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Flankenschutz aus Ankara

Auf Kriegskurs: Die Regierung Erdogan unterstützt islamistische "Gotteskrieger" bei deren "Beutezug" in Syrien

Von Karin Leukefeld *

Beim EU-Außenministertreffen am Wochenende in Athen wurde die türkische Regierung wegen der Sperrung der Internetdienste Twitter und Youtube kritisiert. Nicht der Rede wert war bei dem Treffen offenbar die Rolle des NATO-Partners Türkei im Krieg in Syrien. Söldner, die aus Saudi-Arabien und Katar finanziert werden, würden zu Hunderten aus Jordanien in die Türkei gebracht, berichtete am Wochenende die libanesische Zeitung Al-Akhbar unter Berufung auf eine namentlich nicht genannte Quelle der syrischen Opposition. Diese wiederum gab an, von glaubwürdigen Quellen der jordanischen Sicherheitskräfte darüber informiert worden zu sein.

Nach syrischen Angaben stammen die »Gotteskrieger« aus 83 verschiedenen Staaten. Diejenigen, die jetzt in die Türkei geflogen werden, seien in militärischen Lagern nördlich von Amman von jordanischen und US-Geheimdienstkräften ausgebildet worden, so Al-Akhbar. Startpunkt der Luftbrücke sei der Flughafen Marka (Amman), der heute vorwiegend von den jordanischen Streitkräften genutzt wird. Landeflughafen sei Antakya in der türkischen Provinz Hatay.

Allein in der vergangenen Woche seien »Tausende Gotteskrieger« nach Antakya geflogen worden, wo sie mit dort stationierten Kampfverbänden zusammengeführt worden seien. Unter den in der Türkei wartenden Kämpfern seien Tschetschenen, die die Kampfgruppen nach Lattakia angeführt hätten. Ungehindert von der Türkei operieren diese Brigaden unter der Fahne der Al-Qaida. Verletzte werden Augenzeugenberichten zufolge zurück in die Türkei gebracht, wo sie medizinisch versorgt werden.

Besonders heftig tobt der Kampf derzeit im Grenzort Kasab, der die türkische Provinz Hatay und die syrische Provinz Lattakia verbindet. Kasab liegt auf etwa 800 Metern Höhe über dem Mittelmeer und ist ein vorwiegend von armenischen Christen bewohnter Luftkurort. Viele Einwohner sind direkte Nachfahren der 1915/16 von den Osmanen verfolgten Armeniern. Vor etwa drei Wochen gab es erste Meldungen von Überfällen Bewaffneter auf die Einwohner von Kasab, die kurz darauf zu Tausenden flohen. Fotos zeigen, daß auf mindestens einer Kirche am Ort die Kreuze durch die Fahne der Al-Qaida ersetzt wurde.

Die grenzüberschreitende Offensive der islamistischen Kampfverbände soll nach Auskunft von »syrischen Aktivisten« die syrischen Streitkräfte im Norden des Landes binden, um Assad-Gegnern in anderen Teilen des Landes Luft zu verschaffen. Im Umland von Damaskus hatte die Armee zuletzt örtliche Waffenstillstände mit lokalen Kämpfern vereinbart. In den Qalamun-Bergen konnte die syrische Armee kürzlich die letzte Nachschublinie der Kämpfer aus dem Norden Libanons abschneiden.

Nach dem Abschuß eines syrischen Kampfjets (24.3.2014) durch türkische Artillerie unweit von Kasab gab es für die Kämpfer offenbar kein Halten mehr. Neben Kasab sollen weitere Dörfer eingenommen worden sein, allerdings ist die Informationslage unübersichtlich. Umkämpft ist syrischen Militärquellen zufolge auch die Anhöhe 45, ein militärischer Beobachtungsposten. Dieser sei von den Terroristen zunächst eingenommen, dann aber von den syrischen Streitkräften zurückerobert worden. Ziel der »Gotteskrieger« ist offenbar, gleichzeitig strategische Militärposten auf den Höhen und an der Küste einzunehmen. Die Schlacht wird von der Nusra-Front und der »Islamischen Front« unter dem Namen »Anfal« geführt. »Anfal« bedeutet »Beute«, die »Gotteskriegern« in der 8. Sure des Koran zugesprochen wird.

Eine Gruppe von Reportern konnte vor wenigen Tagen die Front etwa 15 Kilometer südlich von Kasab, bei Badrousieh, sehen, wo sie Zeugen von schweren Kämpfen wurden. Der zuständige Kommandeur erklärte, Kasab sei aus vier Richtungen angegriffen worden. Die »terroristischen Gruppen« agierten mit »eindeutiger Unterstützung« der türkischen Regierung. Vor wenigen Tagen war auf Youtube der Mitschnitt eines Treffens zwischen dem türkischen Außenminister Ahmet Davutoglu und türkischen Militärs veröffentlicht worden (jW berichtete). Darin war darüber diskutiert worden, wie man einen Vorfall inszenieren könne, der einen türkischen Truppeneinmarsch in Syrien (gegenüber der NATO) rechtfertigen könne. Die türkische Regierung hatte nach der Veröffentlichung Youtube sperren lassen.

Die Nachrichtenagentur Reuters berichtete am Samstag unter Berufung auf zwei namentlich nicht genannte US-Geheimdienstbeamte, daß die US-Regierung die Ausbildung und Ausrüstung »moderater« Kampfverbände gegen die syrische Regierung ausbauen werde. Die Planung der US-Behörden zur Stärkung von Kämpfern, die im Norden Jordaniens stationiert seien, sei weitgehend fertig.

* Aus: junge Welt, Montag, 7. April 2014


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