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Londons Mitschuld soll ans Licht

Klage gegen britischen Staat wegen Verwicklung in Folterpraxis der USA

Von Gabriel Rath, London *

Die britische Menschenrechtsgruppe Reprieve verlangt von der britischen Regierung, offenzulegen, was sie über die berüchtigten US-amerikanischen Auslieferungsflügen wusste. Am Fall eines Entführten soll die Verwicklung Londons in Misshandlungspraktiken nachgewiesen werden.

In der Verurteilung von Folter findet die britische Politik eines der wenigen Themen, auf das sich alle wichtigen Parteien einigen können. Die UNO-Konvention gegen Folter unterzeichnete London in den 80er Jahren, mit Stolz verweist man darauf, dass der letzte Fall staatlich angeordneter Misshandlung im Königreich aus dem Jahr 1641 stammt. Doch inzwischen ist offensichtlich, dass die britische Haltung im »Krieg gegen den Terror« seit den Anschlägen vom 11. September 2001 alles andere als ehrenhaft war.

Die Menschenrechtsgruppe Reprieve kündigte zu Wochenbeginn eine Klage gegen die britische Regierung wegen Verwicklung in die berüchtigten US-Auslieferungsflüge an. Damit waren Terrorverdächtige in den vergangenen Jahren aus dem asiatischen und nordafrikanischen Raum unter anderem auf US-amerikanisches Territorium gebracht worden, wo sie etwa im berüchtigten Gefangenenlager Guantanamo festgehalten wurden. Guantanamo aber ist weit, die US-Maschinen mussten geheime Zwischenlandungen auf dem Gebiet anderer Staaten einlegen.

Reprieve will am Beispiel von Mohammed Saad Iqbal Madni, einem Opfer dieser Praxis, den Beweis erbringen, dass der britische Staat zumindest zum Helfer bei der Folter wurde. Das Flugzeug, das Madni von Indonesien ausflog, soll nämlich auf dem britischen Stützpunkt Diego Garcia im Indischen Ozean einen Tankstopp eingelegt haben. Madni landete schließlich nach einem Zwischenaufenthalt in Ägypten in Guantanamo, dort wurde er im August 2008 ohne Anklage frei gelassen. Er erklärte, in Kairo gefoltert worden zu sein. Der Chef von Reprieve, der Anwalt Clive Stafford Smith: »Auslieferungsflüge sind nichts anderes als Entführungen. Madni wurde durch Folter zum Krüppel gemacht.«

Hatte die britische Regierung lange jede Verwicklung in die illegalen Aktivitäten bestritten, musste Außenminister David Miliband im Vorjahr vor dem Parlament eingestehen, dass zumindest zwei Flüge mit Auslieferungshäftlingen auf britischem Boden gelandet waren. Die Schuld gab er der früheren US-Regierung, die »uns nicht informiert hat«.

Doch es gibt Hinweise, dass Organe des britischen Staats, wie der Geheimdienst, viel tiefer als zugegeben in illegale Praktiken verwickelt waren. Rangzieb Ahmed, der heute wegen Terrorismus in Großbritannien eine lebenslange Haft verbüßt, wurde nach eigenen Angaben in Pakistan 13 Monate lang auf Geheiß britischer Sicherheitskräfte gefoltert. Die britischen Behörden bestreiten nicht, ihren pakistanischen Kollegen »einen Fragenkatalog übermittelt zu haben«. Warum sie Rangzieb Ahmed trotz Überwachung überhaupt nach Pakistan ausreisen ließen, wollen sie freilich nicht beantworten.

Der Abgeordnete David Davies, der sich zu einem einsamen Verfechter der Grundrechte gemacht hat, wirft der Regierung in diesem Zusammenhang das »Outsourcing von Folter« vor. Bis zu 15 derartige Fälle habe es gegeben, meinte er kürzlich und forderte wie nun auch Reprieve die Offenlegung aller Informationen. Die Regierung freilich blockt ab: »Eine völlige Freigabe aller Einzelheiten würde die Sicherheitszusammenarbeit mit den USA gefährden«, teilte Außenminister Miliband dem Parlament mit.

* Aus: Neues Deutschland, 30. Juli 2009


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