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Militäreinsatz herbeigeredet

Ungereimtheiten im Patriot-Mandat nicht ausgeräumt

Von René Heilig *

Der Bundestag beriet am Mittwoch über ein Mandat für die Entsendung deutscher Patriot-Raketen an die türkisch-syrische Grenze. Für die Regierung ist das eine Frage der Solidarität mit dem NATO-Partner Türkei. Doch darum geht es nicht allein. [Hier geht es zur Bundestagsdebatte.]

Er sei, »was militärische Optionen angeht, ohnehin grundsätzlich skeptisch und zurückhaltend«, sagte der Chef der Münchner Sicherheitskonferenz, Wolfgang Ischinger am Mittwoch im Deutschlandfunk. Doch natürlich müssten ein verantwortliches westliches Bündnis, die europäische Gemeinschaft und auch die Bundesregierung im Fall Syrien »über Optionen nachdenken«.

Optionen wofür? Wenn das Assad-Regime fallen sollte, stelle sich die Frage: Was passiert mit seinen Chemiewaffen? Die lagern bislang in sicheren Depots der regierungstreuen Streitkräfte. Doch werden die mit NATO-Hilfe vertrieben ... Man müsse sich darauf vorbereiten, das könne »auch militärische Schritte einschließen«. Abgesegnet vom UN-Sicherheitsrat, sagt Botschafter Ischinger.

Solche Überlegungen hätten angestellt werden müssen, bevor die NATO einseitig und aktiv Partei nahm im syrischen Bürgerkrieg. Doch sind Patriot-Raketen keine Antwort auf die Frage, die nicht nur Ischinger umtreibt. Die Abwehrsysteme sind ausschließlich geeignet, Flugzeuge und im besten Fall ballistische Raketen abzuschießen. Dass Assad solche Raketen mit Chemie-Sprengköpfen auf Rebellen abwirft, ist unwahrscheinlich, weil militärischer Unsinn. Doch selbst wenn Assad das befehlen sollte, könnten die Patriots laut vorgelegtem Bundestagsmandat nicht eingesetzt werden: Die Raketen und das AWACS-Radarsystem dürfen »nicht der Errichtung oder Überwachung einer Flugverbotszone über syrischem Territorium« dienen. Ist ein Raketenschlag gegen die Türkei denkbar? Im Mandatstext liest man schwammig, dass »ein künftiger Einsatz insbesondere im Zuge einer irrationalen Endphase des Regimes von Assad nicht vollkommen ausgeschlossen« werden könne.

Dann wäre nicht nur - wie Außenminister Guido Westerwelle (FDP) nach dem Patriot-Kabinettsbeschluss betonte - eine »rote Linie« überschritten, dann würde sich das Mandat auch als ein Verbrechen gegen die eigenen Soldaten entpuppen. Die geplante deutsche 400-köpfige Expeditionstruppe verfügt weder über eine solide ABC-Abwehr noch über ausreichende medizinische Kräfte.

Solche Gedanken treiben den Bundeswehrverband um - und dafür werden die »Soldatengewerkschafter« hinter den politischen Kulissen herb gerüffelt. Auch denen bleibt der Mandatsantrag zu diffus. Um Assads Raketen sicher abzuschießen, bräuchte man PAC-3-Patriots. Die Bundeswehr hat vor zwei Jahren 24 passende Raketen angeschafft. Die wären rasch verschossen. Zudem würde man die Luftabwehr über Deutschland entblößen. Also verlegt man zumeist PAC-2-Systeme in die Türkei. Das ergibt - glaubt man der Mandatsbegründung - wenig Sinn. Diese älteren Flugkörper sind gegen Raketen nur eingeschränkt nutzbar. Aber von PAC-2-Systemen hat die Bundeswehr zu viele. Sie sollen ausgesondert werden. Warum nicht mit Symbolgehalt in die Türkei, wo US-Hersteller Raytheon seit langem um Käufer buhlt.

Nicht von der Hand zu weisen ist der Verdacht, dass die NATO mit dem Patriot-Einsatz insgeheim auch andere Absichten hegt. Ein Blick auf die Karte lässt fragen, ob es sich nicht auch um Vorarbeiten zum geplanten Raketenabwehrschirm handelt. Derartige Pläne richten sich gezielt gegen Iran - und objektiv auch gegen Russland. Davon steht im Mandat natürlich kein Wort.

* Aus: neues deutschland, Donnerstag, 13. Dezember 2012


Große Kriegskoalition

Bundestag debattiert über deutschen Militäreinsatz an syrischer Grenze. Außer der Linken: Alle dafür. Der nächste Krieg kann kommen.

Von Sebastian Carlens **


Am Freitag soll der Bundestag über den nächsten internationalen Einsatz der Bundeswehr abstimmen; am gestrigen Mittwoch befaßte er sich mit der Stationierung von Luftabwehrraketen an der türkischen Grenze zu Syrien. Dabei warb die Regierung um breite Zustimmung: Die Türkei sei das vom syrischen Bürgerkrieg »am meisten betroffene Land«, sagte Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) im Bundestag. Im November hatte Ankara bei seinen NATO-Partnern um die Entsendung von »Patriot«-Luftabwehrsystemen ersucht, der Militärpakt hatte am vergangenen Dienstag einen entsprechenden Beschluß gefaßt. Der Mandatsantrag der Bundesregierung fordert nun – unter Berufung auf »das Recht auf kollektive Selbstverteidigung« – die Entsendung »bewaffneter Streitkräfte zur Verstärkung der integrierten Luftverteidigung der ¬NATO«. Das Mandat soll bis Januar 2014 befristet sein, das Kommando beim NATO-Oberbefehlshaber liegen. Bis zu 400 deutsche Soldaten können ihren Marschbefehl erhalten.

In Syrien tobt seit knapp zwei Jahren ein Bürgerkrieg zwischen der Regierung unter Baschar Al-Assad und einer u.a. direkt von der Türkei, aber auch von Frankreich und Deutschland unterstützten Opposition. Die beiden angeforderten »Patriot«-Batterien sollen Anfang 2013 nahe der südtürkischen Stadt Kahramanmaras, rund 100 Kilometer von der Grenze entfernt, stationiert werden, kündigte Michael Link (FDP), Staatssekretär im Auswärtigen Amt, am Mittwoch an. Einer Meldung der Nachrichtenagentur dpa zufolge hatte sich bereits am Dienstag eine deutliche Mehrheit der SPD-Parlamentarier für die Bundeswehrstationierung ausgesprochen. Auch seiner Fraktion wolle er die Zustimmung empfehlen, kündigte Omid Nouripour, sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen, am Mittwoch an.

Linksparteivize Jan van Aken kritisierte die Haltung der anderen Oppositionsparteien als »nicht nachvollziehbar«. Syrien bedrohe die Türkei nicht, gegen die Chemiewaffenarsenale seien »Patriot«-Raketen außerdem nicht verwendungsfähig. Die Argumente erinnerten ihn an die US-Propaganda gegen den Irak vor zehn Jahren: »Wenn Sie noch einmal die Chemiewaffen als Argument anführen, dann sollen Sie für viele Jahre zwischen Colin Powell und George W. Bush im Fegefeuer schmoren«, so van Aken zu de Maizière. Seine Partei werde, als einzige, den geplanten Einsatz ablehnen.

Falls sich der Konflikt in Syrien, dessen Regierung auf die Unterstützung Rußlands und Chinas zählen kann, weiter internationalisieren sollte, wäre die deutsche Armee sofort in militärische Auseinandersetzungen verwickelt. Doch das Durchwinken immer neuer Kriegseinsätze ist dem Bundestag längst zur Routine geworden – und auch die Heimatfront ist eingenordet. In einem »offenen Brief« an Baschar Al-Assad, der vom Berliner Literaturfestival am Mittwoch veröffentlicht wurde, wird dem syrischen Präsidenten der Rücktritt nahegelegt. Falls er dem Vorschlag der Literaten nicht nachkäme, gebe es »nur eine andere Lösung«: »Entweder getötet zu werden, wie Saddam Hussein oder Muammar Al-Ghaddafi, oder ein Leben im Gefängnis in einer sterilen Zelle in Den Haag«, heißt es in dem unter anderem von Alfred Grosser, Martin Walser und David Grossman unterschriebenen Papier. Purer Großmachtchauvinismus. Schriftsteller als Lynchmob.

** Aus: junge Welt, Donnerstag, 13. Dezember 2012


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