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Präsident Obama bittet um Geduld

Durchwachsenes Echo auf die große Wahlkampfrede beim Parteitag der US-Demokraten

Von Max Böhnel, New York *

USA-Präsident Barack Obama hat Donnerstagnacht mit seiner Nominierungsrede den Parteitag der Demokraten ausklingen lassen. Seine wichtigste Wahlkampfrede war solide, blieb den meisten Beobachtern zufolge aber hinter den Erwartungen zurück.

In seiner 39-minütigen Ansprache zog Obama, der für eine zweite Amtszeit kandidiert, eine Teilbilanz der vergangenen vier Jahre und bat um Geduld. Die Wirtschaftskrise sei so stark ausgeprägt, dass sie nicht innerhalb weniger Jahre behoben werden könne, sagte er. Konkret versprach der Präsident eine Million neue Arbeitsplätze, die Halbierung der Ölimporte bis 2020 und die Reduzierung des Haushaltsdefizits um vier Billionen Dollar in den kommenden zehn Jahren. Die Gesundheitsreform, die einen Großteil seiner Bemühungen beansprucht hatte, streifte Obama nur kurz. Eine »Vision« für die kommenden vier Amtsjahre ließ er ganz vermissen.

Dabei hatten ihm die fulminanten Parteitagsauftritte von First Lady Michelle Obama, Ex-Präsident Bill Clinton und zuletzt von Vizepräsident Joe Biden Vorlagen geliefert. Vier Jahre nach seinem Reform-Wahlwahlkampf, der noch von »hope« (Hoffnung) und »change« (Wandel) geprägt war, sei Obama »in der Realität angekommen«, schreibt die »New York Times« zur Rede. Die »Washington Post« kommentiert: »Zeitweise fühlte sich das eher an wie eine Regierungserklärung statt wie eine Parteitagsrede.« Im viel gelesenen Washingtoner Politblog »Politico« konnte man lesen, Obama habe »etwas Hoffnung, nicht viel Wandel und haufenweise Spott« für den republikanischen Kandidaten Mitt Romney geliefert. Das Magazin »The Atlantic« sprach von einem »verblüffend leblosen Auftritt«.

Die Strategen und Anhänger der Demokratischen Partei hatten sich von dem dreitägigen Parteitag, der nach der Convention der Republikaner für deren Kandidaten Mitt Romney stattfand, einen Umfragesprung nach oben erwartet. Doch daraus wird mit großer Sicherheit nichts. Erste Erhebungen des täglichen Meinungsumfragedienstes Gallup ergaben, dass Obama nun auf 47 Prozent kommt, Romney auf 46. Das Duell bleibt so eng, so als hätten die Parteitage nicht stattgefunden. Seit Monaten liegen die Kandidaten Kopf an Kopf.

Zudem wurden am Freitag die neuesten Zahlen des Arbeitsministeriums zum Arbeitsmarkt erwartet. Die Tageszeitung »USA Today« nannte jetzt als einzig relevante Wahlkampfthemen die Arbeitslosigkeit, die sich amtlichen Zahlen zufolge hartnäckig bei über acht Prozent bewegt, und die nicht greifende Arbeitsmarktpolitik der Regierung. Die Aussichten für eine Wiederwahl Obamas am 6. November stünden dann aber vergleichsweise schlecht. In den letzten Jahrzehnten wurde kein einziger Präsident wiedergewählt, wenn die Arbeitslosigkeit bei über sieben Prozent lag.

Daran knüpften die Wahlkampfstrategen von Mitt Romney noch unmittelbar vor der Obama-Rede an. In einem Wahlkampfvideo geißelte Obamas Herausforderer den Mangel an Arbeitsplätzen und das riesige Haushaltsdefizit. Dem Amtsinhaber stehe es nicht an, »neue Versprechungen zu machen«, er solle lieber über seine Versprechen Bilanz ziehen«.

Der Wahlkampf wird sich in den kommenden Wochen auf die wenigen »swing states« verlagern, in denen die Kandidaten Kopf an Kopf stehen. Als nächster Termin von landesweiter Bedeutung vor einem Millionenpublikum ist die erste Fernsehdebatte zwischen Obama und Romney am 3. Oktober vorgesehen, gefolgt von drei weiteren Duellen.

* Aus: neues deutschland, Samstag, 8. September 2012


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