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Preis des Krieges

Syrien: Sondervermittler de Mistura in Damaskus. Regierung prüft UN-Initiative. Oppositionelle Gruppen kritisierten Vorschläge

Von Karin Leukefeld, Damaskus

Endlose Staus, Menschenmassen, Hupen und das Trillern der Verkehrspolizisten – um die Mittagszeit wirkt das Zentrum von Damaskus wie eh und je. Busse sammeln die Schulkinder ein, vor den Imbissen sind lange Schlangen. Auf den Bürgersteigen sind Waren für die Kundschaft auf Decken oder Pappe ausgebreitet.

Billige Schuhe, Jacken und Hosen, die die Straßenhändler anbieten, haben Hochkonjunktur seit sich die Preise in den Geschäften vervielfacht haben. Besonders gestiegen sind die Preise für Lebensmittel, Gas und Diesel. »Wir haben einfach vergessen, dass man auch Fleisch essen kann«, sagt Hussam und lacht. »Wir können es uns nicht mehr leisten.« Der Brotpreis habe sich nur geringfügig erhöht, fügt er hinzu. Doch Milchprodukte und frischer Käse gehören heute fast zu Luxusgütern.

Der Preis für Benzin hat sich verdoppelt, der Preis für Diesel ist um das Dreifache gestiegen. Die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung wird im bevorstehenden Winter nur ungenügend heizen können. Vor allem weil die Subventionen für Diesel reduziert worden sind.

»Alle Preise hängen mit dem Dieselpreis zusammen«, erklärt Anmar, der durch den Krieg seine Apotheke in einem Vorort von Damaskus verloren hat. »Egal ob Tabletten oder Käse produziert wird, man braucht Diesel für die Maschinen«, ebenso für den Transport. Der Mangel wirkt sich auch auf die Stromversorgung aus, da die Elektrizitätswerke entweder durch Gas oder Diesel betrieben werden. Doch die Förderanlagen und Pipelines werden von bewaffneter Gruppen immer wieder angegriffen. Reparaturen sind nur unter Armeeschutz möglich.

Vor wenigen Tagen drängten die syrischen Streitkräfte wieder Kampfverbände des »Islamischen Staats« (arabisch: Daisch) vom Gasfeld Al-Schaer zurück, das westlich von Palmyra liegt. Die Anlage war erst vor wenigen Jahren fertiggestellt worden und kostete mehrere Milliarden US-Dollar.

Während internationale Medien ihre Berichterstattung auf die US-geführten Verbände fokussieren, die in Syrien und im Irak versuchen, den Daisch in die Schranken zu weisen, kämpft die syrische Armee gleichzeitig an mehreren Fronten: Hauptschauplätze sind der Golan, das Damaszener Umland und Aleppo.

Auch bei dem Treffen zwischen dem UN-Sondervermittler für Syrien, Staffan de Mistura, und dem syrischen Präsidenten Baschar Al-Assad am Montag war Aleppo ein Thema. De Mistura schlägt vor, den Konflikt um die Stadt »einzufrieren«, um den Menschen humanitäre Hilfe bringen zu können, der vor dem Wintereinbruch dringend gebraucht werde. Assad zeigte sich Medienberichten zufolge aufgeschlossen und sagte eine Prüfung der UN-Initiative zu.

Am Dienstag diskutierten de Mistura und der syrische Außenminister Walid Mouallem die Einzelheiten des Plans. Beobachter der innersyrischen Lage sind überzeugt, dass die Regierung und die Armeeführung einen Waffenstillstand in Aleppo befürworten. Allerdings, so Waddah Abd Rabbo, Chefredakteur der privaten syrischen Tageszeitung Al-Watan, müsse »de Mistura die Kämpfer überzeugen«, den Plan zu akzeptieren. Wichtiger sei jedoch, die Staaten zu überzeugen, die die Kämpfer unterstützen, insbesondere die Türkei, so Abd Rabbo im Gespräch mit AFP.

Der Vorsitzende der oppositionellen »Nationalen Koalition« (Etilaf), Hadi Al-Bahra, kritisierte derweil in Istanbul die von den USA angeführten Luftangriffe als kontraproduktiv. Die Angriffe müssten sich gegen die syrische Armee richten, so Al-Bahra. Derzeit schwächten sie zwar Daisch aber auch andere Kampfverbände, die »gegen Assad kämpfen«.

Al-Bahra kritisierte den Plan de Misturas, örtliche Waffenstillstandszonen einzurichten. Die Regierung werde das nutzen, sich neu aufzustellen, sagte er. »Das Leben der Syrer hat für uns zwar höchste Priorität, aber wir müssen die Lage auch aus einem strategischen Blickwinkel betrachten.«

* Aus: junge Welt, Mittwoch, 12. November 2014

Karin Leukefeld

referiert beim 21. Friedenspolitischen Ratschlag am 6./7. Dezember in Kassel. Hier geht es zum Programm!




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