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Verteidigungspolitische Bestandsaufnahme – wo die USA die Herausforderungen sehen

Ein Beitrag aus der NDR-Reihe "Streitkräfte und Strategien"


Moderation: Andreas Flocken

Nicht nur die NATO sondern auch die Führungsmacht USA versucht, sich an die neuen sicherheitspolitischen Herausforderungen anzupassen. Alle vier Jahre wird eine verteidigungspolitische Bestandsaufnahme vorgelegt. In der vergangenen Woche war es wieder soweit. Informationen von Anna Engelke:

Manuskript Anna Engelke

Der Name des Berichts, den US-Verteidigungsminister Robert Gates Anfang dieses Monats vorgelegt hat, geht nicht leicht über die Lippen: "Quadriennal Defense Review" heißt er, aber in abkürzungsverliebten Militärkreisen wird er schlicht „QDR "genannt. Daniel Goure, Vizepräsident des Lexington Instituts, einem Thinktank aus dem Großraum Washington, nimmt diesen „QDR" gerne mal auf die Schippe:

O-Ton Goure (overvoice)
„Ein Washington-Kenner hat mal gesagt, wenn Du im Pentagon was richtig schlecht gemacht hast, musst Du zur Strafe einen QDR schreiben."

Wenn man Daniel Goures Logik folgt, dann müssen mindestens 700 Mitarbeiter im riesigen Verteidigungsministerium etwas richtig schlecht gemacht haben. Denn rund 700 Männer und Frauen haben ein Jahr lang an diesem Bericht, am QDR, gefeilt. Sie vertreten sämtliche Teilstreitkräfte und sind durchaus stolz, an dem Report mitgeschrieben zu haben. Denn natürlich geht es auch darum, für seinen jeweiligen Bereich zu trommeln und Geld loszueisen. Geld, das letztendlich vom US-Kongress bewilligt werden muss. Alle vier Jahre wird diese Bestandsaufnahme den Senatoren und Abgeordneten vorgelegt. Warum, das erklärt Gebhard Schweigler, Professor am National War College etwas außerhalb von Washington so:

O-Ton Schweigler
„Das Verteidigungsministerium muss natürlich diesen Bericht vorlegen, denn das muss auch jeweils rechtfertigen, was ist eigentlich mit den Geldern, die ja in der Zwischenzeit sehr umfangreich sind, mehr als 700 Milliarden Dollar für das nächste Haushaltsjahr, was will das Ministerium damit anfangen. Insofern ist das schon sinnvoll, dass man einen solchen Bericht vorlegt.“

Anfang Februar hat nun Robert Gates den Vierjahres-Report vorgestellt. Es ist sein erster als Chef im Pentagon. Für den Minister ist der mehr als 100 Seiten umfassende Bericht „eine Analyse in Kriegszeiten":

O-Ton Gates (overvoice)
„Als oberste Priorität müssen wir die heutigen Kriege gewinnen. Es ist das erste Mal, dass dieses Ziel in diesem Report überhaupt vorkommt".

Wie dominierend die Einsätze in Afghanistan und im Irak sind, macht ein Blick auf den US-Verteidigungshaushalt deutlich. Von den insgesamt 708 Milliarden Dollar im nächsten Jahr gehen 159 Milliarden Dollar auf das Konto der Kriege:

O-Ton Gates (overvoice)
„Unsere Ziele in Afghanistan und im Irak zu erreichen, sind bei der Haushalts- Rüstungs- und Militärplanung ganz nach oben gerückt. Uns ist bewusst, dass unsere Fähigkeiten, mit den Bedrohungen der kommenden Jahre umzugehen, ganz entscheidend von unserem Erfolg bei den jetzigen Konflikten abhängen.“

Der inzwischen mehr als acht Jahre währende Kampf der USA gegen Terroristen wie die Taliban und Al Qaida ist für Robert Gates das Maß der Dinge. Das Ziel aus den 90er Jahren, gleichzeitig zwei große konventionelle Kriege führen zu können, hat ausgedient. Das nennt der Minister inzwischen „ein überholtes Konstrukt" und „unrealistisch":

O-Ton Gates (overvoice)
„Was ist, wenn bei uns im Land eine Katastrophe passiert oder wieder so etwas wie in Haiti oder wir in ein weiteres Gefecht verwickelt werden? Im Vergleich zum Beginn der 90er Jahre ist die Welt sehr viel komplexer geworden.“

Das US-Militär auf diese kompliziertere Welt auszurichten, darum geht es in der Vierjahresübersicht. Robert Gates weiß, wie schwierig und tückisch eine solche Planung ist:

O-Ton Gates (overvoice)
„Wir haben durch schmerzvolle Erfahrungen gelernt, dass die Kriege, die wir geführt haben, nur sehr selten die sind, die wir auch geplant haben."

Vor den Terroranschlägen vom 11. September 2001 haben Militär- und Geheimdienstexperten zwar schon über „asymmetrische Kriegsführung" gesprochen, aber gerüstet waren sie dafür dennoch nicht. Das hat sich in den vergangenen Jahren etwas geändert und soll sich jetzt noch stärker ändern.

„Rebalancing" – „Umorientieren" ist in diesem Zusammenhang das neue Lieblingswort von Verteidigungsminister Gates. Das heißt: weg von konventionellen Jagdflugzeugen wie den F-22 oder dem Milliardengrab, den F-35. Hin zu flexiblem und auf asymmetrische Kriegsführung ausgerichtetem Gerät: wendige Hubschrauber, gepanzerte Fahrzeuge zum Schutz der eigenen Soldaten gegen selbstgebastelte Bomben von Taliban und Al Qaida, mehr Drohnen - zur Überwachung und zum Beschuss von Feinden. Außerdem weitere Spezialkräfte für Geheimoperationen:

O-Ton Schweigler
„Da sieht man schon die Handschrift des Verteidigungsministers und die Handschrift des Präsidenten",

meint der Professor am National War College in der Nähe von Washington, Gebhard Schweigler.

Auch an anderen Stellen ist die Handschrift des Republikaners Gates und seines demokratischen Präsidenten Obama klar zu erkennen: zum ersten Mal überhaupt tauchten in dem Vierjahres-Bericht der Klimawandel und die Energiesicherheit auf. Das Thema „internationale Zusammenarbeit mit Alliierten und Partnern" zieht sich wie ein roter Faden durch den Report. Nun ist es längst nicht das erste Mal, dass die USA dies beschwören. Viele Militärs anderer Nationen - darunter auch Deutschland - wissen jedoch, wie schwer sich Amerikaner damit in der Vergangenheit ein ums andere Mal getan haben:

O-Ton Schweigler
„Da kommt es dann allerdings vielleicht am Ende doch auf die Tonlage an. Das heißt, wenn der Präsident, wenn die allgemeine Politik darauf hin ausgerichtet ist, die stärkere Zusammenarbeit mit den Verbündeten zu suchen, dann wird möglicherweise auch vor die Zusammenarbeit besser sein. Aber das wird immer ein Problem bleiben."

Den USA sei inzwischen allerdings klar, dass sie die Krisen dieser Welt nicht mehr alleine bewältigen können, so Professor Schweigler.

Prävention und Hilfe zur Selbsthilfe für Staaten, die sich auf der Kippe befinden, sind ein weiterer Schwerpunkt in dem Bericht. Damit die US-Armee erst gar nicht einmarschieren muss. Eine Art Investition in die Zukunft, um Geld und Truppen zu sparen, erklärt der Generalstabschef der US-Streitkräfte, Michael Mullen, und nennt den Jemen als Beispiel:

O-Ton Mullen (overvoice)
„So dass wir eine belastbare Beziehung haben, lange bevor es zum Konflikt kommt. Andere Staaten zu unterstützen, damit sie sich selbst um ihre eigenen Probleme kümmern können, ist absolut wesentlich.“

Es gibt noch eine Reihe anderer Themen, die in dem Report als Schwerpunkte genannt werden: der Umgang mit Cyber-Terrorismus, also Hacker-Angriffen auf Rechner von US-Behörden, natürlich die Atomprogramme des Iran und Nordkoreas, generell die Gefahr, dass Terroristen in den Besitz von Atomwaffen gelangen, der Schutz davor durch eine funktionierende Raketenabwehr, und, und, und. Es gibt kein sicherheitspolitisches Problem, das in dem Quadriennel Defense Review nicht aufgegriffen wird. Es würden in dem Bericht schlicht keine Prioritäten gesetzt, kritisieren deswegen viele Experten in Washington. Und Gebhard Schweigler vom National War College weist noch auf einen weitere Schwachstelle hin:

O-Ton Schweigler
„Die größte Überraschung: die umfangreiche Wunschliste und die Tatsache, dass in Anbetracht der Haushaltsmisere viele dieser Wünsche nicht erfüllbar sein werden."

Denn eins ist klar: auch wenn der Verteidigungsetat für das nächste Jahr um rund zehn Milliarden Dollar auf über 700 Milliarden Dollar ansteigen soll, so hat die große Streitmacht USA große Geldprobleme. Und wie sie die in den Griff bekommen will - das steht leider nicht in dem Bericht.

* Aus: NDR-Sendereihe Streitkräfte und Strategien, 13. Februar 2010; www.ndrinfo.de

Siehe auch:
Washingtons Frieden
Aufrüstung zur "Förderung des Gemeinwohls". Die Quadrennial Defense Review des Pentagon untermauert globale US-Kriegsstrategie / Executive Summary


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