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Dunst über der Grenze am Pjandsch

Wie bereitet sich Tadshikistan auf das Ende der ISAF-Kampfmission in Afghanistan vor?

Von André Widmer, Duschanbe *

Bis zum 31. Dezember sollen die kämpfenden ausländischen Truppen aus Afghanistan abziehen. »Stabil« ist die Lage am Hindukusch indes nicht, wie man auch im benachbarten Tadshikistan weiß.

Ein großes Vorzeigeprojekt Tadshikistans ist der Übergang Nishni Pjandsch (Unterer Pjandsch) an der Grenze zu Afghanistan. Rund 30 Millionen Euro haben es sich die USA und Norwegen 2007 kosten lassen, die Anlage aufzurüsten. Alte Einrichtungen und die Lastfähre über den Grenzfluss Pjandsch wurden durch eine neue Brücke, ausgeklügelte Infrastruktur und kanalisierte Kontrollabläufe ersetzt. Alles bestens an seiner Grenze, behauptet nun auch der Vizekommandant von Nishni Pjandsch, Major Sukrob Gowsjew. 2013 habe man lediglich fünf Kilogramm Marihuana und 400 Gramm Opium bei Kontrollen sichergestellt. Kampfgeräte würden überhaupt nicht mehr nach Afghanistan geschmuggelt. »Die haben dort schon genügend Waffen«, sagt Gowsjew.

Solche Äußerungen sind allerdings mit großer Vorsicht zu genießen. Durch Tadshikistan und die anderen zentralasiatischen Staaten führt eine Hauptroute des Drogenschmuggels von Afghanistan nach Russland und weiter nach Europa. Darum auch das Interesse des Westens an der Grenzsicherheit in dieser entlegenen Region.

Mit dem Ende der ISAF-Kampfmission im Dezember 2014 und der für die Zeit danach befürchteten Destabilisierung der staatlichen Einrichtungen in Afghanistan rücken neben dem Drogenschmuggel aber auch sicherheitsrelevante Fragen in den Mittelpunkt. Denn die autokratischen weltlichen Regierungen Zentralasiens wollen verhindern, dass ihre Länder zum Rückzugsgebiet islamistischer Kämpfer werden oder diese gar ihre Aktivitäten in die Region ausweiten. Doch allein die Grenze zwischen Tadshikistan und Afghanistan ist 1400 Kilometer lang. Und viele Abschnitte liegen im Gegensatz zu Nishni Pjandsch in unwegsamen und unübersichtlichen Gegenden.

Vor einigen Jahren noch griff Tadshikistan auch auf rund 20 000 russische Soldaten im Lande zurück, um seine Grenzen zu sichern. Inzwischen sind nur noch 6000 Russen auf drei Stützpunkten stationiert und seit 2005 nicht mehr an der Grenzüberwachung beteiligt. Angebote Russlands zu neuerlicher Zusammenarbeit lehnte Tadshikistans Regierung ab.

Nur noch zwischen 4000 und 5000 Tadshiken stehen jetzt an der Grenze. Die EU und die UNO unterstützen mit dem Programm BOMCA (Border Management in Central Asia) Bestrebungen Tadshikistans und seiner zentralasiatischen Nachbarn zur Verbesserung der Grenzsicherheit. Aber ausgerechnet vor dem Abzug der ISAF aus Afghanistan wird diese Arbeit in Tadshikistan eingestellt. Der Leiter des BOMCA-Programms in Tadshikistan, Suhrob Kaharow, erwartet wie andere Experten eine Verschlechterung der Lage, das sei freilich seine »persönliche Meinung«.

Geschmuggelt wird hier in beide Richtungen. Auch Waffen aus Russland, die über Afghanistan nach Pakistan gelangen, sind dabei. Und Chemikalien wie Acetanhydrid, das der Herstellung von Heroin dient. Dass die Grenzposten sich bestechen lassen, wie von Kritikern behauptet, muss Kaharow bestätigen. »Wenn du im Monat nur 200 Dollar bezahlt bekommst, was will man da erwarten?«, fragt er. Kinderreiche Familienväter seien besonders anfällig.

Was Bedrohungen durch Islamisten betrifft, hält Suhrob Kaharow die Lage an der tadshikisch-afghanischen Grenze für weniger problematisch als an der tadshikisch-kirgisischen. Im Rascht-Tal im Norden Tadshikistans war es vor vier Jahren zu Kämpfen mit ausländischen Ex-tremisten gekommen.

Heute liegt sandig anmutender Dunst über Nishni Pjandsch. Der vielleicht 800 Meter entfernt liegende afghanische Kontrollposten auf der anderen Seite des Flusses ist deshalb fast nicht erkennbar. Grenzer patrouillieren entlang eines Zauns. Ein paar wenige Lastwagen passieren die Brücke. Für die Kon-trolle der Schwertransporter verfügen die Tadshiken sogar über riesige Röntgenscanner.

Vor dem Grenzhäuschen bereiten sich derweil einige verhüllte Frauen, aus Afghanistan kommend, auf die Kontrolle vor. An alles ist hier gedacht: Neben den üblichen Dokumenten- und Passüberprüfungen ist auch ein Arzt zugegen. Gerade begibt sich der Afghane Abdulhamid Abdulmajid durch die Schleuse. Seine Papiere werden angeschaut, eine Tasche muss zur Inspektion geöffnet werden. Das Röntgengerät könnte solche Handarbeit überflüssig machen und einen genaueren Blick ermöglichen, bleibt aber unbedient und der Bildschirm schwarz. Abdulmajid darf passieren. Bei einem überdeckten Metallverschlag wartet er auf ein Sammeltaxi, das ihn und weitere Grenzgänger aus dem Zollbereich bringen soll. Der 41-jährige Afghane handelt über die Grenze hinweg mit Zement, Kartoffeln und Früchten, jetzt will er Verwandte besuchen. »Zwischen der Provinz Kunduz und Tadshikistan bestehen auch sonst gute Kontakte«, sagt er noch.

Major Gowsjew erzählt, dass nicht zuletzt die Grenzbeamten beider Länder eine Zusammenarbeit zum beiderseitigen Vorteil pflegten. Bei Problemen telefoniere man oder treffe sich. Monatlich gebe es informelle Sitzungen. Beim Mittagessen im Restaurant der Grenzstation wird der Major dann redseliger. Auch er rechne damit, dass Afghanistan auf längere Sicht unsicherer werde. Selbst die Grenzer im Nachbarland scheinen an einer besseren Zukunft zu zweifeln. »Jetzt helfen die USA bei den Grenzposten noch mit. Die Situation wird schwieriger, wenn die Amerikaner gehen. Die afghanischen Kollegen haben angefangen, ihre Kinder in die Vereinigten Staaten zu schicken. Kunduz ist bereits eine destabilisierte Region.«

Ortstermin in Duschanbe, der Hauptstadt Tadshikistans. Die Asservatenkammer der Antidrogenbehörde des Landes darf in Augenschein genommen werden. Die Haupttür in die Lagerräume ist versiegelt, nur in Anwesenheit einer fünfköpfigen Kommission wird Zutritt gewährt. Heroin, Kokain, Marihuana, fein säuberlich getrennt und mit Aktennummern gekennzeichnet. Erst wenn das Gericht über die Verfahren entschieden hat, dürfen die Rauschstoffe verbrannt werden. Wie viel die Ware hier wohl wert ist? »Was zählt, ist, wie viele Menschenleben gerettet werden konnten«, lautet die Antwort eines Mitarbeiters.

Rustam Nasarow, der Direktor der Drogenbehörde, berichtet, dass im vergangenen Jahr in Tadshikistan eine internationale Konferenz mit verschiedenen Antidrogenagenturen aus Europa, den ehemaligen Sowjetrepubliken und den USA abgehalten worden sei. »Hauptthema war der Abzug der ISAF und wie bereit wir dafür sind.« Man arbeite mit der Antidrogenbehörde und dem State Department der USA zusammen, erklärt Nasarow. »Sie unterstützen uns im Zusammenhang mit unserem geplanten Büro in Kabul und der Schaffung von Spezialeinheiten.«

Es gebe erste Erfolge zu vermelden. In Afghanistan hat zwar die Fläche für den Opiumanbau alleine im Zeitraum von 2011 bis 2013 von 131 000 auf 209 000 Hektar zugenommen. Die beschlagnahmte Menge Heroin in Zentralasien ging jedoch von über zehn Tonnen im Jahr 2004 auf mittlerweile unter vier Tonnen zurück.

Der Kampf gegen den Drogenschmuggel ist allerdings nicht einfacher geworden. Manche Schmugglerbanden sind mit Satellitentelefonen und Kalaschnikows ausgerüstet. Direktor Nasarow ist jedoch optimistisch, was die Zeit nach dem ISAF-Abzug betrifft. »Die entsprechenden Spezialisten werden dort bleiben. Die Antidrogeneinheiten sind technisch bereit«, erklärt er. Nasarow sieht den kritischen Punkt in Afghanistan ohnehin anderswo: »Man sollte die Probleme nicht auf militärischem Wege zu lösen versuchen, sondern die sozialen und politischen Verhältnisse verbessern. Dann wären die Afghanen nicht gezwungen, Drogen anzubauen.« Direktor Nasarow hofft, dass der neue Präsident Afghanistans – wenn denn endlich einer gewählt und bestätigt ist – alle Machthaber der Regionen des Landes hinter sich vereinen kann.

* Aus: neues deutschland, Dienstag 24. Juni 2014

Afghanistan und die ISAF

Zehntausende Soldaten brachten keine Stabilität

2001, nach den Terroranschlägen in den USA, wurde in Afghanistan die Internationale Sicherheitsunterstützungstruppe (kurz: ISAF) stationiert. Deren Ziel war es zu Beginn, die Sicherheit der damaligen afghanischen Übergangsregierung und der UNO-Unterstützungsmission zu gewährleisten. Mit Fortdauer des Einsatzes wurde das Mandat erweitert. Bei dem Einsatz handelt es sich nicht um eine friedenssichernde UN-Blauhelm-Mission, sondern um einen sogenannten friedenserzwingenden Einsatz unter Verantwortung der beteiligten Staaten. Im Laufe der Jahre beteiligten sich rund 50 Nationen an der ISAF-Mission. Die größten Kontingente stellten die USA, Großbritannien und Deutschland. 2012 waren fast 130 000 ausländische Soldaten in Afghanistan stationiert. Derzeit sind es noch knapp 50 000.

Inzwischen hat die Übergabe der militärischen Verantwortung an die afghanischen Sicherheitskräfte begonnen. Die ISAF-Kampfmission soll am 31. Dezember 2014 enden. Verschiedene Stützpunkte wurden den Afghanen bereits überlassen, einige Regionen werden mittlerweile ausschließlich von einheimischen Sicherheitskräften kontrolliert.

Allerdings werden zu »Ausbildungs- und Beratungszwecken« auch nach 2014 noch größere westliche Militärkontingente in Afghanistan bleiben. Nach Angaben von NATO-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen werden für den Einsatz »Resolute Support« 8000 bis 12 000 Soldaten benötigt. Rasmussen sagte, man werde »am oberen Ende« landen.

US-Präsident Barack Obama hat angekündigt, dass die USA 2015 zunächst noch 9800 Soldaten in Afghanistan lassen wollen. Die Bundesregierung will sich mit bis zu 800 Soldaten im Norden Afghanistans an der Ausbildungsmission beteiligen. Auf einen endgültigen Abzug aus Afghanistan will sich die NATO nicht festlegen. Denn von tatsächlicher Stabilität kann am Hindukusch keine Rede sein.

(neues deutschland, Dienstag 24. Juni 2014




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