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Haßparolen statt Freiheit

Syrien: Wenn die Einwohner von Homs von Befreiung sprechen, meinen sie die Vertreibung der Rebellen

Von Eva Bartlett (IPS) *

Einwohner des Stadtteils Al-Khalidijeh von Homs kehren am 14. Ma Im dichtbesiedelten Viertel Al-Waer, der letzten Rebellenhochburg in der syrischen Stadt Homs, könnten schon bald die Waffen schweigen. Zur Zeit leben hier mehr als 200000 Menschen, darunter viele Binnenflüchtlinge, die der Bürgerkrieg aus anderen Teilen Syriens vertrieben hat. Während die Offensive der syrischen Armee gegen die bewaffneten Rebellen andauert, sitzen sie in Homs fest. Am 9. Mai hatte der Gouverneur von Homs, Talal Barazi, verkündet, die Stadt sei »frei von Gewehren und Kämpfern«. Im Rahmen eines Waffenstillstandsabkommens hatten etwa 1200 Rebellen, die Anfang 2012 einen Großteil der Altstadt unter ihre Kontrolle gebracht hatten, das Viertel verlassen, so daß die ehemaligen Bewohner in ihre Häuser zurückkehren konnten.

Im Innenraum der Marienkirche (Um Al-Zinmar) sind noch die Spuren des Feuers zu sehen, das die Rebellen gelegt hatten. Wie andere Kirchen wurde auch diese ausgeplündert und mutwillig beschädigt. »Christliche Symbole wurden entfernt, und die Rebellen nahmen alle Marienbilder mit«, erzählt Abu Nabeel. Im Hof der Kirche haben Freiwillige einen Garten angelegt, um »etwas Schönheit nach Homs zurückzubringen«. Auf einem blumengeschmückten Plastikstuhl steht ein Bild des am 7. April dieses Jahres ermordeten Jesuitenpaters Frans van der Lugt.

Nazim Kanawati, der Frans van der Lugt kannte und respektierte, war nur wenige Augenblicke, nachdem dem 75jährigen in den Hinterkopf geschossen worden war, an Ort und Stelle. »Wir waren umzingelt und wurden belagert. Dies war der einzige Ort, zu dem wir gehen konnten. Jeder von uns war gern hier.« Wie Pater Frans wollte auch Kanawati Homs nicht verlassen. Obwohl er in der Altstadt blieb, stand Pater Frans den Rebellen kritisch gegenüber. Im Januar 2012 schrieb er: »Von Anfang an habe ich in den Protestmärschen bewaffnete Demonstranten ausgemacht, die zuerst auf die Polizei geschossen haben. Sehr häufig reagierten die Sicherheitskräfte mit Gewalt auf die Brutalität dieser bewaffneten Rebellen.«

Abu Nabeel zufolge sind Christen nicht nur aus dem Stadtteil Hamidiyeh geflohen, sondern auch aus anderen von den Aufständischen besetzten Vierteln von Homs. »Vor der Einnahme durch die Terroristen lebten in der Altstadt schätzungsweise 100000 Christen. Die meisten von ihnen flohen im Februar 2012. Im März waren es dann nur noch 800 und schließlich nur noch 100.«

Mohammed, ein Syrer aus dem Homs-Viertel Kussor, berichtet, von Anfang an sei es bei den Protesten um religiösen Fanatismus gegangen. »Ich wohnte damals in einem anderen Viertel von Homs zur Miete, während mein Haus renoviert wurde. Unter meinem Balkon zogen Demonstranten vorbei, die nicht etwa »Freiheit« einforderten oder zum Sturz des »Regimes« aufriefen, sondern Haßparolen gegen Andersgläubige von sich gaben und ankündigten, in den von Alawiten und teils auch von Christen bewohnten Vierteln ein Blutbad anzurichten.«

Am Haus von Aymen und Zeinat Al-Akhras fehlen nur die Tür- und Fenstergriffe, der Rest ist intakt geblieben. Die Apothekerin Zeinat und der Chemieingenieur Aymen haben die Anwesenheit der Aufständischen in der umkämpften Altstadt überlebt, allerdings sind beide stark abgemagert. »Ich wog nur noch 34 Kilo, mein Mann 43 Kilo«, berichtet die Frau. »38mal kamen sie, um unser Essen zu stehlen. Die ersten Male klopften sie noch an, danach kamen sie einfach mit ihren Gewehren herein. Zum Schluß nahmen sie unsere Hülsenfrüchte, Oliven, unseren Weizenschrot und schließlich unseren wilden Thymian mit«, so Zeinat. »Im Februar ernährten wir uns von Gras und allem Grünzeug, was wir sonst noch finden konnten. Mehr hatten wir nicht, als Homs befreit wurde.«

In die Altstadt ist inzwischen wieder Ruhe eingekehrt, doch die Rebellen zünden weiterhin Autobomben in anderen von Zivilisten bewohnten Vierteln. Allein im Juni wurden Dutzende Menschen durch Sprengsätze und Raketen getötet.

* Aus: junge Welt, Freitag 18. Juli 2014


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