Krieg und Propaganda
Angebliche Attentatspläne einer mysteriösen Zelle sollen Luftangriffe auf Syrien rechtfertigen
Von Knut Mellenthin *
Seit Dienstag geistert eine bis dahin unbekannte Terrororganisation durch die internationalen Medien: die »Khorasan-Gruppe« oder »Khorasan-Zelle«. Selbst Insider aus der syrischen Rebellenszene bekunden, diesen Namen zuvor noch nie gehört zu haben. Ins grelle Licht der Öffentlichkeit katapultiert wurde die Vereinigung, der nach manchen Schätzungen kaum mehr als 50 Menschen angehört haben sollen, am Dienstag morgen durch acht US-amerikanische Luftangriffe in der Umgebung der zweitgrößten Stadt Syriens, Aleppo. Die »Khorasan-Gruppe« habe kurz davor gestanden, ihre Pläne für Anschläge in den USA oder Europa abzuschließen und zur Durchführung zu schreiten, behaupteten Sprecher des Pentagon. Angesichts der »unmittelbaren Gefahr« habe man sich zu den Angriffen entschlossen.
Wenige Stunden später benutzte Präsident Barack Obama zum ersten Mal öffentlich den Namen »Khorasan-Gruppe« und posierte als Retter der Heimat. Nun erinnerten sich manche Journalisten daran, daß James Clapper, der Chefkoordinator aller US-Geheimdienste, schon am Donnerstag voriger Woche von »Khorasan« gesprochen hatte. Was die Bedrohung des Territoriums der Vereinigten Staaten angehe, so Clapper, stelle diese Gruppe vermutlich eine nicht weniger große Gefahr dar als der im Irak und in Syrien aktive »Islamische Staat« (IS).
Alles spricht dafür, daß »Khorasan-Gruppe« lediglich eine in US-Kreisen erfundene Bezeichnung für eine relativ kleine Vereinigung von Menschen ist, die sich selbst entweder gar keinen Namen gegeben haben oder vielleicht auch nur einen sehr viel weniger plakativen. Mehrere Kongreßmitglieder, die zentralen Ausschüssen angehören, haben in den letzten Tagen berichtet, daß die Existenz der Gruppe – aber nicht deren erst jetzt eingeführter Name – schon seit mehreren Monaten Gegenstand der ihnen mitgeteilten vertraulichen Informationen gewesen sei.
Der jetzt vom Pentagon und anderen Regierungsstellen als Führer der »Khorasan-Zelle« genannte Kuwaiter Muhsin Al-Fadhli ist schon seit Jahren im Visier Washingtons. Am 15. Februar 2005 hatte das US-Finanzministerium ihn zum »Terroristen« erklärt und mit Sanktionen belegt. Am 18. Oktober 2012 setzte das State Department eine Belohnung von sieben Millionen Dollar für Hinweise aus, die zu seinem Aufenthaltsort führen würden. Gleichzeitig wurden auf seinen angeblichen Stellvertreter, Adel Radi Saqr Al-Wahabi Al-Harbi, fünf Millionen Dollar ausgesetzt.
Die Veröffentlichung des Außenministeriums enthielt einen Kurzlebenslauf des damals 31jährigen. Sie besagte unter anderem, daß Al-Fahdli als Leiter eines Netzwerks von »Al-«Qaida-Elementen« im Iran ansässig sei. Von dort aus organisiere er die Bewegungen von internationalen Kämpfern und Geldmitteln über die Türkei nach Syrien, aber auch nach Europa und Nordafrika. In dem alljährlich vom State Department herausgegebenen Country Reports on Terrorism heißt es darüber hinaus: Iran habe die Tätigkeit von Al-Fadhli und Al-Harbi erlaubt. Al-Fadhli arbeite seit 2009 mit dem Al-Qaida-Netzwerk im Iran zusammen, sei »später« von den Iranern festgenommen, aber 2011 aus der Haft entlassen worden.
Nach jüngsten Angaben aus US-Militär- und Regierungskreisen ließ Al-Fadhli sich im selben Jahr oder 2012 in Syrien nieder. Der von ihm geführten Gruppe sollen einige wenige Dutzend »abgehärtete Kämpfer aus Afghanistan und Pakistan« angehören. Ob die Gruppe mit der syrischen Nusra-Front, die im Westen allgemein als Al-Qaida-Filiale bezeichnet wird, nur verbündet oder ihr direkt angegliedert ist, wird unterschiedlich dargestellt. Auf jeden Fall sei ihr Zweck nicht der Kampf gegen die syrische Regierung, sondern die Rekrutierung von Kämpfern für Anschläge in den USA und Europa, behauptet das Pentagon. Für Letzteres gibt es jedoch keine Beweise. Viel plausibler ist der Verdacht, daß die sich häufenden Gerüchte über angebliche Attentatspläne ein freundliches Umfeld für die Luftangriffe gegen syrische Ziele schaffen sollen.
* Aus: junge Welt, Samstag 27. September 2014
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