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Drohgebärden aus London

Großbritannien fürchtet vor Referendum in Schottland globalen Einflußverlust und droht mit Entzug des Pfunds. Regionalregierung in Edinburgh bremst repressive Steuer aus

Von Christian Bunke, Manchester *

In der Debatte um die mögliche Unabhängigkeit Schottlands von Großbritannien hat sich der Ton in den vergangenen Tagen verschärft. Zwar ist es bis zum Referendum am 18. September noch weit, doch das Antiunabhängigkeitslager hat eine offensichtlich koordinierte Kampagne von Stellungnahmen gestartet, um die schottischen Nationalisten der SNP von Alexander Salmond unter Druck zu setzen. Zunächst erklärte der britische Finanzminister George Osborne, ein unabhängiges Schottland könne nicht Teil einer Währungsunion mit Großbritannien sein. Schottland werde das britische Pfund aufgeben müssen. Das wurde umgehend vom Schattenfinanzminister Edward Balls bestätigt. Seine Labour-Partei sehe das genauso. Schließlich durfte sich auch Daniel Alexander, Repräsentant der Liberaldemokraten im Finanzministerium, äußern. Auch er lehnte eine Währungsunion ab.

Doch nicht nur die Haltung Großbritanniens ist für die SNP problematisch. Denn auch EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso kippte kaltes Wasser auf die Währungsunionshoffnungen eines unabhängigen Schottlands. In einem BBC-Interview erklärte er, daß EU-Mitgliedsstaaten, in denen es ebenfalls nach Unabhängigkeit strebende Autonomieregionen gibt, eine EU- oder gar Euro-Mitgliedschaft eines unabhängigen Schottlands mit Sicherheit blockieren würden. Sowohl die Möglichkeit einer Währungsunion mit Großbritannien als auch die EU-Mitgliedschaft sind Eckpfeiler des SNP-Entwurfs für die Unabhängigkeit Schottlands. Nach den obigen Stellungnahmen vom vergangenen Wochenende scheinen dafür die Bündnispartner zu fehlen.

Salmond reagierte am Montag. Am Tag nach der Unabhängigkeitsentscheidung werde die britische Regierung wieder anders reden. Die Drohungen Londons seien nichts anderes als Mobbing. Auch die Äußerungen Barrosos versuchte er zu entkräften. Bislang habe kein EU-Land, nicht einmal Spanien, ein Veto gegen eine schottische Mitgliedschaft angekündigt.

Der schärfer werdende Ton reflektiert das wachsende Unwohlsein im Lager der britischen Unionisten. Die Umfragewerte für eine Unabhängigkeit sind in Schottland höher als befürchtet. Derzeit liegen sie zwischen 37 und 40 Prozent. Zwischen zwölf und 14 Prozent der Schotten sind noch unentschlossen. Im vergangenen September demonstrierten über 20000 Menschen in Edinburgh für die Unabhängigkeit. In London fürchtet man den mit einer Loslösung Schottlands einhergehenden globalen Einflußverlust Großbritanniens und gar das komplette Auseinanderfallen des Vereinigten Königreichs. Schließlich gibt es in Wales ebenfalls eine Unabhängigkeitsbewegung, und auch der Nordirlandkonflikt nimmt wieder an Schärfe zu.

Der starke Zuspruch für die Unabhängigkeitskampagne liegt in der Hoffnung großer Teile der Bevölkerung begründet, ein unabhängiges Schottland werde keine Kürzungsmaßnahmen umsetzen. Nicola Sturgeon, stellvertretende schottische Premierministerin, versuchte dieser Hoffnung unlängst Ausdruck zu geben, als sie sagte: »Ein Ja zur Unabhängigkeit bedeutet, daß die Zukunft Schottlands in schottischen Händen liegt. Nie mehr werden wir eine konservative Regierung, einen konservativen Premierminister und eine Politik, für die wir nicht gestimmt haben, erdulden müssen.«

Zwar macht auch die SNP immer wieder klar, Sparmaßnahmen für unvermeidlich zu halten, und auch ihre Währungspläne würden Schottland an die Budgetketten anderer Länder legen. Doch die Hoffnungen auf eine andere Politik werden durch die jüngste Entscheidung des schottischen Regionalparlamentes gestärkt, die sogenannte »Bedroom Tax« nicht umzusetzen. Dabei handelt es sich um eine in London beschlossene Repressionsmaßnahme gegen Mieter von Sozialwohnungen. Diese müssen für »überflüssige« Zimmer in ihren Wohnungen eine Steuer bezahlen oder in ein kleineres Domizil umziehen. Die schottische Regionalregierung wird die Kosten dieser Zwangsabgabe ab dem ersten April übernehmen. Somit muß kein Schotte die Steuer zahlen. Für die Steuergegner, die in den vergangenen Monaten zunehmend Druck auf die SNP aufgebaut hatten, ist das ein großer Erfolg.

* Aus: junge Welt, Mittwoch 19. Februar 2014


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