Warten aufs Wunder
Diplomatische Aktivitäten für die Lösung der Syrien-Krise. Assad erlässt Generalamnestie für Deserteure
Von Karin Leukefeld *
Der syrische Präsident Baschar Al-Assad hat am Wochenende eine Generalamnestie für Deserteure angeordnet. Männer, die sich dem Militärdienst durch Flucht ins Ausland oder Untertauchen im Inland entzogen hätten, sollen demnach straffrei bleiben. In dem seit vier Jahren dauernden Krieg in Syrien haben die syrischen Streitkräfte rund 100.000 ihrer Soldaten durch Tod oder Verwundung verloren. Offizielle Zahlen zu Fahnenflüchtigen gibt es nicht.
Der UN-Sondervermittler Staffan De Mistura hat derweil seine Beratungsgespräche über eine politische Lösung in Syrien – die im Mai in Genf begonnen hatten – mit einem weiteren Besuch in Damaskus abgeschlossen. Nach Angaben einer UN-Sprecherin in Genf habe De Mistura die Regierung über die Vorbereitungen der Syrien-Debatte im UN-Sicherheitsrat, die am Mittwoch in New York stattfinden soll, informiert. Am morgigen Dienstag wird De Mistura seinen Bericht dem UN-Generalsekretär Ban Ki Moon vorlegen.
Im syrischen Fernsehen äußerte sich der stellvertretende Außenminister Feisal Mekdad »optimistisch«. Die Regierung werde De Mistura in jeder Hinsicht unterstützen. Das Wichtigste sei, »Druck auf die bewaffneten terroristischen Gruppen auszuüben«. Alle, »die diese Gruppen unterstützen und finanzieren, müssen ihre Haltung ändern«, sagte Mekdad. Aus vielen europäischen und anderen Staaten gebe es Signale, dass die syrische Regierung wieder mehr akzeptiert werde, sagte Mekdad. Er hoffe, der Sondervermittler werde die Vorschläge der Regierung in seinen Bericht an den UN-Generalsekretär aufnehmen.
Für eine dritte Genfer Gesprächsrunde sei die Zeit noch nicht reif, erklärte der syrische Außenminister Walid Muallem am Freitag bei der Eröffnung einer zweitägigen »Internationalen Medienkonferenz gegen den Takfiri-Terrorismus« in Damaskus. »Genf III« wäre eine dritte von den Vereinten Nationen vermittelte Gesprächsrunde zwischen syrischen Oppositionsgruppen und der syrischen Regierung. Basierend auf dem im Juni 2012 von den Vetomächten im UN-Sicherheitsrat (China, Frankreich, Großbritannien, Russland, USA) vereinbarten »Genfer Abkommen« hatten im Februar und März 2014 entsprechende Treffen stattgefunden.
In Brüssel erklärten am vergangenen Freitag Mitglieder von zwei syrischen Oppositionsbündnissen, einen eigenen Weg zur Beendigung des Krieges gehen zu wollen. Vertreter der vom Westen, der Türkei und den Golfstaaten gesponserten »Nationalen Koalition« (Etilaf) sowie des in Damaskus ansässigen »Nationalen Koordinationsbüros für demokratischen Wandel in Syrien« (NCC) sagten, man wolle auf Basis des Genfer Abkommens zusammenarbeiten. Uneinigkeit hinsichtlich des Umgangs mit dem syrischen Präsidenten besteht allerdings weiterhin. Während Etilaf dessen Abgang zur Vorbedingung macht, heißt es im NCC, die Person von Assad sei zweitrangig.
Innerhalb des NCC gibt es Differenzen zur Zusammenarbeit mit Etilaf. Kritiker verweisen auf die Dominanz der religiös orientierten Muslimbruderschaft in der Koalition sowie deren finanzielle und politische Abhängigkeit vom Westen, der Türkei und den Golfstaaten. NCC-Europasprecher Haitham Manna warnte nachdrücklich vor einer Kooperation mit Etilaf und lässt seine Ämter im Koordinationsbüro ruhen.
Hinter den Kulissen gibt es aktuell erhebliche Bewegungen auf der geheimdienstlichen Ebene. Die russische Regierung hatte bereits vor einem Monat einer syrischen Regierungsdelegation in Moskau angeboten, eine geheimdienstliche Kooperation mit Saudi-Arabien und der Türkei zu vermitteln. Als Ziel war der gemeinsame Kampf gegen die Terrororganisation »Islamischer Staat« genannt worden. Der russische Präsident Wladimir Putin hatte erklärt, Russland habe mit der Türkei, Jordanien und Saudi-Arabien Kontakte hergestellt, so dass Gespräche mit syrischen Vertretern möglich seien.
Syriens Außenminister Muallem wiederholte nun, dass Syrien von Anfang an die internationale Kooperation gegen den Terrorismus eingefordert habe. Um die Staaten, die den Terror gegen Syrien angeheizt hätten, zu bewegen, ernsthaft etwas gegen den Terror zu tun, sei wohl ein »Wunder« nötig, so Muallem. Da die Bedrohung durch den Terrorismus aber alle Staaten in der Region betreffe, sei es wahrscheinlich, dass die Nachbarstaaten früher oder später mit Damaskus kooperieren wollten.
* Aus: junge Welt, Montag, 27. Juli 2015
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