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Verteilungskämpfe in Syrien

Al-Nusra-Front und »Islamischer Staat« streiten um Vorherrschaft

Von Karin Leukefeld *

In Syrien liefern sich der »Islamische Staat« (IS, früher ISIL bzw. ISIS) und die Al-Nusra-Front einen blutigen Konkurrenzkampf um die Vorherrschaft in der Region. Beide haben jeweils Tausende Männer unter Waffen, darunter viele Ausländer, und werden von »Geschäftsleuten« aus den Golfstaaten Kuwait, Katar und Saudi-Arabien finanziert. Andere Kampfverbände, auf die der Westen im syrischen Bürgerkrieg lange seine Hoffnungen gesetzt hatte, sind von diesen beiden Gruppen längst verdrängt worden.

Der »Islamische Staat« hatte nach der Einnahme von Mossul im Nordirak am 10. Juni 2014 ein »Kalifat« ausgerufen. Nun plant die Al-Nusra-Front die Gründung eines »Emirats«. Das geht aus einer Audiobotschaft hervor, die seit Mitte Juli im Internet kursiert und die ihrem Chef Abu Mohammed Al-Jolani zugeschrieben wird. Darin kündigte der Mann an, daß es Zeit sei, »ein Emirat in der Levante« zu gründen. Dessen Fläche solle bis an die Grenzen des syrischen Staates (»Regime«), an die der vom IS (»diejenigen, die übertreiben«) kontrollierten Zone, an die der Gebiete anderer bewaffneter Gruppen (»die Korrupten«) und an die der von den Kurden beherrschten Areale reichen. So ungenau diese Ansage auch ist, löste sie doch eine Reihe neuer Verteilungskämpfe zwischen der Al-Nusra-Front und anderen bewaffneten Gruppen aus. In Idlib bei Dschisr Al-Schugur, im Nordwesten Syriens an der Grenze zur Türkei und in der davon östlich gelegenden Nachbarprovinz Aleppo gab es Dutzende Tote. Man wolle »den Norden von Banditen und Dieben frei machen«, so die Al-Nusra-Front. Der Kampf richte sich gegen Gruppen, die »mit den USA kollaborieren«.

Ein Abu Yasmin, der von der Nachrichtenagentur AFP als »Rebell« bezeichnet wurde, sieht in der Ankündigung Jolanis den Versuch, neue Kämpfer anzulocken. Zudem sollten die Sponsoren überzeugt werden, mehr Geld und Waffen zu liefern. Der Einfluß der Al-Nusra-Front schwindet in dem Maße, in dem der »Islamische Staat« durch Landgewinne im Irak Zugang zu Rohstoffen und modernen Waffensystemen der irakischen Armee erobern kann. So haben sich einige bislang mit Al-Nusra verbündete, aber vom Westen als »moderat« bezeichnete Kampfverbände schon von der Front losgesagt. Man sei erstens nicht für den »Heiligen Krieg« und zweitens nicht für Al-Jolani, dem es »nur um die Macht geht, nicht aber um den Islam«, so Abu Yasmin gegenüber AFP.

Die libanesische Tageszeitung As-Safir geht davon aus, daß es tatsächlich um die Kontrolle strategisch wichtiger Grenzübergänge geht. Als die Al-Nusra-Front in der vergangenen Woche die Stadt Haram an der Grenze zur Türkei einnehmen konnte, eroberte sie damit die Herrschaft über eine der wichtigsten Versorgungsrouten der bewaffneten Gruppen in Syrien. Diese sind für die Aufständischen lebenswichtig, da sie von der syrischen Zivilbevölkerung kaum noch Unterstützung erhalten. Deshalb hatte die Führung in Damaskus auch vehement gegen die am 14. Juli vom UN-Sicherheitsrat verabschiedete Resolution 2165 protestiert, die grenzüberschreitende Hilfslieferungen nach Syrien ohne Zustimmung der Regierung genehmigt. Der erste UN-Konvoi mit neun Fahrzeugen passierte vor wenigen Tagen den noch von der »Islamischen Front« kontrollierten Grenzübergang Bab Al-Salam, der an der Straße von der türkischen Stadt Kilis in das syrische Aleppo liegt. Die genannte Gruppierung wird vom Westen als gemäßigt bezeichnet und unterstützt. Schon in der Vergangenheit hatten mehrere Staaten aus der Gruppe der »Freunde Syriens«, darunter Frankreich, Großbritannien und Deutschland, Lieferungen aus der Türkei nach Syrien finanziert. Die Resolution des Sicherheitsrates hat diese Politik, die gegen internationales Recht verstößt, nun legitimiert .

Um nicht ganz das Gesicht zu verlieren, stimmte der UN-Sicherheitsrat am Montag einer Erklärung zu, die Rußland gefordert hatte. Öl von Gruppen wie dem »Islamischen Staat« oder der Al-Nusra-Front zu kaufen sei unrechtmäßig und könne »die Verhängung von Sanktionen nach sich ziehen«, heißt es darin.

* Aus: junge Welt, Freitag, 1. August 2014


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