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Männerfreundschaft in der Downing Street

Premier Cameron und sein Vize Clegg wollen das britische Königreich umkrempeln

Von Ian King, London *

Eine Woche nach der Parlamentswahl in Großbritannien hat die neue Koalitionsregierung ihre Arbeit aufgenommen. Sie versprach eine Wende in der Politik des Königreichs.

Das Liebespaar flötete verliebt, man nannte sich beim Vornamen, sprach die Sätze des jeweils anderen vergnügt zu Ende, lachte zusammen bei der Pressekonferenz im romantischen Rosengarten der Downing Street. Ein rührendes Bild der Männerfreundschaft zwischen dem konservativen Premier David Cameron und seinem liberalen Stellvertreter Nick Clegg.

Rückblende. »Der beste Witz, den ich kenne? Nick Clegg«, tönte Cameron im Wahlkampf. »Warum verbünden Sie sich im Europa-Parlament mit Nazis, Homophoben und Irren?«, fragte Clegg zurück. Beide hatten recht. Aber beide wollten an die Macht und das ging nur zusammen, nicht getrennt. Vergessen die Grundsätze, die Geringschätzung, die aggressive Rhetorik: Hier hatten sich zwei Ehrgeizlinge zusammengerauft.

»Eine historische Koalition«, gelobte Cameron, »wir sind vereint, bringen Britannien eine starke und stabile Regierung.« Das Finanzdefizit wollen sie verkleinern, die britischen Truppen in Afghanistan unterstützen, das politische System sauber machen, eine stärkere Gesellschaft bauen. Es sei eine neue Art von Regierung, so Clegg, »für eine neue Politik und radikale Reformen«. Cameron und Clegg haben in der Tat außer dem Willen zur Macht weitere Gemeinsamkeiten. Sie genossen auf Eliteschulen und -universitäten alle möglichen Privilegien der britischen Klassengesellschaft: Cameron ist Eton-Zögling, studierte und knüpfte nützliche Kontakte in Oxford, Clegg besuchte die teure Westminster-Schule und ist Cambridge-Absolvent. Der eine ein relativ liberaler Konservativer, der andere der konservativste Liberalenchef seit Menschengedenken.

Einige fähige Mitstreiter sitzen mit ihnen im Kabinett. Der geachtete liberale Finanz- und Bankenexperte Vince Cable kann ein guter Wirtschaftsminister werden, der europafreundliche Tory-Routinier Ken Clarke als Justizminister, die Konservativen Theresa May im Innenministerium oder Michael Gove als Schulminister sind zweifellos kompetent. Dann stellen sich jedoch Zweifel ein. An der Spitze des Außenministeriums steht nicht Clegg als Chef des kleinen Partners, wie es in Deutschland der Fall wäre, sondern der schlagfertige konservative Europa-Hasser William Hague. Finanzminister und Camerons (sehr) rechte Hand bleibt wie geplant »Boy George« Osborne, der ebenfalls rechte Liam Fox zieht ins Verteidigungsministerium ein. Im Märchen hat der Wolf Kreide gefressen. Diese unheilige Troika macht sich nicht einmal die Mühe.

Und das Koalitionspaket? Schnelle, milliardenteure Kürzungen im Etat sind womöglich Gift für die noch schwachbrüstige Konjunktur mit zweieinhalb Millionen Arbeitslosen, also wurden sie beschlossen. Weniger Kindergeld, dafür bleibt es beim Bau neuer Atom-U-Boote - die Liberalen sind eingeknickt. Auch bei der erschwerten Einwanderung von Nicht-EU-Ausländern und beim Bau neuer Atomkraftwerke haben sich die Konservativen durchgesetzt; die berechtigte Skepsis der Liberalen wich der Koalitionsräson. Dafür soll die von den Tories geplante Liberalisierung der Erbschaftsteuer zugunsten der Reichen auf Eis gelegt werden und Niedrigverdiener sollen von der Lohnsteuer befreit werden: Tropfen auf den heißen Stein.

Vor allem das konservative Versprechen einer Volksabstimmung über die Einführung einer abgeschwächten Form des Verhältniswahlrechts hat Clegg wohl in den meisten Fragen zum Einlenken bewegt. Aber die Anhänger des bestehenden Mehrheitswahlrechts werden wohl mehr Geld und größere publizistische Unterstützung im Kampf bekommen als die Reformer.

* Aus: Neues Deutschland, 14. Mai 2010


Wortgewaltig

William Hague / Als Tory-Chef gescheitert, versucht er sich als britischer Außenminister

Detlef D. Pries **


Zwei Tage nach seiner Ernennung zum »Secretary of State for Foreign and Commonwealth Affairs« wird William Hague (49) heute in Washington mit Kollegin Hillary Clinton zusammenkommen. Der neue britische Außenminister strebt nach eigenen Worten »solide, aber nicht unterwürfige« Beziehungen zu den USA an. Kommt darin Distanz zur Politik Barack Obamas zum Ausdruck? Es heißt, der Stil George W. Bushs habe William Hague mehr gelegen. In der Unterstützung des Bush-Kriegs gegen Irak war sich der Konservative - seltener Fall - sogar mit Labour-Premier Tony Blair einig.

Der Sohn eines Limonadenherstellers aus Richmond in Yorkshire bekam von seiner Mutter zum 15. Geburtstag die Mitgliedschaft in der Tory-Partei geschenkt. Bei deren Kongress ein Jahr später soll er Margaret Thatcher durch eine flammende Rede beeindruckt haben. Nach dem Studium in Oxford zunächst als Unternehmensberater tätig, wurde Hague als 28-Jähriger 1989 ins Unterhaus gewählt und 1995 von Premier John Major zum Minister für Wales ernannt. Dort, in Wales, lernte er auch seine Frau Ffion Jenkins kennen, die Regierungsbeamtin war.

Majors Wahlabsturz 1997 bedeutete den Aufstieg für Hague: Er war der jüngste Vorsitzende der Konservativen Partei seit rund 200 Jahren - und wurde der erste reguläre Tory-Chef nach rund 80 Jahren, der nicht in Nr. 10 Downing Street einziehen durfte, den Sitz des Premierministers. Denn 2001 erlitt seine Partei ein weiteres Wahldebakel und Hague trat umgehend vom Vorsitz zurück.

In den folgenden Jahren verfasste er Politikerbiografien und hielt Konferenzreden, die ihn zum bestbezahlten Abgeordneten machten. Geschätztes Vermögen: 2,2 Millionen Pfund. Erst 2005, als David Cameron Chef der Konservativen wurde, rückte Hague als dessen Schattenaußenminister wieder auf die vordere Parlamentsbank. Auf seinen Rat hin zog Cameron die Tory-Abgeordneten im EU-Parlament aus der Fraktion der Europäischen Volkspartei (EVP) ab, denn Hagues Argwohn gegenüber »Europa« ist noch größer als der gegen Obama. In den jüngsten Koalitionsverhandlungen mit den Liberalen soll er sich zwar kompromissbereit gezeigt haben, doch sagt man, für seinen Traumjob tue Hague alles. Jetzt hat er ihn.

** Aus: Neues Deutschland, 14. Mai 2010

Dokumentiert

Im Folgenden dokumentieren wir eine erste Stellungnahme der britischen Friedensbewegung "Stop the War Coalition" zur neuen Regierungskoalition.

AFGHANISTAN: THE WAR THAT WON'T GO AWAY

The war in Afghanistan hardly featured in the election and the new Conservative-Lib Dem coalition government will want to continue avoiding the issue, except to insist nonsensically that withdrawing the troops would bring the Taliban to Britain's streets.

In this they will be joined by the Labour opposition, but there is a dilemma facing all three parties: the majority of people in Britain do not agree with them and want the troops withdrawn within a year - one recent poll showing that 77 percent want an end to the war now.

Most people question the purpose of the war. Few believe it is really making Britain safer, and the suggestion that it is improving human rights or women's rights is clearly refuted by the reality of deteriorating conditions in Afghanistan.

We have seen in the past year how the war can suddenly push itself to the top of the news agenda, as it did last Summer when a US-led offensive in Helmand province brought a sharp increase in British casualties, and for weeks soldiers' funerals at Wootton Bassett were featured prominently in the media.

With an assault on Kandahar - Afghanistan's second biggest city - apparently imminent, we may be about to see this futile and unwinnable war moving again to the centre of the political stage.

As we face severe cuts in public expenditure due to the economic crisis, the call for the troops to come home will be strengthened by the argument that cuts should not come from services like health and education, but from scrapping Trident nuclear missiles (projected cost £100 billion) and ending the wars in Iraq and Afghanistan (currently costing many billions every year).

Last December, David Cameron told The Sun newspaper, "I will never cut and run from Afghanistan", meaning he would rather send soldiers to kill and die in a war which has no purpose other than to save the face of the warmongers who took us into it in the first place.

Now David Cameron is prime minister, it is the task of the anti-war movement to help end the pointless waste of Afghan and British lives, by maximising the pressure on him to cut and run, not just from Afghanistan, but from Britain's continual subservience to American war policies.

Quelle: STOP THE WAR COALITION, Newsletter No. 1153, 12 May 2010




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