionen beibehalten werden – sprich Bombardierung des Iran – während gerade komplizierte Verhandlungen geführt werden. War es wirklich nötig, das zu wiederholen, Mr. President?

”I believe in American exceptionalism with every fiber of my being. But what makes us exceptional is not our ability to flout international norms and the rule of law; it’s our willingness to affirm them through our actions.”

Man betrachte einmal die Falschheit dieser Feststellung. Die Fähigkeit Washingtons zur offenen Missachtung ist seit Jahrzehnten konkurrenzlos geblieben.

Darüber hinaus beleidigt Präsident Obama erneut alle anderen Völker der Welt, wenn er sagt, dass sie internationale Normen nicht unterstützen, wie auch nicht die Herrschaft des Rechts, weil sie nicht außergewöhnlich (exceptional) sind (oder lediglich außergewöhnlich hinsichtlich ihrer Übeltaten).

Nun zu Menschenrechten, Würde, Demokratie und amerikanischem Idealismus! Man lese bitte die folgenden zwei Absätze zusammen:

”The fourth and final element of American leadership: our willingness to act on behalf of human dignity. America’s support for democracy and human rights goes beyond idealism – it’s a matter of national security. Democracies are our closest friends, and are far less likely to go to war. Free and open economies perform better, and become markets for our goods. Respect for human rights is an antidote to instability, and the grievances that fuel violence and terror (...)
In Egypt, we acknowledge that our relationship is anchored in security interests – from the peace treaty with Israel, to shared efforts against violent extremism. So we have not cut off cooperation with the new government. But we can and will persistently press for the reforms that the Egyptian people have demanded.”


Intellektuell und moralisch ergibt dies keinen Sinn. Das eine, der idealistische Kampf für Menschenrechte, kann der nationalen Sicherheit nicht untergeordnet werden.

Zweitens handelt es sich bei Abdel al-Sisi, der in diesen Tagen die Präsidentschaft anstrebt, um den Führer einer militärischen Junta, mit zügelloser Repression und hunderten von Todesurteilen an der Spitze von deren Agenda.

In diesen Fall stellt Obama das Sicherheitsargument vor die Ethik und verwendet das Sowohl-als-auch-Prinzip der Prinzipienlosigkeit. Dies ist keine – moralische – Führerschaft. Es ist Profit generierender Militarismus.

Was in der Rede fehlt – und der Wagemut der Furcht

Dies sind einige der Dinge, von denen Präsident Obama möchte, dass wir sie kennen und glauben. Aber er ist einfach nicht in der Lage zu überzeugen. Seine verworrene Rede beleidigt den Rest der Welt und jedes moralische Prinzip. Hätte irgendein anderer Führer so geredet, hätten die westlichen Medienkommentatoren gesagt, dass hier ein gefährlicher Nationalist gesprochen habe.

Was fehlt nun ganz offensichtlich in der Rede des Präsidenten in West Point?
  1. Irgendeine einigermaßen akkurate Einschätzung der Welt und der Rolle anderer Nationen.
  2. Ein Sinn für Bescheidenheit und Respekt gegenüber Verbündeten und anderen Ländern dieser Welt.
  3. Die einzelnen Elemente einer Gesamtstrategie für Amerika, für seine Außen- und Sicherheitspolitik, und eine Art Vision davon, wie eine bessere Welt aussehen würde. Diese Rede mit all ihrer ermüdenden selbst-überhöhenden Rhetorik ist ein durchsichtiger Schleier über der Tatsache, dass es keine derartige Vision oder umfassende Strategie gibt.
  4. Einige kleine Hinweise auf Reformen bestehender Institutionen oder neues Denken über Globalisierung und globale demokratische Entscheidungsprozesse.
  5. Ideen und Initiativen – ausgestreckte Hände – um der Welt auf den Weg zu Konfliktlösungen in Krisengebieten wie die Ukraine, Syrien, Libyen, China-Japan und dem Iran zu helfen. Nicht eine Spur von Kreativität.
Kurz gesagt – es fehlt ihr das Wesen und die Praxis von genau der Führerschaft, für die Obama und die USA heute fälschlicherweise zu stehen glauben.

In ihrer realitätsfremden Arroganz und ihrem Selbstlob lässt sie wenig Hoffnung für diejenigen von uns, die immer fasziniert gewesen sind von der amerikanischen kulturellen und sonstigen Kreativität und – früher – auch Führerschaft, während wir die Arroganz seines Empire, seinen mit seinem Ausnahmestatus gerechtfertigten Militarismus und die fehlende Sensibilität gegenüber den Opfern seiner Politik verabscheuten.

Der Mut der Hoffnung ist zerschmettert. Bedauerlicherweise muss man diese Rede mehr in Kategorien des Muts der Furcht denken, um die potenziell katastrophale Kombination von Militarismus, Hybris, schwindendem Sinn für Realität und törichtem Selbstlob zu erkennen.

[Übersetzung aus dem Englischen: Eckart Fooken]

* TFF-Transnational Foundation for Peace and Future Research, Lund, Schweden, 29.5.2014


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