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Konkurrenzkampf unter Milizen

Syrien: Al-Nusra-Front will US-gesponserte Rebellen entführt haben. Washington bestreitet das

Von Karin Leukefeld *

Das US-Außenministerium hat dementiert, dass Kämpfer einer von der US-Armee in der Türkei ausgebildeten Gruppe »moderater Rebellen« im Norden Syriens von der »Al-Nusra-Front« entführt worden sind. Das hatte die im englischen Coventry ansässige »Syrische Beobachtungsstelle für Menschenrechte« unter Berufung auf Angaben der mit der Al-Qaida verbündeten Al-Nusra-Front zuvor mitgeteilt. »Wir werden keine Namen spezieller Gruppen nennen, die mit dem Ausbildungs- und Ausrüstungsprogramm für Syrien zu tun haben«, erklärte Elissa Smith, eine Sprecherin des Pentagon, auf Nachfrage der französischen Nachrichtenagentur AFP. »Ich kann allerdings bestätigen, dass kein Angehöriger der ›Neuen Syrischen Streitkräfte‹ gefangengenommen oder verhaftet wurde.«

Mit dem Begriff »Neue Syrische Streitkräfte« bezeichnen die USA Kämpfer, die an ihrem Ausbildungs- und Ausrüstungsprogramm für Syrer teilnehmen oder das Kriegstraining bereits durchlaufen haben. Offiziellen US-Angaben zufolge soll diese Einheit ausschließlich gegen die Organisation »Islamischer Staat« (IS) kämpfen. Die USA haben bisher 500 Millionen US-Dollar für das Programm bereitgestellt, mit dem drei Jahre lang bis zu 15.000 Kämpfer in der Türkei, Jordanien, Katar und Saudi-Arabien ausgebildet werden sollen. Eine erste Gruppe von 150 Milizionären – die sogenannte Division 30 – war Anfang Juli in ein Gebiet nordöstlich von Aleppo verlegt worden, wo die Türkei mit den USA eine »Sicherheitszone« einrichten will.

Im Namen dieser Division 30 war nun eine Erklärung verbreitet worden, in der die Al-Nusra-Front beschuldigt wurde, ihren Anführer Nadim Al-Hassan und einige weitere Kämpfer entführt zu haben. Das Propagandabüro in Coventry hatte die Angaben verbreitet und behauptet, die Männer seien in der Nacht zum Mittwoch auf dem Rückweg von Azaz zu ihrem Stützpunkt entführt worden. In der Stadt, die etwa zehn Kilometer südlich des syrisch-türkischen Grenzübergangs Öncüpinar (arabisch: Bab Al-Salam) liegt, hätten sie an einem Koordinationstreffen mit anderen Kampfverbänden teilgenommen. Die Al-Nusra-Front hatte in der Vergangenheit wiederholt Kampfverbände im Norden Syriens angegriffen, die von den USA und deren Verbündeten unterstützt worden waren. 2014 wurde die Syrische Revolutionäre Front und Anfang 2015 die Hazm-Bewegung zerschlagen, die beide in und um Aleppo gekämpft hatten.

Der Aufmarsch der US-gesponserten »Neuen Syrischen Streitkräfte« in Nordsyrien scheint die Konkurrenz unter den Kampfgruppen neu entfacht zu haben. Hintergrund ist auch, dass politische Gegner von US-Präsident Barack Obama wie der republikanische Senator John McCain die US-Außenpolitik offen torpedieren. McCain kritisierte das Ausbildungs- und Ausrüstungsprogramm kürzlich als »saft- und kraftlos«. Die strengen Aufnahmekriterien, wonach die Kämpfer sich verpflichten müssen, nicht gegen die syrischen Truppen zu kämpfen, seien falsch. In der Washington Post erschien Mitte Juli sogar eine Kolumne von Labib Al-Nahhas. Der Mann, der Obamas Strategie dort als »erbärmliches Versagen« abkanzeln durfte, ist »Außenbeauftragter« der »Ahrar Al-Sham«, einer Kampfgruppe in Aleppo, die von der US-Regierung als Al-Qaida-Ableger und als »terroristisch« eingestuft wird.

Derweil ist es der russischen Regierung gelungen, die Geheimdienste von Syrien und Saudi-Arabien an einen Tisch zu bekommen. Die libanesische Tageszeitung As Safir berichtete, der russische Präsident Wladimir Putin habe bereits Ende Juni einer syrischen Delegation in Moskau den Vorschlag unterbreitet, für den Kampf gegen den IS-Terrorismus eine Koalition zwischen Syrien, Saudi-Arabien, Jordanien und der Türkei zu bilden. Sowohl der saudische König Salman als auch der syrische Präsident Baschar Al-Assad hätten zugestimmt, und inzwischen sollen sich Offiziere der beiden Dienste, die bereits in der Vergangenheit kooperiert hatten, mehrmals getroffen und einen »Kommunikationskanal« eröffnet haben. Die Türkei habe Anfang Juli erstmals seit 2011 wieder einen General nach Damaskus entsandt, um Wege der Kooperation im Kampf gegen den IS auszuloten.

* Aus: junge Welt, Samstag, 1. August 2015


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