Dieser Internet-Auftritt kann nach dem Tod des Webmasters, Peter Strutynski, bis auf Weiteres nicht aktualisiert werden. Er steht jedoch weiterhin als Archiv mit Beiträgen aus den Jahren 1996 – 2015 zur Verfügung.

Hat die Türkei Chemische Kampfstoffe gegen Kurden eingesetzt?

Die "Partei für Frieden und Demokratie" (BDP) erhebt schwere Vorwürfe gegen die Regierung in Ankara - Dokumentation


Die Vorwürfe sind gravierend: Die türkische Armee habe im Oktober 2011 bei ihrem Einsatz gegen kurdische Rebellen, die der PKK angehören sollen, Chemiewaffen eingesetzt. Das würden Untersuchungen einer Kommission nahelegen.

Die Türkei ist der Chemiewaffen-Konvention beigetreten, womit sie sich dazu verpflichtet hat, chemische Kampfstoffe weder einzusetzen noch zu besitzen; vorhandene Mittel müssten vernichtet werden. Ankara schweigt bisher zu den Vorwürfen.

In eine ähnliche Richtung geht eine deutsche Strafanzeige gegen den türkischen Ministerpräsidenten Erdogan, der sich zur Zeit auf Staatsbesuch in Berlin aufhält, sowie mehrere Verteidigungsminister und Generalstabschefs der türkischen Armee. Ihnen wird vorgeworfen, schwere Straftaten im Krieg gegen die kurdische Bevölkerung begangen zu haben. Angezeigt werden vom Kriegsvölkerrecht geächtete Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit in der Zeit zwischen 2003 und heute. (Siehe: Anzeige zum Staatsbesuch)

Im Folgenden also die Dokumentation des Presse-Statements der BDP.



PARTEI FÜR FRIEDEN UND DEMOKRATIE

An die Medien und die Öffentlichkeit, 31.10.2011

Nachdem am 24. Oktober 2011 in den Medien bekannt geworden war, dass die 24 Leichname in der Leichenhalle des staatlichen Krankenhauses Malatya liegen, ist eine Kommission bestehend aus Vertretern von BDP, IHD und MEYA-DER der Sache nachgegangen und hat ihren Bericht der Öffentlichkeit vorgestellt. Laut Angaben der Kommission wurden sie trotz all ihrer Bemühungen von den zuständigen Behörden nicht aufgeklärt. Und dies deutet darauf hin, dass die Personen tatsächlich unbewaffnet gewesen waren. Die Mitglieder der Kommission und die betroffenen Familienangehörigen, die Bilder der Leichname zu Gesicht bekommen haben, waren von diesem unmenschlichen Anblick entsetzt. Denn die Leichname waren zerfetzt und verbrannt.

Wie in den Medien dargestellt waren die Toten höchstwahrscheinlich PKK-Guerillas gewesen. Die Familienangehörigen und die NGOs, die die Leichen identifiziert haben, teilten der Öffentlichkeit mit, dass die Körper verbrannt waren und keine Schusswunden zu entdecken waren.

Diese Tatsache bekräftigt die Vermutung, dass es sich um den Einsatz chemischer Waffen handelte. Das Stillschweigen der Medien trotz dieser Vermutungen ist ein Beweis dafür, dass sie die Anweisungen Ministerpräsident Erdoğans an die Medien genau befolgen.

Man schweigt: Die Zuständigen schweigen, die Medien schweigen, die Justiz schweigt ...

Als ob die 24, die ihr Leben verloren haben, keine Menschen gewesen wären. Und alle schweigen, als ob die Annahme, dass Chemiewaffen im Einsatz gewesen waren, ein Scherz wäre ...

Aber es sollte nicht vergessen werden, dass dieses unselige Schweigen nur denjenigen dient, die dieses Land ins Chaos stürzen wollen.

Das am 13. Januar 1993 beschlossene und am 29. April 1997 in Kraft getretene Übereinkommen über das Verbot chemischer Waffen verbietet Entwicklung, Lagerung und Einsatz chemischer Waffen und beschließt deren Vernichtung. Von der Türkei wurde das Abkommen am 14. Januar 1993 unterzeichnet und am 3. Mai 1997 in Kraft gesetzt.

Mit Inkrafttreten des Abkommens am 29. April 1997 wurden der Einsatz und die Beschaffung/Lagerung der chemischen Waffen strikt verboten. Laut Artikel 1 des Chemiewaffenabkommens unterliegen die Unterzeichnerstaaten folgenden Verpflichtungen:

(1) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, unter keinen Umständen jemals
  • a) chemische Waffen zu entwickeln, herzustellen, auf andere Weise zu erwerben, zu lagern oder zurückzubehalten oder chemische Waffen an irgend jemanden unmittelbar oder mittelbar weiterzugeben;
  • b) chemische Waffen einzusetzen;
  • c) militärische Vorbereitungen für den Einsatz chemischer Waffen zu treffen;
  • d) irgend jemanden in irgendeiner Weise zu unterstützen, zu ermutigen oder zu veranlassen, Tätigkeiten vorzunehmen, die einem Vertragsstaat aufgrund dieses Übereinkommens verboten sind.
(2) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die in seinem Eigentum oder Besitz oder an einem Ort unter seiner Hoheitsgewalt oder Kontrolle befindlichen chemischen Waffen nach Maßgabe dieses Übereinkommens zu vernichten.

(3) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, die chemischen Waffen, die er im Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats zurückgelassen hat, nach Maßgabe dieses Übereinkommens zu vernichten.

(4) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, alle in seinem Eigentum oder Besitz oder an einem Ort unter seiner Hoheitsgewalt oder Kontrolle befindlichen Einrichtungen zur Herstellung chemischer Waffen nach Maßgabe dieses Übereinkommens zu vernichten.

(5) Jeder Vertragsstaat verpflichtet sich, Mittel zur Bekämpfung von Unruhen nicht als Mittel der Kriegführung einzusetzen.

Die Türkei ist verpflichtet, sich an die Bestimmungen des Abkommens zu halten bzw. es umzusetzen. Aus diesem Grund ist sie verpflichtet, der Öffentlichkeit zu erklären,
  • ob chemische Waffen vorhanden sind;
  • ob sie bei den letzten Militäroperationen eingesetzt wurden;
  • warum gerichtsmedizinische Gutachten geheim gehalten werden;
  • was laut gerichtsmedizinischen Gutachten die Todesursachen sind;
  • ob den Symptomen bzw. den Vermutungen, dass chemische Waffen mögliche Todesursache waren, nachgegangen wurde;
  • warum, falls für eine Feststellung des Einsatzes chemischer Waffen kein medizinisches Gutachten vorliegt, es nicht veranlasst wurde.
Av. Meral Danış Beştaş
Stellvertretende Vorsitzende der BDP-Kommission für Recht und Menschenrechte



Zurück zur Türkei-Seite

Zur Chemiewaffen-Seite

Zurück zur Homepage