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Britische Lords kennen keine Gnade

Heimkehr der Ilois endgültig abgelehnt

Von Jochen Reinert *

Der Fischersohn Jhingoor Baptiste, der 1973 mit seiner Familie von den Tschagos-Inseln deportiert wurde, schöpfte in den letzten Jahren die Hoffnung, seine Heimat eines Tages wiederzusehen. Doch die »Law Lords«, höchste Instanz der britischen Justiz, verwehrten den Ilois jetzt endgültig das Rückkehrrecht.

Jhingoor Baptiste, der seit 1985 in Oslo lebt, kann es nicht glauben. Die von ihrem Archipel im Indischen Ozean Vertriebenen, die 1992 eine politische Bewegung für die Wahrung ihres Heimatrechts gebildet hatten, verbuchten am 3. November 2000 einen ersten Erfolg: Das Londoner Oberste Gericht erklärte die Deportationen für illegal und gestand den Ilois, die sich auch Tschagossianer nennen, das Recht auf Rückkehr zu. Er selbst, der sich einige Jahre als Europa-Sprecher der Ilois-Exilregierung engagierte, konnte das auch als seinen Erfolg verbuchen.

Doch die britische Regierung ließ nichts unversucht, die Ilois-Bewegung zu bremsen. 2004 erließ die britische Königin eine »Order in Council«, die jenes hoffnungverheißende Urteil aufhob. Drei Jahre später aber ein neuer Erfolg der Ilois: Ein Londoner Gericht verurteilte das königliche Verdikt als rechtswidrig. Aber jetzt will die Kolonialmacht mit dem Urteil der »Law Lords« - das mit drei zu zwei Stimmen gefasst wurde - ein für alle Mal den Anspruch der Ilois auf Rückkehr beenden.

»Die Menschenrechte eines kleinen Volks müssen wiederum vor den geopolitischen Interessen der Großmächte weichen«, kommentierte der norwegische Journalist Erik R. Selmer in seinem Artikel in »Dagsavisen« die Londoner Entscheidung. Lord Hoffmann, einer der Richter, der gegen die Ilois votierte, habe in seiner Urteilsbegründung zugegeben, in die »unschuldige Welt« der Ilois habe sich »die brutale Wirklichkeit der globalen Politik gedrängt«. Zugleich argumentierte Lordrichter Hoffmann offen: Es ist das Recht der britischen Regierung, Rücksicht auf die Interessen des Verbündeten zu nehmen.

Die auf diese Weise gerechtfertigte brutale Verletzung der Rechte eines kleinen Volkes begann 1965, als die britische Kolonialmacht mit den USA einen Kuhhandel einging. Der Kern war die Verpachtung des von Mauritius abgetrennten Tschagos-Archipels an die USA zur Errichtung einer Militärbasis. Die Briten mussten sich dabei - auch um Polaris-Raketen zu bekommen - verpflichten, die Inselgruppe von Menschen zu säubern. Das bereitete ihnen damals wie heute keine moralischen Probleme: Kraft der Vertreibung und falscher Versprechungen lieferte London 1973 »besenreine« Palmeninseln. Damit war der Grund für die USA-Basis Diego Garcia gelegt, die heute für die Kriege in Irak und Afghanistan eine erhebliche Rolle spielt.

2006 erlebte Jhingoor Baptiste bei einem Besuch in Mauritius, dem wichtigsten Exilland der heute etwa 6000 Ilois, wie optimistisch viele der Vertriebenen waren. Als Zugeständnis hatten die Briten einer Gruppe von 102 Ilois gestattet, auf den Tschagos-Inseln ihre alten Wohnstätten zu besuchen. Die Ilois, die meisten sind katholische Christen, waren erschüttert. Die Plantagen, auf denen sie einst gearbeitet hatten, waren zerstört, ihre Kirchen und Friedhöfe verfallen. Die Antwort der Ilois auf das Urteil der Lordrichter: Während einer Demonstration vor dem britischen Parlament zeigten sie auf Plakaten immer wieder ihre Forderung nach dem Rückkehrrecht. »Wir sind sehr enttäuscht über das Urteil«, erklärte Oliver Bancoult von der Chagos Refugees Group, »aber wir ergeben uns nicht.«

Der norwegische Journalist Selmer gab seiner Regierung eine interessante Empfehlung. Nachdem der Osloer Staatssekretär Raymond Johansen unlängst auf Menschenrechtsreise in Lhasa und Peking war, sollte er jetzt zugunsten der Ilois nach London aufbrechen. Jhingoor Baptiste denkt manchmal auch: Oslo könnte so etwas auch als Wiedergutmachung für die Beteiligung des norwegischen Schiffes »M/S Nordvaer« an der Deportation sehen.

* Aus: Neues Deutschland, 5. November 2008


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