Fußballdiplomatie über den Ararat
Der türkische Präsident reist zum Länderspiel nach Armenien - eine Chance für den Dialog
Von Jan Keetman, Istanbul *
Das armenisch-türkische Verhältnis ist weiter gespannt, denn noch immer wird die Thematisierung des Völkermordes an Armeniern im Jahre 1915 von der Türkei als Staatsbeleidigung betrachtet. Jetzt spielt man Fußball gegeneinander
Der georgisch-russische Konflikt hat wahrlich alles auf den Kopf gestellt. Schien es Anfang August noch so gut wie sicher, dass der türkische Staatspräsident Abdullah Gül die Einladung seines armenischen Kollegen Sersch Sarkisjan zu einem Länderspiel am kommenden Samstag in Jerewan nicht annehmen werde, so scheint es nun umgekehrt schon sicher, dass Gül nach Jerewan kommt.
In den nächsten Tagen wird eine Delegation des türkischen Außenministeriums unter Leitung von Ünal Ceviköz nach Jerewan reisen. Die Türken wollen vorab einige Fragen des Protokolls klären und sich außerdem über die Sicherheitsvorkehrungen vor Ort informieren. Die Opposition hat schon Protestdemonstrationen angekündigt. Außerdem hat man in der Türkei nicht vergessen, dass in den 80-er Jahren zahlreiche türkische Diplomaten von Armeniern ermordet wurden.
Zwischen beiden Völkern steht noch immer der von der Türkei bestrittene Völkermord an den Armeniern im ersten Weltkrieg. Wenn Gül fährt, und dies scheint nun ziemlich wahrscheinlich, wird er sich in Jerewan nicht nur dem armenisch-türkischen Fußballspiel widmen, sondern auch politische Gespräche führen.
Oben auf der Agenda steht der Karabach-Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan. Noch immer hält Armenien ca. 20 Prozent des aserbaidshanischen Staatsgebietes besetzt, d. h. erheblich mehr als die strittige armenische Exklave Berg-Karabach. Dies hat dazu geführt, dass die Türkei nur über Georgien eine Verbindung nach Aserbaidschan hat. Eine Öl- und eine Gaspipeline und eine im Bau befindliche Eisenbahnverbindung führen von der aserbaidshanischen Hauptstadt Baku über die georgische Hauptstadt Tbilissi in die Türkei. Dadurch wird Armenien im Kaukasus ökonomisch abgehängt. Andererseits ist seit dem russischen Eingreifen in Georgien klar, wie verwundbar diese Einseitigkeit ist.
Es fällt auf, dass im Zusammenhang mit dem Besuch Güls in Jerewan von der Türkei plötzlich nicht mehr von der Forderung der Bildung einer gemeinsamen Historikerkommission, die ein Urteil über den Völkermordvorwurf fällen soll, gesprochen wird. Daran waren die ersten Annäherungsversuche im Juli offenbar gescheitert, denn Armenien sieht den Völkermord nicht als eine offene historische Frage.
Indessen sollen die Bäume bei der türkisch-armenischen Annäherung auch nicht gleich in den Himmel wachsen. Aus der türkischen Presse war -- ohne Quellenangabe -- zu erfahren, dass ein Ende des Wirtschaftsembargos der Türkei gegen Armenien ausgeschlossen sei und ebenso die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen. Der Hauptgrund für diese Zurückhaltung ist sicherlich die Rücksichtnahme auf das mit der Türkei eng befreundete Aserbaidshan. Gül hat den aserbaidshaniischen Präsidenten Ilham Alijew nach Ankara eingeladen.
Die Bemühungen Güls um Armenien und Aserbaidschan sind indessen nur ein Teil einer diplomatischen Offensive Ankaras in Richtung Kaukasus. Ministerpräsident Tayyip Erdogan möchte eine Plattform für Stabilität und Zusammenarbeit im Kaukasus schaffen. Die Türkei, Russland, Armenien, Aserbaidschan und Georgien sollen darin vertreten sein. Die Gründung dieser Plattform ist mit der Anerkennung Abchasiens und Südossetiens durch Moskau nicht einfacher geworden. Georgien hat die diplomatischen Beziehungen zu Russland abgebrochen, Die Türkei und Aserbaidschan haben keine diplomatischen Beziehungen zu Armenien. Im Prinzip hat bisher niemand den Vorschlag abgelehnt, und aus Tbilissi, Baku und Jerewan war die Reaktion sehr positiv. Doch Georgien wünscht sich einen größeren Rahmen. Mehr über das Schicksal des Projektes erfährt man vielleicht durch den für heute geplanten Besuch des russischen Außenministers Sergej Lawrow in Ankara.
* Aus: Neues Deutschland, 2. September 2008
Hierzu zwei Meldungen der Russischen Nachrichtenagentur
Medwedew und armenischer Präsident besprechen Lage um Südossetien
SOTSCHI, 02. September (RIA Novosti). Der russische Präsident Dmitri Medwedew und sein armenischer Amtskollege Sersch Sarkisjan beraten am Dienstag (2. Sept.) in Sotschi über die Situation um Südossetien und Abchasien.
Zum Auftakt des Gesprächs sagte Medwedew zu seinem Amtskollegen: "Armenien übernimmt jetzt den Vorsitz in der OVKS**. Ich möchte Ihnen meine Gedanken über die internationalen Probleme mitteilen, umso mehr als wir uns seit Beginn der georgischen Aggression nicht gesehen haben."
Russland hatte die Unabhängigkeit von Südossetien und Abchasien am 26. August anerkannt. Dieser Entscheidung war ein Überfall der georgischen Armee auf Südossetien in der Nacht zum 8. August vorausgegangen, der nach südossetischen Angaben 2100 Zivilisten das Leben kostete. Kreml-Chef Medwedew beauftragte das Außenministerium, mit den beiden Regionen diplomatische Beziehungen aufzunehmen.
** OVKS-Militärbündnis plant engere Kooperation
MOSKAU, 02. September (RIA Novosti). Die Außenminister der Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS), zu der sieben ehemalige Sowjetrepubliken gehören, werden am kommenden Donnerstag in Moskau über eine engere militärische Zusammenarbeit beraten.
Wie der russische Außenamtssprecher Andrej Nesterenko am Dienstag mitteilte, werden die Minister vor allem die Folgen des Krieges in Südossetien analysieren sowie über einen Ausbau der militärischen Zusammenarbeit innerhalb der Organisation beraten. Entsprechende Vorschläge sollen dann dem Rat für Kollektive Sicherheit unterbreitet werden. Im Rat sind die sieben Staats- und Regierungschef der Mitgliedsstaaten vertreten.
Zu der 1992 gegründeten Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit (OVKS) gehören Armenien, Kasachstan, Kirgisien, Russland, Tadschikistan, Usbekistan und Weißrussland.
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